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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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ganz besonders die Juden berufen sind, für die Emancipation der Frauen und
ähnliche Dinge, in denen wir nur Symptome einer weit verbreiteten Krankheit
erkennen; aber es hat uns doch gefreut, daß bei redlichem Willen auch die
entgegengesetztesten Standpunkte im Ganzen auf ein ähnliches Resultat führen.
Auf Einiges hat der Verfasser aufmerksam gemacht, was bisher weniger
beachtet wurde. Wenn er z. B. die beiden ersten Tragödien überschätzt, so
hebt er ganz richtig die antichristliche Weltanschauung derselben hervor, die in
den spätern Dichtungen Heines immer wiederkehrt. Er macht aus den Ein¬
fluß der Rahel aufmerksam, motivirt die ersten Weltschmerzgedichte durch eine
unglückliche Liebe, von deren Beschaffenheit wir uns bei Heine freilich keine
rechte Vorstellung machen können, nimmt in der Polemik gegen Börne für
Heine Partei und zeigt, daß auch in seinen letzten Jahren von eigentlicher
Bekehrung nicht die 'Rede ist: Heine brachte es nie zum Glauben, sondern
nur zur Sehnsucht nach einem Glauben, , mit der er eigentlich schon
begann.

Von or Ludwig Eckardt zu Bern liegen uns mehre ästhetische Ver¬
suche vor, zunächst eine Studie: Die theistische Begründung der Aesthetik
im Gegensatz zur pantheistischen. Es wird uns darin mitgetheilt, daß
bereits eine theistische Schule der Aesthetik besteht, zu welcher außer dem
Verfasser namentlich Carriere, Fichte, Wirth, Weiße und Ulrici
gehören sollen. Gegner ist namentlich der Panlheist ni scher, der
übrigens im Ganzen sehr höflich behandelt wird. Das 'Büchlein ist deshalb
merkwürdig, weil es zeigt, wie wenig mitunter selbst Docenten der Philosophie
wissen, um was es sich eigentlich handelt. Mit dem unglückseligen Stich¬
wort des Pantheismus sollte man endlich ein Ende machen. Im eigentlichen
Sinn könnte man nur denjenigen Dichter einen Pantheisten nennen, der
innerhalb der sittlichen Welt über das Urtheil auf das, was göttlich oder
ungöttlich, gut oder böse ist, verzichtet. Solche Dichter gibt es allerdings,
aber sie machen eine Ausnahme und gehen nur selten auf die letzten Conseguenzen
ihres Princips ein. Gewöhnlich aber versteht man unter Pantheismus etwas
Anderes, nämlich die Fähigkeit deö Dichters, in allen Gegenständen, wie
gering sie auch sein mögen, Spuren des göttlichen Leben,? zu entdecken
d> h. mit andern Worten, sie für fähig des Ideals und der- poetischen Behand¬
lung zu erklären. Dieser Begriff deS Pantheismus ist viel weniger dem
Ehustenthum und dem Theismus überhaupt, als vielmehr dem akademischen
Idealismus entgegengesetzt. Für den letzteren sind nur gewisse Dinge salon¬
fähig, während der echte Dichter sich dreist in den Strom des allgemeinen
Lebens taucht, fest überzeugt, daß der Geist alles Dasein durchdringe. Was
Nun den Theismus betrifft, so muß man unterscheiden zwischen dem frommen
Glauben, der, von der Vorsehung Gottes überzeugt, dennoch seine Wege


ganz besonders die Juden berufen sind, für die Emancipation der Frauen und
ähnliche Dinge, in denen wir nur Symptome einer weit verbreiteten Krankheit
erkennen; aber es hat uns doch gefreut, daß bei redlichem Willen auch die
entgegengesetztesten Standpunkte im Ganzen auf ein ähnliches Resultat führen.
Auf Einiges hat der Verfasser aufmerksam gemacht, was bisher weniger
beachtet wurde. Wenn er z. B. die beiden ersten Tragödien überschätzt, so
hebt er ganz richtig die antichristliche Weltanschauung derselben hervor, die in
den spätern Dichtungen Heines immer wiederkehrt. Er macht aus den Ein¬
fluß der Rahel aufmerksam, motivirt die ersten Weltschmerzgedichte durch eine
unglückliche Liebe, von deren Beschaffenheit wir uns bei Heine freilich keine
rechte Vorstellung machen können, nimmt in der Polemik gegen Börne für
Heine Partei und zeigt, daß auch in seinen letzten Jahren von eigentlicher
Bekehrung nicht die 'Rede ist: Heine brachte es nie zum Glauben, sondern
nur zur Sehnsucht nach einem Glauben, , mit der er eigentlich schon
begann.

Von or Ludwig Eckardt zu Bern liegen uns mehre ästhetische Ver¬
suche vor, zunächst eine Studie: Die theistische Begründung der Aesthetik
im Gegensatz zur pantheistischen. Es wird uns darin mitgetheilt, daß
bereits eine theistische Schule der Aesthetik besteht, zu welcher außer dem
Verfasser namentlich Carriere, Fichte, Wirth, Weiße und Ulrici
gehören sollen. Gegner ist namentlich der Panlheist ni scher, der
übrigens im Ganzen sehr höflich behandelt wird. Das 'Büchlein ist deshalb
merkwürdig, weil es zeigt, wie wenig mitunter selbst Docenten der Philosophie
wissen, um was es sich eigentlich handelt. Mit dem unglückseligen Stich¬
wort des Pantheismus sollte man endlich ein Ende machen. Im eigentlichen
Sinn könnte man nur denjenigen Dichter einen Pantheisten nennen, der
innerhalb der sittlichen Welt über das Urtheil auf das, was göttlich oder
ungöttlich, gut oder böse ist, verzichtet. Solche Dichter gibt es allerdings,
aber sie machen eine Ausnahme und gehen nur selten auf die letzten Conseguenzen
ihres Princips ein. Gewöhnlich aber versteht man unter Pantheismus etwas
Anderes, nämlich die Fähigkeit deö Dichters, in allen Gegenständen, wie
gering sie auch sein mögen, Spuren des göttlichen Leben,? zu entdecken
d> h. mit andern Worten, sie für fähig des Ideals und der- poetischen Behand¬
lung zu erklären. Dieser Begriff deS Pantheismus ist viel weniger dem
Ehustenthum und dem Theismus überhaupt, als vielmehr dem akademischen
Idealismus entgegengesetzt. Für den letzteren sind nur gewisse Dinge salon¬
fähig, während der echte Dichter sich dreist in den Strom des allgemeinen
Lebens taucht, fest überzeugt, daß der Geist alles Dasein durchdringe. Was
Nun den Theismus betrifft, so muß man unterscheiden zwischen dem frommen
Glauben, der, von der Vorsehung Gottes überzeugt, dennoch seine Wege


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/423>, abgerufen am 23.07.2024.