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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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wegen in Dingen der Politik, wenn kein unnatürlicher Zwang herrscht, den
Ausschlag geben, so mußte im April -186.0 daS katholische Ministerium de
Theux abtreten und einem aus liberalen Elementen zusammengesetzten wei¬
chen, an dessen Spitze Lebeau und Rogier standen.

Damit war viel gewonnen, wenn man in Anschlag bringt, daß die libe¬
rale Partei bisher noch nicht am Nuder gestanden hatte, aber bei weitem noch
nicht das, was die erwarteten, welche an die Möglichkeit glauben, langein-
gcrostete Verhältnisse im Handumdrehen umzugestalten. Das neue Cabinet
gehörte nicht zu diesen Enthusiasten. Es trat sehr vorsichtig und mit größter
Mäßigung auf, und wenn es Kräftigung der Civilgcwalt d. h. Stärkung des
Staats einerseits der Geistlichkeit, andererseits den Gemeinden gegenüber, an
die Spitze seines politischen Glaubensbekenntnisses stellte, so war es gleichwol
nicht weniger geneigt, den Klerikalen in allen nur einigermaßen billigen For¬
derungen nachzugeben. Uebergriffe allein sollten nicht geduldet werden. Daß
der Sieg der Liberalen dennoch ein großer war, bewies das Mißbehagen,
welches sich in der klerikalen Presse kundgab. Hätte man ihr glauben können,
so war daS Vaterland in Gefahr. Mit einer fast komischen Wuth eiferte sie
gegen die angeblich antinationalen, gegen alle Geschichte verstoßenden Ten¬
denzen der Centralisation, welche die Municipalitäten zu vernichten drohe. Mir
einem Pathos, welches einer bessern Sache würdig war, erklärte sie sich gegen
die Wahlreform, die daS offene Land zu knechten bestimmt sei, und gegen den
französischen Geist der Liberalen, der den Geistlichen ihren Einfluß rauben
wolle. In den Kammern begegnete das Ministerium ebenfalls einer starken Oppo¬
sition der Katholiken, obwol es durch seine Weigerung, die Wahl des Großmei¬
sters der belgischen Logen, de Stassart, zum Bürgermeister der Hauptstadt zu be¬
stätigen, diese Partei beschwichtigen zu wollen schien. Eine im März -I-z-it in dem
seiner Mehrzahl nach klerikal gesinnten Senat beschlossene Adresse forderte den
König auf, die zur Beseitigung des Zwiespalts in der Deputirtenkammer ge¬
eigneten Mittel zu ergreifen, waS so viel hieß, als das Cabinet zu entlassen,
andererseits aber von der liberalen Presse als eine Herausforderung des Adels
gegen den Bürgerstand gedeutet wurde und deshalb Proteste der Gemeinderäthe
fast aller großen Städte zur Folge hatte. Das immer mehr nach links ge¬
drängte Ministerium verlangte hierauf vom Könige die Einwilligung zu der
Auflösung beider Kammern oder mindestens deS Senats. Der König, von dem
Grundsatz ausgehend, der constitutionelle Monarch habe sich unweigerlich an
den durch die Majorität ausgesprochenen VolkSwillen zu halten, verweigerte
dieses Verlangen, und so trat das Cabinet im April zurück.

Das Ministerium, welches jetzt folgte, wurde als gemäßigt-liberal bezeichnet,
neigte aber stark zu den Klerikalen hin. An seiner Spitze stand Nothomb,
der als Mitglied vorhergehender Cabinete liwale Grundsätze vertreten hatte,


wegen in Dingen der Politik, wenn kein unnatürlicher Zwang herrscht, den
Ausschlag geben, so mußte im April -186.0 daS katholische Ministerium de
Theux abtreten und einem aus liberalen Elementen zusammengesetzten wei¬
chen, an dessen Spitze Lebeau und Rogier standen.

Damit war viel gewonnen, wenn man in Anschlag bringt, daß die libe¬
rale Partei bisher noch nicht am Nuder gestanden hatte, aber bei weitem noch
nicht das, was die erwarteten, welche an die Möglichkeit glauben, langein-
gcrostete Verhältnisse im Handumdrehen umzugestalten. Das neue Cabinet
gehörte nicht zu diesen Enthusiasten. Es trat sehr vorsichtig und mit größter
Mäßigung auf, und wenn es Kräftigung der Civilgcwalt d. h. Stärkung des
Staats einerseits der Geistlichkeit, andererseits den Gemeinden gegenüber, an
die Spitze seines politischen Glaubensbekenntnisses stellte, so war es gleichwol
nicht weniger geneigt, den Klerikalen in allen nur einigermaßen billigen For¬
derungen nachzugeben. Uebergriffe allein sollten nicht geduldet werden. Daß
der Sieg der Liberalen dennoch ein großer war, bewies das Mißbehagen,
welches sich in der klerikalen Presse kundgab. Hätte man ihr glauben können,
so war daS Vaterland in Gefahr. Mit einer fast komischen Wuth eiferte sie
gegen die angeblich antinationalen, gegen alle Geschichte verstoßenden Ten¬
denzen der Centralisation, welche die Municipalitäten zu vernichten drohe. Mir
einem Pathos, welches einer bessern Sache würdig war, erklärte sie sich gegen
die Wahlreform, die daS offene Land zu knechten bestimmt sei, und gegen den
französischen Geist der Liberalen, der den Geistlichen ihren Einfluß rauben
wolle. In den Kammern begegnete das Ministerium ebenfalls einer starken Oppo¬
sition der Katholiken, obwol es durch seine Weigerung, die Wahl des Großmei¬
sters der belgischen Logen, de Stassart, zum Bürgermeister der Hauptstadt zu be¬
stätigen, diese Partei beschwichtigen zu wollen schien. Eine im März -I-z-it in dem
seiner Mehrzahl nach klerikal gesinnten Senat beschlossene Adresse forderte den
König auf, die zur Beseitigung des Zwiespalts in der Deputirtenkammer ge¬
eigneten Mittel zu ergreifen, waS so viel hieß, als das Cabinet zu entlassen,
andererseits aber von der liberalen Presse als eine Herausforderung des Adels
gegen den Bürgerstand gedeutet wurde und deshalb Proteste der Gemeinderäthe
fast aller großen Städte zur Folge hatte. Das immer mehr nach links ge¬
drängte Ministerium verlangte hierauf vom Könige die Einwilligung zu der
Auflösung beider Kammern oder mindestens deS Senats. Der König, von dem
Grundsatz ausgehend, der constitutionelle Monarch habe sich unweigerlich an
den durch die Majorität ausgesprochenen VolkSwillen zu halten, verweigerte
dieses Verlangen, und so trat das Cabinet im April zurück.

Das Ministerium, welches jetzt folgte, wurde als gemäßigt-liberal bezeichnet,
neigte aber stark zu den Klerikalen hin. An seiner Spitze stand Nothomb,
der als Mitglied vorhergehender Cabinete liwale Grundsätze vertreten hatte,


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[0454] wegen in Dingen der Politik, wenn kein unnatürlicher Zwang herrscht, den Ausschlag geben, so mußte im April -186.0 daS katholische Ministerium de Theux abtreten und einem aus liberalen Elementen zusammengesetzten wei¬ chen, an dessen Spitze Lebeau und Rogier standen. Damit war viel gewonnen, wenn man in Anschlag bringt, daß die libe¬ rale Partei bisher noch nicht am Nuder gestanden hatte, aber bei weitem noch nicht das, was die erwarteten, welche an die Möglichkeit glauben, langein- gcrostete Verhältnisse im Handumdrehen umzugestalten. Das neue Cabinet gehörte nicht zu diesen Enthusiasten. Es trat sehr vorsichtig und mit größter Mäßigung auf, und wenn es Kräftigung der Civilgcwalt d. h. Stärkung des Staats einerseits der Geistlichkeit, andererseits den Gemeinden gegenüber, an die Spitze seines politischen Glaubensbekenntnisses stellte, so war es gleichwol nicht weniger geneigt, den Klerikalen in allen nur einigermaßen billigen For¬ derungen nachzugeben. Uebergriffe allein sollten nicht geduldet werden. Daß der Sieg der Liberalen dennoch ein großer war, bewies das Mißbehagen, welches sich in der klerikalen Presse kundgab. Hätte man ihr glauben können, so war daS Vaterland in Gefahr. Mit einer fast komischen Wuth eiferte sie gegen die angeblich antinationalen, gegen alle Geschichte verstoßenden Ten¬ denzen der Centralisation, welche die Municipalitäten zu vernichten drohe. Mir einem Pathos, welches einer bessern Sache würdig war, erklärte sie sich gegen die Wahlreform, die daS offene Land zu knechten bestimmt sei, und gegen den französischen Geist der Liberalen, der den Geistlichen ihren Einfluß rauben wolle. In den Kammern begegnete das Ministerium ebenfalls einer starken Oppo¬ sition der Katholiken, obwol es durch seine Weigerung, die Wahl des Großmei¬ sters der belgischen Logen, de Stassart, zum Bürgermeister der Hauptstadt zu be¬ stätigen, diese Partei beschwichtigen zu wollen schien. Eine im März -I-z-it in dem seiner Mehrzahl nach klerikal gesinnten Senat beschlossene Adresse forderte den König auf, die zur Beseitigung des Zwiespalts in der Deputirtenkammer ge¬ eigneten Mittel zu ergreifen, waS so viel hieß, als das Cabinet zu entlassen, andererseits aber von der liberalen Presse als eine Herausforderung des Adels gegen den Bürgerstand gedeutet wurde und deshalb Proteste der Gemeinderäthe fast aller großen Städte zur Folge hatte. Das immer mehr nach links ge¬ drängte Ministerium verlangte hierauf vom Könige die Einwilligung zu der Auflösung beider Kammern oder mindestens deS Senats. Der König, von dem Grundsatz ausgehend, der constitutionelle Monarch habe sich unweigerlich an den durch die Majorität ausgesprochenen VolkSwillen zu halten, verweigerte dieses Verlangen, und so trat das Cabinet im April zurück. Das Ministerium, welches jetzt folgte, wurde als gemäßigt-liberal bezeichnet, neigte aber stark zu den Klerikalen hin. An seiner Spitze stand Nothomb, der als Mitglied vorhergehender Cabinete liwale Grundsätze vertreten hatte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/454>, abgerufen am 23.07.2024.