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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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jetzt aber mit der Absicht, auf dem Wege eines Vergleichs den gestörten Frie¬
den wiederherzustellen und zu erhalten, mit der katholischen Majorität Hand
in Hand ging. Er gehörte der Partei an, die in Deutschland ihr Ebenbild
in den Großdeutschen, in den Vereinigten Staaten ihr Seitenstück an den
Hunkerdcmokraten hat. Er wollte die alte Union wiederherstellen. Eintracht
macht stark! war sein und seiner Kollegen Wahlspruch. Die Liberalen wollten
davon nichts wissen, sie bezeichneten das Benehmen des neuen Premiers als
schmachvollen Fahnenwechsel, und in der That war es schwer zu begreifen, wie
ein Mitglied dieser Partei nach dem Sturze deS ersten liberalen Ministeriums
es über sich gewann, Chef eines vorwiegend der katholischen Partei angehö¬
renden Cabinets zu werden. DaS Land indeß war mit dem Programm deS
neuen Cabinets, nach welchem jeder der streitenden Theile des Friedens halber
etwas ab- und zugeben sollte, im Allgemeinen zufrieden, und da Nothomb
die von ihm erstrebte Ruhe dazu benutzte, um alle Kräfte dem Gebiete der
Interessen, in denen die Parteien einig waren, zuzuwenden, und dabei eine
rastlose Thätigkeit, so wie ungewöhnliche Umsicht entwickelte, so blieb er ge¬
raume Zeit hindurch der Mann der Situation.

Ueber die eigentliche Tragweite seines Systems aber täuschte er sich. Man
hebt die Gegensätze nicht auf, indem man von ihnen absieht. Nur der con-
stitutionelle König soll parteilos sein. Eintracht macht stark -- im Kampfe
mit äußern Mächten. Im Frieden mit dem Ausland bewirkt sie einen faulen
Frieden. In Belgien aber hatte diese Eintracht eine noch verhängnißvollere
Bedeutung. Die Klerikalen nahmen sich- den Löwenantheil des Ergebnisses
ihres Sieges, sie waren einig in dem, was sie wollten, sie hätten, wenn
keine Aenderung des Verhältnisses eingetreten wäre, der Gegenpartei allmälig
den Boden unter den Füßen weggezogen. Die letztere ließ sich aber nicht
täuschen. Die von dem Ministerium aufgestellten Grundsätze der Versöhnung
verhinderten nicht, daß der Kampf der beiden Parteien um den Sieg bei den
im Juni 1841 zur Ersetzung der im Herbst austretenden Hälfte der Abgeord¬
neten vorgenommenen Wahlen mit Leidenschaft geführt wurde. Es trat hier¬
bei zwar keine bedeutende Veränderung im Verhältniß der Vertretung der
beiden Parteien ein, doch war es bezeichnend für die Bewegung der öffent¬
lichen Meinung, daß die Kandidaten der Liberalen überall mit starker Majo¬
rität, die der Klerikalen dagegen in den Hauptstädten mit geringem Ueber¬
wiegen der Stimmenzahl wieder gewählt wurden.

Nach den Wahlen legte sich die Aufregung, und zwar um so mehr, als
später die belgischen Bischöfe, wahrscheinlich aus Weisungen von Rom hin,
ihr von den Liberalen mit Energie bekämpftes Gesuch um Verleihung der
Civilpersonification für die katholische Universität Löwen zurücknahmen, und
es geschah sogar, daß die Durchführung des Gesetzes über den Primärunter-


jetzt aber mit der Absicht, auf dem Wege eines Vergleichs den gestörten Frie¬
den wiederherzustellen und zu erhalten, mit der katholischen Majorität Hand
in Hand ging. Er gehörte der Partei an, die in Deutschland ihr Ebenbild
in den Großdeutschen, in den Vereinigten Staaten ihr Seitenstück an den
Hunkerdcmokraten hat. Er wollte die alte Union wiederherstellen. Eintracht
macht stark! war sein und seiner Kollegen Wahlspruch. Die Liberalen wollten
davon nichts wissen, sie bezeichneten das Benehmen des neuen Premiers als
schmachvollen Fahnenwechsel, und in der That war es schwer zu begreifen, wie
ein Mitglied dieser Partei nach dem Sturze deS ersten liberalen Ministeriums
es über sich gewann, Chef eines vorwiegend der katholischen Partei angehö¬
renden Cabinets zu werden. DaS Land indeß war mit dem Programm deS
neuen Cabinets, nach welchem jeder der streitenden Theile des Friedens halber
etwas ab- und zugeben sollte, im Allgemeinen zufrieden, und da Nothomb
die von ihm erstrebte Ruhe dazu benutzte, um alle Kräfte dem Gebiete der
Interessen, in denen die Parteien einig waren, zuzuwenden, und dabei eine
rastlose Thätigkeit, so wie ungewöhnliche Umsicht entwickelte, so blieb er ge¬
raume Zeit hindurch der Mann der Situation.

Ueber die eigentliche Tragweite seines Systems aber täuschte er sich. Man
hebt die Gegensätze nicht auf, indem man von ihnen absieht. Nur der con-
stitutionelle König soll parteilos sein. Eintracht macht stark — im Kampfe
mit äußern Mächten. Im Frieden mit dem Ausland bewirkt sie einen faulen
Frieden. In Belgien aber hatte diese Eintracht eine noch verhängnißvollere
Bedeutung. Die Klerikalen nahmen sich- den Löwenantheil des Ergebnisses
ihres Sieges, sie waren einig in dem, was sie wollten, sie hätten, wenn
keine Aenderung des Verhältnisses eingetreten wäre, der Gegenpartei allmälig
den Boden unter den Füßen weggezogen. Die letztere ließ sich aber nicht
täuschen. Die von dem Ministerium aufgestellten Grundsätze der Versöhnung
verhinderten nicht, daß der Kampf der beiden Parteien um den Sieg bei den
im Juni 1841 zur Ersetzung der im Herbst austretenden Hälfte der Abgeord¬
neten vorgenommenen Wahlen mit Leidenschaft geführt wurde. Es trat hier¬
bei zwar keine bedeutende Veränderung im Verhältniß der Vertretung der
beiden Parteien ein, doch war es bezeichnend für die Bewegung der öffent¬
lichen Meinung, daß die Kandidaten der Liberalen überall mit starker Majo¬
rität, die der Klerikalen dagegen in den Hauptstädten mit geringem Ueber¬
wiegen der Stimmenzahl wieder gewählt wurden.

Nach den Wahlen legte sich die Aufregung, und zwar um so mehr, als
später die belgischen Bischöfe, wahrscheinlich aus Weisungen von Rom hin,
ihr von den Liberalen mit Energie bekämpftes Gesuch um Verleihung der
Civilpersonification für die katholische Universität Löwen zurücknahmen, und
es geschah sogar, daß die Durchführung des Gesetzes über den Primärunter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/455>, abgerufen am 23.07.2024.