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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Tendenzen zu Stande zu bringen. Die revolutionären Elemente in den
niedern Schichten der Gesellschaft schlugen theils bald in ihr Gegentheil um
theils wurden sie neutralisirt. Die große Mehrzahl der Gebildeten war sich
bewußt, daß der Umsturz des Thrones und der Verfassung den Untergang der
Selbstständigkeit und der nationalen Institutionen des Landes herbeiführen
mußte, Liberale und Katholiken waren hierin eines Sinnes, einige unbe¬
deutende Aufläufe abgerechnet, wurde die Ruhe im Innern niemals gestört,
und als im März el" Haufe Gesinde!, von Paris ausgezogen, beim Dorfe
Nisquvnstout über die Grenze wollte, um den Belgiern die Segnungen der
rothen Fahne zu bringen, reichten ein paar Musketensalven eines dort auf¬
gestellten Jnfanteriebataillons hin, dem Spectakel ein Ende zu machen.

Infolge der Umänderung des Wahlgesetzes, nach welcher der in der
Verfassung angenommene niedrigste Steuersatz ohne Unterschied auf die ganze
Bevölkerung ausgedehnt worden war, mußten Senat und Deputirtenkammer
aufgelöst werden. Das Ergebniß der neuen Wahlen war ein großer Triumph
der Liberalen. Die Republikaner brachten keinen einzigen von den Ihrigen
in die Kammer. Die zum Republikanismus hinneigende Fraction der Linken
hatte ebensowenig Erfolg. Die Klerikalen sahen sich auf ein Drittel ihrer
bisherigen Stimmenzahl beschränkt und verloren fast alle ihre Koryphäen.
Das Ministerium gebot über eine Majorität, wie sie die Gegenpartei selbst
in der Zeit ihrer höchsten Macht nicht zur Verfügung gehabt hatte. Auch
die späteren Wahlen der Provinzial- und Communalräthe lieferten ein der
Sache des constitutionellen Liberalismus durchweg günstiges Resultat. In
der Thronrede, mit welcher der König Ende Juni die außerordentliche Kammer-
session eröffnete, konnte die Negierung es rühmen, daß mitten in den rings¬
um tobenden Stürmen Belgien "ruhig, vertrauensvoll und stark" geblieben
sei, und in der Antwortsadresse ertheilte der Senat einstimmig, die Kammer
der Repräsentanten mit Ausnahme von drei Mitgliedern, dem Ministerium ein
Vertrauensvotum, welches in der Geschichte der constitutionellen Verhandlungen
einzig vasteht.

Die Situation war jetzt umgekehrt, wie in den Zeiten der Union, mit
denen die jetzigen Verhältnisse nur insofern Aehnlichkeit hatten, als die Par¬
teien dem wieder drohenden Auslande gegenüber in Eintracht zusammengingen.
Hatten die Klerikalen einst die Früchte der Ruhe geerntet, so erntete diese
jetzt die liberale Partei, und hatten jene ihre Macht dazu benutzt, zu conser-
Viren, so gebrauchten ihre Gegner nun ihr Uebergewicht, um zu reformiren.
Allerdings erhob die katholische Partei nach dem Verschwinden der Revolutions¬
gefahr ihre Stimme wieder lauter. Allein in den Jahren 18i9 und 1830 setzte Vas
Ministerium alle Punkte seines Programms duzch, wenn auch der eine und
der andere erst nach hitzigen Kämpfen zum Gesetz wurde. 1849 wurden neue


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Tendenzen zu Stande zu bringen. Die revolutionären Elemente in den
niedern Schichten der Gesellschaft schlugen theils bald in ihr Gegentheil um
theils wurden sie neutralisirt. Die große Mehrzahl der Gebildeten war sich
bewußt, daß der Umsturz des Thrones und der Verfassung den Untergang der
Selbstständigkeit und der nationalen Institutionen des Landes herbeiführen
mußte, Liberale und Katholiken waren hierin eines Sinnes, einige unbe¬
deutende Aufläufe abgerechnet, wurde die Ruhe im Innern niemals gestört,
und als im März el» Haufe Gesinde!, von Paris ausgezogen, beim Dorfe
Nisquvnstout über die Grenze wollte, um den Belgiern die Segnungen der
rothen Fahne zu bringen, reichten ein paar Musketensalven eines dort auf¬
gestellten Jnfanteriebataillons hin, dem Spectakel ein Ende zu machen.

Infolge der Umänderung des Wahlgesetzes, nach welcher der in der
Verfassung angenommene niedrigste Steuersatz ohne Unterschied auf die ganze
Bevölkerung ausgedehnt worden war, mußten Senat und Deputirtenkammer
aufgelöst werden. Das Ergebniß der neuen Wahlen war ein großer Triumph
der Liberalen. Die Republikaner brachten keinen einzigen von den Ihrigen
in die Kammer. Die zum Republikanismus hinneigende Fraction der Linken
hatte ebensowenig Erfolg. Die Klerikalen sahen sich auf ein Drittel ihrer
bisherigen Stimmenzahl beschränkt und verloren fast alle ihre Koryphäen.
Das Ministerium gebot über eine Majorität, wie sie die Gegenpartei selbst
in der Zeit ihrer höchsten Macht nicht zur Verfügung gehabt hatte. Auch
die späteren Wahlen der Provinzial- und Communalräthe lieferten ein der
Sache des constitutionellen Liberalismus durchweg günstiges Resultat. In
der Thronrede, mit welcher der König Ende Juni die außerordentliche Kammer-
session eröffnete, konnte die Negierung es rühmen, daß mitten in den rings¬
um tobenden Stürmen Belgien „ruhig, vertrauensvoll und stark" geblieben
sei, und in der Antwortsadresse ertheilte der Senat einstimmig, die Kammer
der Repräsentanten mit Ausnahme von drei Mitgliedern, dem Ministerium ein
Vertrauensvotum, welches in der Geschichte der constitutionellen Verhandlungen
einzig vasteht.

Die Situation war jetzt umgekehrt, wie in den Zeiten der Union, mit
denen die jetzigen Verhältnisse nur insofern Aehnlichkeit hatten, als die Par¬
teien dem wieder drohenden Auslande gegenüber in Eintracht zusammengingen.
Hatten die Klerikalen einst die Früchte der Ruhe geerntet, so erntete diese
jetzt die liberale Partei, und hatten jene ihre Macht dazu benutzt, zu conser-
Viren, so gebrauchten ihre Gegner nun ihr Uebergewicht, um zu reformiren.
Allerdings erhob die katholische Partei nach dem Verschwinden der Revolutions¬
gefahr ihre Stimme wieder lauter. Allein in den Jahren 18i9 und 1830 setzte Vas
Ministerium alle Punkte seines Programms duzch, wenn auch der eine und
der andere erst nach hitzigen Kämpfen zum Gesetz wurde. 1849 wurden neue


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[0459] Tendenzen zu Stande zu bringen. Die revolutionären Elemente in den niedern Schichten der Gesellschaft schlugen theils bald in ihr Gegentheil um theils wurden sie neutralisirt. Die große Mehrzahl der Gebildeten war sich bewußt, daß der Umsturz des Thrones und der Verfassung den Untergang der Selbstständigkeit und der nationalen Institutionen des Landes herbeiführen mußte, Liberale und Katholiken waren hierin eines Sinnes, einige unbe¬ deutende Aufläufe abgerechnet, wurde die Ruhe im Innern niemals gestört, und als im März el» Haufe Gesinde!, von Paris ausgezogen, beim Dorfe Nisquvnstout über die Grenze wollte, um den Belgiern die Segnungen der rothen Fahne zu bringen, reichten ein paar Musketensalven eines dort auf¬ gestellten Jnfanteriebataillons hin, dem Spectakel ein Ende zu machen. Infolge der Umänderung des Wahlgesetzes, nach welcher der in der Verfassung angenommene niedrigste Steuersatz ohne Unterschied auf die ganze Bevölkerung ausgedehnt worden war, mußten Senat und Deputirtenkammer aufgelöst werden. Das Ergebniß der neuen Wahlen war ein großer Triumph der Liberalen. Die Republikaner brachten keinen einzigen von den Ihrigen in die Kammer. Die zum Republikanismus hinneigende Fraction der Linken hatte ebensowenig Erfolg. Die Klerikalen sahen sich auf ein Drittel ihrer bisherigen Stimmenzahl beschränkt und verloren fast alle ihre Koryphäen. Das Ministerium gebot über eine Majorität, wie sie die Gegenpartei selbst in der Zeit ihrer höchsten Macht nicht zur Verfügung gehabt hatte. Auch die späteren Wahlen der Provinzial- und Communalräthe lieferten ein der Sache des constitutionellen Liberalismus durchweg günstiges Resultat. In der Thronrede, mit welcher der König Ende Juni die außerordentliche Kammer- session eröffnete, konnte die Negierung es rühmen, daß mitten in den rings¬ um tobenden Stürmen Belgien „ruhig, vertrauensvoll und stark" geblieben sei, und in der Antwortsadresse ertheilte der Senat einstimmig, die Kammer der Repräsentanten mit Ausnahme von drei Mitgliedern, dem Ministerium ein Vertrauensvotum, welches in der Geschichte der constitutionellen Verhandlungen einzig vasteht. Die Situation war jetzt umgekehrt, wie in den Zeiten der Union, mit denen die jetzigen Verhältnisse nur insofern Aehnlichkeit hatten, als die Par¬ teien dem wieder drohenden Auslande gegenüber in Eintracht zusammengingen. Hatten die Klerikalen einst die Früchte der Ruhe geerntet, so erntete diese jetzt die liberale Partei, und hatten jene ihre Macht dazu benutzt, zu conser- Viren, so gebrauchten ihre Gegner nun ihr Uebergewicht, um zu reformiren. Allerdings erhob die katholische Partei nach dem Verschwinden der Revolutions¬ gefahr ihre Stimme wieder lauter. Allein in den Jahren 18i9 und 1830 setzte Vas Ministerium alle Punkte seines Programms duzch, wenn auch der eine und der andere erst nach hitzigen Kämpfen zum Gesetz wurde. 1849 wurden neue 37 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/459>, abgerufen am 23.07.2024.