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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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DaS Wohlthätigkeitsgesetz, welches von ihm eingebracht wurde, fand zu An¬
fang nur bedingten Widerspruch. Zugleich waren mehre andere Gesetzent¬
würfe geeignet, dem Cabinet in Bezug auf die materiellen Fragen Sympathien
zuzuwenden. Die ganze Session wurde dadurch zu einer Reihe von bloßen
Recognoscirnngsgefechten, als deren Ergebniß sich herausstellte, daß die
Liberalen nicht stark genug waren, um das Cabinet zu stürzen, während die
Gegenpartei und das Cabinet wiederum sich noch zu schwach fühlten, um mit
ihren Absichten offen herauszugehen.

Von großer Tragweite war der im April von Rogier gestellte An¬
trag auf Vornahme einer neuen Volkszählung, deren Folge Ergänzungswahlcn
für die Nationalvertretung sein mußten. Die Klerikalen bekämpften die Ma߬
regel hartnäckig, da ihnen der Umstand, daß sich die Volksvermehrung fast
ausschließlich auf die großen Städte erstreckte, wo ihr Einfluß im Vergleich
mit dem Platten Lande gering war, gefährlich erscheinen mußte. Dennoch kam
im April das Gesetz zu Stande, und bereits im Mai wurde das königliche
Decret zur Vornahme der Ergänzungswahlen mit Bezug darauf erlassen.
Diese Willfährigkeit erwarb dem Cabinet manche Freunde auf liberaler Seite.
Das Wohlwollen steigerte sich, als Frankreichs Regierung in den Konferenzen,
welche dem pariser Frieden folgten, sich dahin erklärte, eS sei nothwendig,
Maßregeln zur Beschränkung der belgischen Presse zu treffen, und der Minister
des Auswärtigen, Graf Vilain XIV., in der Kammer darüber interpellirt, die
Versicherung gab, die belgische Negierung werde zu derartigen Zwangsma߬
regeln unter keinen Umständen ihre Einwilligung ertheilen. So schieden
Kammern - und Cabinet am 24. Mai in einer Stimmung, welche man vor
Beginn der Session nicht erwartet hätte, und die vorsichtige Politik De Denkers
trug bei den kurz darauf vorgenommenen Wahlen den Vertretern der klerikalen
Reaction gute Früchte. Das Resultat der Wahlen war ein Sieg der Rechten,
die jetzt 63 Stimmen in der Deputirtenkammer hatte, während die Linke nur
durch 45 vertreten war. Inzwischen wiederholten sich die Versuche der fran¬
zösischen Negierung, daS belgische Cabinet zu Beschränkungen der Presse zu
vermögen. Es verbreiteten sich Gerüchte, daß das Ministerium nachzugeben
gewillt sei. Man sprach davon, daß der König, dieser Einwirkungen über-
drüßig und ein längerem Widerstand verzweifelnd, die Krone niederlegen wolle.
Man glaubte auf Grund der Verlobung deS Thronfolgers mit einer östreichischen
Prinzessin, derselbe werde sich nicht so streng als sein Vater an die Verfassung
binden. Alle diese Gerüchte erwiesen sich als falsch und mit aufrichtiger Be¬
geisterung feierte daS Land den jetzt erscheinenden fünfundzwanzigjährigen
Jahrestag des Regierungsantritts seines Königs. Man wußte, daß die
Regierung nicht gesonnen sei, den Weg eines milden und versöhnlichen
Constitutionalismus zu verlassen, welcher das Gedeihen des Königreichs begrün-


DaS Wohlthätigkeitsgesetz, welches von ihm eingebracht wurde, fand zu An¬
fang nur bedingten Widerspruch. Zugleich waren mehre andere Gesetzent¬
würfe geeignet, dem Cabinet in Bezug auf die materiellen Fragen Sympathien
zuzuwenden. Die ganze Session wurde dadurch zu einer Reihe von bloßen
Recognoscirnngsgefechten, als deren Ergebniß sich herausstellte, daß die
Liberalen nicht stark genug waren, um das Cabinet zu stürzen, während die
Gegenpartei und das Cabinet wiederum sich noch zu schwach fühlten, um mit
ihren Absichten offen herauszugehen.

Von großer Tragweite war der im April von Rogier gestellte An¬
trag auf Vornahme einer neuen Volkszählung, deren Folge Ergänzungswahlcn
für die Nationalvertretung sein mußten. Die Klerikalen bekämpften die Ma߬
regel hartnäckig, da ihnen der Umstand, daß sich die Volksvermehrung fast
ausschließlich auf die großen Städte erstreckte, wo ihr Einfluß im Vergleich
mit dem Platten Lande gering war, gefährlich erscheinen mußte. Dennoch kam
im April das Gesetz zu Stande, und bereits im Mai wurde das königliche
Decret zur Vornahme der Ergänzungswahlen mit Bezug darauf erlassen.
Diese Willfährigkeit erwarb dem Cabinet manche Freunde auf liberaler Seite.
Das Wohlwollen steigerte sich, als Frankreichs Regierung in den Konferenzen,
welche dem pariser Frieden folgten, sich dahin erklärte, eS sei nothwendig,
Maßregeln zur Beschränkung der belgischen Presse zu treffen, und der Minister
des Auswärtigen, Graf Vilain XIV., in der Kammer darüber interpellirt, die
Versicherung gab, die belgische Negierung werde zu derartigen Zwangsma߬
regeln unter keinen Umständen ihre Einwilligung ertheilen. So schieden
Kammern - und Cabinet am 24. Mai in einer Stimmung, welche man vor
Beginn der Session nicht erwartet hätte, und die vorsichtige Politik De Denkers
trug bei den kurz darauf vorgenommenen Wahlen den Vertretern der klerikalen
Reaction gute Früchte. Das Resultat der Wahlen war ein Sieg der Rechten,
die jetzt 63 Stimmen in der Deputirtenkammer hatte, während die Linke nur
durch 45 vertreten war. Inzwischen wiederholten sich die Versuche der fran¬
zösischen Negierung, daS belgische Cabinet zu Beschränkungen der Presse zu
vermögen. Es verbreiteten sich Gerüchte, daß das Ministerium nachzugeben
gewillt sei. Man sprach davon, daß der König, dieser Einwirkungen über-
drüßig und ein längerem Widerstand verzweifelnd, die Krone niederlegen wolle.
Man glaubte auf Grund der Verlobung deS Thronfolgers mit einer östreichischen
Prinzessin, derselbe werde sich nicht so streng als sein Vater an die Verfassung
binden. Alle diese Gerüchte erwiesen sich als falsch und mit aufrichtiger Be¬
geisterung feierte daS Land den jetzt erscheinenden fünfundzwanzigjährigen
Jahrestag des Regierungsantritts seines Königs. Man wußte, daß die
Regierung nicht gesonnen sei, den Weg eines milden und versöhnlichen
Constitutionalismus zu verlassen, welcher das Gedeihen des Königreichs begrün-


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[0461] DaS Wohlthätigkeitsgesetz, welches von ihm eingebracht wurde, fand zu An¬ fang nur bedingten Widerspruch. Zugleich waren mehre andere Gesetzent¬ würfe geeignet, dem Cabinet in Bezug auf die materiellen Fragen Sympathien zuzuwenden. Die ganze Session wurde dadurch zu einer Reihe von bloßen Recognoscirnngsgefechten, als deren Ergebniß sich herausstellte, daß die Liberalen nicht stark genug waren, um das Cabinet zu stürzen, während die Gegenpartei und das Cabinet wiederum sich noch zu schwach fühlten, um mit ihren Absichten offen herauszugehen. Von großer Tragweite war der im April von Rogier gestellte An¬ trag auf Vornahme einer neuen Volkszählung, deren Folge Ergänzungswahlcn für die Nationalvertretung sein mußten. Die Klerikalen bekämpften die Ma߬ regel hartnäckig, da ihnen der Umstand, daß sich die Volksvermehrung fast ausschließlich auf die großen Städte erstreckte, wo ihr Einfluß im Vergleich mit dem Platten Lande gering war, gefährlich erscheinen mußte. Dennoch kam im April das Gesetz zu Stande, und bereits im Mai wurde das königliche Decret zur Vornahme der Ergänzungswahlen mit Bezug darauf erlassen. Diese Willfährigkeit erwarb dem Cabinet manche Freunde auf liberaler Seite. Das Wohlwollen steigerte sich, als Frankreichs Regierung in den Konferenzen, welche dem pariser Frieden folgten, sich dahin erklärte, eS sei nothwendig, Maßregeln zur Beschränkung der belgischen Presse zu treffen, und der Minister des Auswärtigen, Graf Vilain XIV., in der Kammer darüber interpellirt, die Versicherung gab, die belgische Negierung werde zu derartigen Zwangsma߬ regeln unter keinen Umständen ihre Einwilligung ertheilen. So schieden Kammern - und Cabinet am 24. Mai in einer Stimmung, welche man vor Beginn der Session nicht erwartet hätte, und die vorsichtige Politik De Denkers trug bei den kurz darauf vorgenommenen Wahlen den Vertretern der klerikalen Reaction gute Früchte. Das Resultat der Wahlen war ein Sieg der Rechten, die jetzt 63 Stimmen in der Deputirtenkammer hatte, während die Linke nur durch 45 vertreten war. Inzwischen wiederholten sich die Versuche der fran¬ zösischen Negierung, daS belgische Cabinet zu Beschränkungen der Presse zu vermögen. Es verbreiteten sich Gerüchte, daß das Ministerium nachzugeben gewillt sei. Man sprach davon, daß der König, dieser Einwirkungen über- drüßig und ein längerem Widerstand verzweifelnd, die Krone niederlegen wolle. Man glaubte auf Grund der Verlobung deS Thronfolgers mit einer östreichischen Prinzessin, derselbe werde sich nicht so streng als sein Vater an die Verfassung binden. Alle diese Gerüchte erwiesen sich als falsch und mit aufrichtiger Be¬ geisterung feierte daS Land den jetzt erscheinenden fünfundzwanzigjährigen Jahrestag des Regierungsantritts seines Königs. Man wußte, daß die Regierung nicht gesonnen sei, den Weg eines milden und versöhnlichen Constitutionalismus zu verlassen, welcher das Gedeihen des Königreichs begrün-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/461>, abgerufen am 23.07.2024.