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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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deS Getreides berechtigt waren; natürlich suchte man aber vorzüglich kurz vor
einer solchen Spende einen Platz auf dem ^Verzeichnis) der Erztafeln zu erha¬
schen. So schreibt der jüngere Plinius aus der Zeit Trajans: "Wenn der
Tag der Austheilung herannahte, pflegte man sonst den öffentlichen Ausgang
des Kaisers zu erwarten, besonders faßten Schwärme von Kindern vor dem
Palaste Posto. Sobald er erschien, bemühten sich die Eltern, ihre Kleinen
dem Fürsten zu zeigen; sie setzten dieselben auf ihren Nacken, und lehrten sie
schmeichelnde Bittworte nachsprechen. Die meisten Kinder belästigten aber die
tauben Ohren der Kaiser mit vergeblichen Bitten; ohne zu wissen, um was
sie baten, wurden sie aus die Zeit vertröstet, wo sie es einsehen würden. Du
ließest dich nicht einmal darum bitten und alle einschreiben, bevor sie dich
sahen und sich dir nahten." Die Kosten dieser Schenkungen, die man für die
Zeit zwischen Cäsar und Diocletian ziemlich genau zusammenstellen kann, sind
ungeheuer; sie standen in den verschiedenen Regierungszeiten nie unter 800,000
Thlr., stiegen aber bis zur enormen Höhe von 70 Millionen (Diocletian) und
blieben durchschnittlich gegen 10--12 Millionen Thlr.

Und welchen sittlichen Werth und Einfluß hatten diese großartigen Al¬
mosen? -- Diese Frage kann leider nicht zu Gunsten der betreffenden Insti¬
tute beantwortet werden. Sie waren unglückliche Erbstücke aus den Zeiten
der Republik, welche die Kaiser theils benutzten, um ihre Popularität zu er¬
halten, theils nicht anzutasten wagten, weil sie sich zu unsicher auf dem Throne
fühlten. Die Getreidevertheilungen hatte das Volk im Gefühle seiner Sou-
veränetät anfangs als ein Recht beansprucht, als eine Entschädigung sür den
ihm gebührenden Genuß der Einkünfte eroberter Provinzen und daher gab
auch schon das bloße Bürgerrecht den Anspruch auf Berücksichtigung. Ebenso
waren die Congiarien anfangs nur die Mittel gewesen, durch welche ehrsüch^
tige Demagogen sich in die Gunst des Volkes einzudrängen und Aemter zu
erjagen strebten. Zwar läßt es sich nicht leugnen, daß beiderlei Spenden,
wie schon erwähnt, den größten Theil der Empfänger vor dem äußersten
Mangel schützten, aber die Unmasse der Bedürftigen hatte sich ja eben dieses
Köders wegen aus ganz Italien nach der Hauptstadt gezogen und fröhnte
nun dort dem Müssiggange und der Schaulust. "Brot und Circusspiele!"
wurden ihre Losungsworte und ein Glück war es noch zu nennen, daß die
Milde des Klimas und die Genügsamkeit der Südländer überhaupt dem armen
Römer manche uns unentbehrlich Dünkende Bedürfnisse deS Lebens leichter
zu verschmerzen erlaubten. Dazu halte er von den Vorzügen seiner große"
Vorfahren noch eine Art politischen Ehrgefühls behalten, daS ihn immer noch
mit Stolz aus den reichen Sklaven herabblicken ließ, und ihn noch am Rande
des Hungertodes vor der schimpflichen Arbeit, vor dem Verkauf seiner Kräfte
bewahrte. Und so blieb der römische Pöbel bis in die spätesten Zeiten. Noch


deS Getreides berechtigt waren; natürlich suchte man aber vorzüglich kurz vor
einer solchen Spende einen Platz auf dem ^Verzeichnis) der Erztafeln zu erha¬
schen. So schreibt der jüngere Plinius aus der Zeit Trajans: „Wenn der
Tag der Austheilung herannahte, pflegte man sonst den öffentlichen Ausgang
des Kaisers zu erwarten, besonders faßten Schwärme von Kindern vor dem
Palaste Posto. Sobald er erschien, bemühten sich die Eltern, ihre Kleinen
dem Fürsten zu zeigen; sie setzten dieselben auf ihren Nacken, und lehrten sie
schmeichelnde Bittworte nachsprechen. Die meisten Kinder belästigten aber die
tauben Ohren der Kaiser mit vergeblichen Bitten; ohne zu wissen, um was
sie baten, wurden sie aus die Zeit vertröstet, wo sie es einsehen würden. Du
ließest dich nicht einmal darum bitten und alle einschreiben, bevor sie dich
sahen und sich dir nahten." Die Kosten dieser Schenkungen, die man für die
Zeit zwischen Cäsar und Diocletian ziemlich genau zusammenstellen kann, sind
ungeheuer; sie standen in den verschiedenen Regierungszeiten nie unter 800,000
Thlr., stiegen aber bis zur enormen Höhe von 70 Millionen (Diocletian) und
blieben durchschnittlich gegen 10—12 Millionen Thlr.

Und welchen sittlichen Werth und Einfluß hatten diese großartigen Al¬
mosen? — Diese Frage kann leider nicht zu Gunsten der betreffenden Insti¬
tute beantwortet werden. Sie waren unglückliche Erbstücke aus den Zeiten
der Republik, welche die Kaiser theils benutzten, um ihre Popularität zu er¬
halten, theils nicht anzutasten wagten, weil sie sich zu unsicher auf dem Throne
fühlten. Die Getreidevertheilungen hatte das Volk im Gefühle seiner Sou-
veränetät anfangs als ein Recht beansprucht, als eine Entschädigung sür den
ihm gebührenden Genuß der Einkünfte eroberter Provinzen und daher gab
auch schon das bloße Bürgerrecht den Anspruch auf Berücksichtigung. Ebenso
waren die Congiarien anfangs nur die Mittel gewesen, durch welche ehrsüch^
tige Demagogen sich in die Gunst des Volkes einzudrängen und Aemter zu
erjagen strebten. Zwar läßt es sich nicht leugnen, daß beiderlei Spenden,
wie schon erwähnt, den größten Theil der Empfänger vor dem äußersten
Mangel schützten, aber die Unmasse der Bedürftigen hatte sich ja eben dieses
Köders wegen aus ganz Italien nach der Hauptstadt gezogen und fröhnte
nun dort dem Müssiggange und der Schaulust. „Brot und Circusspiele!"
wurden ihre Losungsworte und ein Glück war es noch zu nennen, daß die
Milde des Klimas und die Genügsamkeit der Südländer überhaupt dem armen
Römer manche uns unentbehrlich Dünkende Bedürfnisse deS Lebens leichter
zu verschmerzen erlaubten. Dazu halte er von den Vorzügen seiner große"
Vorfahren noch eine Art politischen Ehrgefühls behalten, daS ihn immer noch
mit Stolz aus den reichen Sklaven herabblicken ließ, und ihn noch am Rande
des Hungertodes vor der schimpflichen Arbeit, vor dem Verkauf seiner Kräfte
bewahrte. Und so blieb der römische Pöbel bis in die spätesten Zeiten. Noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/438>, abgerufen am 23.07.2024.