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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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wie die wachen Zustände der Wirklichkeit zu behandeln, und wie wir schon oben
bemerkten, es ist mit Naturmenschen wie mit Kindern. Man soll sich über
die Sprünge ihres Gefühls klar werden, aber man soll nicht darüber ver¬
gessen, daß es wirkliche Sprünge sind, man soll nicht eine verständige oder
gar tragische Dialektik hineinlegen wollen.

Von den deutschen Dichtern kannten wir bisher nur zwei, die ein
eminentes Talent hatten, für dergleichen Zustände den richtigen Ton zu fin¬
den, Jean Paul und Jeremias Gotthelf. Wir freuen uns, daß wir
nach der Heiterethei auch Otto Ludwig dazu rechnen können. Da er aber
in seinen frühern Werken keine Spur von Humor zeigt, so wird es vielleicht
am zweckmäßigsten sein, wenn wir unsere Behauptung durch ein Beispiel
belegen. Wir wählen dazu die zweite Erzählung: Aus dem Regen in die
Traufe. Ein armseliges, zwerghaftes Schneiderlein, daß von seiner Mutter
regelmäßig durchgehauen, von den Mädchen und Buben des Orts auf der
Straße verhöhnt wird, trägt sich mit der Einbildung, ein Held und ein Don
Juan zu sein. Dieses Traumleben wird durch ein gutes Mädchen genährt,
die bei ihm in Dienst steht, Samuel, und die ihn so lieb hat, daß sie alle
seine Erfindungen als baare Münze aufnimmt. Da er insgeheim in lichten
Augenblicken selber an seinem Heroismus zweifelt, verweist er alle, die erfahren
wollen, was für ein Kerl er sei, auf Samuels Aussagen. Es passirt ihm
mitunter, daß er Samuel selbst darauf verweist. Nun war lange Zeit sein
Ideal, eine kolossale Braut, einen kolossalen Hund und einen kolossalen Ge¬
sellen zu besitzen. Sein Wunsch wird ihm erfüllt, ein großes dickes Weibs¬
bild entschließt sich ihn zu heirathen, weil er einiges Vermögen besitzt, und
ein gutmüthiger humoristischer Niese stellt sich bei ihm als Geselle el". Er
weiß sich vor Selbstgefühl nicht mehr zu lassen, bis ihm die treue Samuel einmal
auseinandersetzt, seine Braut, die Schwarze genannt, sei darauf aus, ihw
untreu zu werden und den Gesellen zu heirathen.

"Mordsappermenl, sagte er, und daß dich der Guckuck hätt, Samuel,
nu wirds schrecklich. Solch eine Geschieht hat noch nicht im Schackigter
Kalender gestanden, wie das eine wird -- weißt du, wie die, wo daS Bild
davon ist dabei gewest." -- Der Samuel wurde es bange. "Ach Gott,
HanneSie, du hast doch nichts Schlimmes vor?" -- "Wenn einer
einmal so weit ist, sagte der Schneider, hermachen hört alles auf. sammele,
ich weiß noch nicht was wird, aber wenns wird, hermachen wirds was Schreck-
lichs. Du weißt nicht, was ich für einer bin, wenn ich anfang. Wenn ich
anfang, hermachen hats aufgehört. Frag nur die Samuel. Und erschreck nicht,
Samuel, wenns wird.".

Die Samuel that was sie konnte, ihn zu besänftigen; eS war vergebens


wie die wachen Zustände der Wirklichkeit zu behandeln, und wie wir schon oben
bemerkten, es ist mit Naturmenschen wie mit Kindern. Man soll sich über
die Sprünge ihres Gefühls klar werden, aber man soll nicht darüber ver¬
gessen, daß es wirkliche Sprünge sind, man soll nicht eine verständige oder
gar tragische Dialektik hineinlegen wollen.

Von den deutschen Dichtern kannten wir bisher nur zwei, die ein
eminentes Talent hatten, für dergleichen Zustände den richtigen Ton zu fin¬
den, Jean Paul und Jeremias Gotthelf. Wir freuen uns, daß wir
nach der Heiterethei auch Otto Ludwig dazu rechnen können. Da er aber
in seinen frühern Werken keine Spur von Humor zeigt, so wird es vielleicht
am zweckmäßigsten sein, wenn wir unsere Behauptung durch ein Beispiel
belegen. Wir wählen dazu die zweite Erzählung: Aus dem Regen in die
Traufe. Ein armseliges, zwerghaftes Schneiderlein, daß von seiner Mutter
regelmäßig durchgehauen, von den Mädchen und Buben des Orts auf der
Straße verhöhnt wird, trägt sich mit der Einbildung, ein Held und ein Don
Juan zu sein. Dieses Traumleben wird durch ein gutes Mädchen genährt,
die bei ihm in Dienst steht, Samuel, und die ihn so lieb hat, daß sie alle
seine Erfindungen als baare Münze aufnimmt. Da er insgeheim in lichten
Augenblicken selber an seinem Heroismus zweifelt, verweist er alle, die erfahren
wollen, was für ein Kerl er sei, auf Samuels Aussagen. Es passirt ihm
mitunter, daß er Samuel selbst darauf verweist. Nun war lange Zeit sein
Ideal, eine kolossale Braut, einen kolossalen Hund und einen kolossalen Ge¬
sellen zu besitzen. Sein Wunsch wird ihm erfüllt, ein großes dickes Weibs¬
bild entschließt sich ihn zu heirathen, weil er einiges Vermögen besitzt, und
ein gutmüthiger humoristischer Niese stellt sich bei ihm als Geselle el». Er
weiß sich vor Selbstgefühl nicht mehr zu lassen, bis ihm die treue Samuel einmal
auseinandersetzt, seine Braut, die Schwarze genannt, sei darauf aus, ihw
untreu zu werden und den Gesellen zu heirathen.

„Mordsappermenl, sagte er, und daß dich der Guckuck hätt, Samuel,
nu wirds schrecklich. Solch eine Geschieht hat noch nicht im Schackigter
Kalender gestanden, wie das eine wird — weißt du, wie die, wo daS Bild
davon ist dabei gewest." — Der Samuel wurde es bange. „Ach Gott,
HanneSie, du hast doch nichts Schlimmes vor?" — „Wenn einer
einmal so weit ist, sagte der Schneider, hermachen hört alles auf. sammele,
ich weiß noch nicht was wird, aber wenns wird, hermachen wirds was Schreck-
lichs. Du weißt nicht, was ich für einer bin, wenn ich anfang. Wenn ich
anfang, hermachen hats aufgehört. Frag nur die Samuel. Und erschreck nicht,
Samuel, wenns wird.".

Die Samuel that was sie konnte, ihn zu besänftigen; eS war vergebens


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[0416] wie die wachen Zustände der Wirklichkeit zu behandeln, und wie wir schon oben bemerkten, es ist mit Naturmenschen wie mit Kindern. Man soll sich über die Sprünge ihres Gefühls klar werden, aber man soll nicht darüber ver¬ gessen, daß es wirkliche Sprünge sind, man soll nicht eine verständige oder gar tragische Dialektik hineinlegen wollen. Von den deutschen Dichtern kannten wir bisher nur zwei, die ein eminentes Talent hatten, für dergleichen Zustände den richtigen Ton zu fin¬ den, Jean Paul und Jeremias Gotthelf. Wir freuen uns, daß wir nach der Heiterethei auch Otto Ludwig dazu rechnen können. Da er aber in seinen frühern Werken keine Spur von Humor zeigt, so wird es vielleicht am zweckmäßigsten sein, wenn wir unsere Behauptung durch ein Beispiel belegen. Wir wählen dazu die zweite Erzählung: Aus dem Regen in die Traufe. Ein armseliges, zwerghaftes Schneiderlein, daß von seiner Mutter regelmäßig durchgehauen, von den Mädchen und Buben des Orts auf der Straße verhöhnt wird, trägt sich mit der Einbildung, ein Held und ein Don Juan zu sein. Dieses Traumleben wird durch ein gutes Mädchen genährt, die bei ihm in Dienst steht, Samuel, und die ihn so lieb hat, daß sie alle seine Erfindungen als baare Münze aufnimmt. Da er insgeheim in lichten Augenblicken selber an seinem Heroismus zweifelt, verweist er alle, die erfahren wollen, was für ein Kerl er sei, auf Samuels Aussagen. Es passirt ihm mitunter, daß er Samuel selbst darauf verweist. Nun war lange Zeit sein Ideal, eine kolossale Braut, einen kolossalen Hund und einen kolossalen Ge¬ sellen zu besitzen. Sein Wunsch wird ihm erfüllt, ein großes dickes Weibs¬ bild entschließt sich ihn zu heirathen, weil er einiges Vermögen besitzt, und ein gutmüthiger humoristischer Niese stellt sich bei ihm als Geselle el». Er weiß sich vor Selbstgefühl nicht mehr zu lassen, bis ihm die treue Samuel einmal auseinandersetzt, seine Braut, die Schwarze genannt, sei darauf aus, ihw untreu zu werden und den Gesellen zu heirathen. „Mordsappermenl, sagte er, und daß dich der Guckuck hätt, Samuel, nu wirds schrecklich. Solch eine Geschieht hat noch nicht im Schackigter Kalender gestanden, wie das eine wird — weißt du, wie die, wo daS Bild davon ist dabei gewest." — Der Samuel wurde es bange. „Ach Gott, HanneSie, du hast doch nichts Schlimmes vor?" — „Wenn einer einmal so weit ist, sagte der Schneider, hermachen hört alles auf. sammele, ich weiß noch nicht was wird, aber wenns wird, hermachen wirds was Schreck- lichs. Du weißt nicht, was ich für einer bin, wenn ich anfang. Wenn ich anfang, hermachen hats aufgehört. Frag nur die Samuel. Und erschreck nicht, Samuel, wenns wird.". Die Samuel that was sie konnte, ihn zu besänftigen; eS war vergebens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/416>, abgerufen am 23.07.2024.