Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Er lief nach der Wohnstube, die Samuel eilte nach, aber die Thür war hinter
dem Schneider ins Schloß gefallend

Der Geselle war allein in der Wohnstube gewesen, er saß und nähte.
Der Schneider lief zur Brücke (d. h. dem Schneidersitz) und schwang sich
hinaus. "Nu ists aus, sagte er, nu ists aus." -- Der Gesell griff phleg¬
matisch in seine Tasche und brachte sein Schnellfeuerzeug hervor, er betrachtete
den Meister verwundert. -- "Das was aus ist, sagte der Schneider gewaltig,
das kann nicht wieder angezündt werden." -- "Ja, sagte der Gesell, der
Meester hat seine Pfeife auScheraucht, ich dachte, sie wär ihm blos aus-
chechangen. Nu da ist zu helfen." -- "Ja von wegen, sagte der Schneider
mit schrecklicher Stimme, wem,da die Pfeife nicht ausgeht! Aber ein End
will ich machen. Meine Braut daS ist meine Braut, weiß er das?" -- "Ach
der Meester ist doch nicht char eifersüchtig; die Müh braucht der Meester sich
nich zu ehedem." -- "Ich kann mir soviel Müh geben als ich will, sagte der
Schneider außer sich. Ich bin der Meister und er ist mein Gesell. Ich laß
mir nicht vorschreiben, was für Müh ich mir soll geben. Ich geb mir eine
Müh, was für eine ich will. Und das geht keinen Menschen was an-
geschweig meinen Gesell. Und wenn er nicht still ist, so ist mirs nicht zu
viel, ich schmeiß ihn zur Thür da naus." -- "Na, sagte der Gesell phleg,
matisch, ich hätte doch chemeint, das wär dem Meester zuviel. Er müßte
chedenken, es auf zweimal zu machen."

Der Schneider focht mit beiden Händen in der Luft. Der Geselle hatte
bemerkt, dem Meister war die Pfeife wirklich ausgegangen; er hatte ruhig ein
Hölzchen in Brand gesteckt, ein altes Stück Kleidermaß angezündet, und hielt
es dem Meister auf den Tabak. Während dieser seine Pfeife mechanisch in
Brand setzte, aber mit schrecklichen Gesichtern andeutete, daß deshalb der Friede
noch nicht geschlossen sei, fuhr der Gesell fort: "Na und ich dächte der
Meester hätte mir einen bessern Geschmack zuchctraut, als daß ich mich um
das alte schwarze Cheschöpse sollte bemühn. Da kann der Meester ruhig sein.
DaS kann keinem vernünftigen Menschen ins Chehirn kommen, wo so ein
chemüthlicheS Mädchen zündenden ist. Ich bin weit herum chekommen, aber so
hübsch hat mir noch keine chesehcn, wie die Samuel da bei ihm im Hause;
dus müßt ein ander Frauchen ehedem."

Dem Schneider ging zum zweiten mal die Pfeife aus, er Vergaß seinen
ganzen Zorn über einen neuen Gedanken. Im Licht eines Heirathbaren
Mädchens hatte er die Samuel noch gar nicht gesehn. Der Gesell, wußte er,
wollte sich eine Frau holen, eS kam ihm die Angst, er möchte die Samuel
wollen, und diese Angst zeigte ihm mit einem Blick, was er bis jetzt nicht
gesehn: die Samuel wuchs ihm wie durch Zauberei in einem Nu von einem
kleinen Mädchen zu einer mannbaren Jungfrau auf, die heirathen konnte,


Grenzboten IV. 18S7. , 32

Er lief nach der Wohnstube, die Samuel eilte nach, aber die Thür war hinter
dem Schneider ins Schloß gefallend

Der Geselle war allein in der Wohnstube gewesen, er saß und nähte.
Der Schneider lief zur Brücke (d. h. dem Schneidersitz) und schwang sich
hinaus. „Nu ists aus, sagte er, nu ists aus." — Der Gesell griff phleg¬
matisch in seine Tasche und brachte sein Schnellfeuerzeug hervor, er betrachtete
den Meister verwundert. — „Das was aus ist, sagte der Schneider gewaltig,
das kann nicht wieder angezündt werden." — „Ja, sagte der Gesell, der
Meester hat seine Pfeife auScheraucht, ich dachte, sie wär ihm blos aus-
chechangen. Nu da ist zu helfen." — „Ja von wegen, sagte der Schneider
mit schrecklicher Stimme, wem,da die Pfeife nicht ausgeht! Aber ein End
will ich machen. Meine Braut daS ist meine Braut, weiß er das?" — „Ach
der Meester ist doch nicht char eifersüchtig; die Müh braucht der Meester sich
nich zu ehedem." — „Ich kann mir soviel Müh geben als ich will, sagte der
Schneider außer sich. Ich bin der Meister und er ist mein Gesell. Ich laß
mir nicht vorschreiben, was für Müh ich mir soll geben. Ich geb mir eine
Müh, was für eine ich will. Und das geht keinen Menschen was an-
geschweig meinen Gesell. Und wenn er nicht still ist, so ist mirs nicht zu
viel, ich schmeiß ihn zur Thür da naus." — „Na, sagte der Gesell phleg,
matisch, ich hätte doch chemeint, das wär dem Meester zuviel. Er müßte
chedenken, es auf zweimal zu machen."

Der Schneider focht mit beiden Händen in der Luft. Der Geselle hatte
bemerkt, dem Meister war die Pfeife wirklich ausgegangen; er hatte ruhig ein
Hölzchen in Brand gesteckt, ein altes Stück Kleidermaß angezündet, und hielt
es dem Meister auf den Tabak. Während dieser seine Pfeife mechanisch in
Brand setzte, aber mit schrecklichen Gesichtern andeutete, daß deshalb der Friede
noch nicht geschlossen sei, fuhr der Gesell fort: „Na und ich dächte der
Meester hätte mir einen bessern Geschmack zuchctraut, als daß ich mich um
das alte schwarze Cheschöpse sollte bemühn. Da kann der Meester ruhig sein.
DaS kann keinem vernünftigen Menschen ins Chehirn kommen, wo so ein
chemüthlicheS Mädchen zündenden ist. Ich bin weit herum chekommen, aber so
hübsch hat mir noch keine chesehcn, wie die Samuel da bei ihm im Hause;
dus müßt ein ander Frauchen ehedem."

Dem Schneider ging zum zweiten mal die Pfeife aus, er Vergaß seinen
ganzen Zorn über einen neuen Gedanken. Im Licht eines Heirathbaren
Mädchens hatte er die Samuel noch gar nicht gesehn. Der Gesell, wußte er,
wollte sich eine Frau holen, eS kam ihm die Angst, er möchte die Samuel
wollen, und diese Angst zeigte ihm mit einem Blick, was er bis jetzt nicht
gesehn: die Samuel wuchs ihm wie durch Zauberei in einem Nu von einem
kleinen Mädchen zu einer mannbaren Jungfrau auf, die heirathen konnte,


Grenzboten IV. 18S7. , 32
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0417" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105152"/>
          <p xml:id="ID_1139" prev="#ID_1138"> Er lief nach der Wohnstube, die Samuel eilte nach, aber die Thür war hinter<lb/>
dem Schneider ins Schloß gefallend</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1140"> Der Geselle war allein in der Wohnstube gewesen, er saß und nähte.<lb/>
Der Schneider lief zur Brücke (d. h. dem Schneidersitz) und schwang sich<lb/>
hinaus. &#x201E;Nu ists aus, sagte er, nu ists aus." &#x2014; Der Gesell griff phleg¬<lb/>
matisch in seine Tasche und brachte sein Schnellfeuerzeug hervor, er betrachtete<lb/>
den Meister verwundert. &#x2014; &#x201E;Das was aus ist, sagte der Schneider gewaltig,<lb/>
das kann nicht wieder angezündt werden." &#x2014; &#x201E;Ja, sagte der Gesell, der<lb/>
Meester hat seine Pfeife auScheraucht, ich dachte, sie wär ihm blos aus-<lb/>
chechangen. Nu da ist zu helfen." &#x2014; &#x201E;Ja von wegen, sagte der Schneider<lb/>
mit schrecklicher Stimme, wem,da die Pfeife nicht ausgeht! Aber ein End<lb/>
will ich machen. Meine Braut daS ist meine Braut, weiß er das?" &#x2014; &#x201E;Ach<lb/>
der Meester ist doch nicht char eifersüchtig; die Müh braucht der Meester sich<lb/>
nich zu ehedem." &#x2014; &#x201E;Ich kann mir soviel Müh geben als ich will, sagte der<lb/>
Schneider außer sich. Ich bin der Meister und er ist mein Gesell. Ich laß<lb/>
mir nicht vorschreiben, was für Müh ich mir soll geben. Ich geb mir eine<lb/>
Müh, was für eine ich will. Und das geht keinen Menschen was an-<lb/>
geschweig meinen Gesell. Und wenn er nicht still ist, so ist mirs nicht zu<lb/>
viel, ich schmeiß ihn zur Thür da naus." &#x2014; &#x201E;Na, sagte der Gesell phleg,<lb/>
matisch, ich hätte doch chemeint, das wär dem Meester zuviel. Er müßte<lb/>
chedenken, es auf zweimal zu machen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1141"> Der Schneider focht mit beiden Händen in der Luft. Der Geselle hatte<lb/>
bemerkt, dem Meister war die Pfeife wirklich ausgegangen; er hatte ruhig ein<lb/>
Hölzchen in Brand gesteckt, ein altes Stück Kleidermaß angezündet, und hielt<lb/>
es dem Meister auf den Tabak. Während dieser seine Pfeife mechanisch in<lb/>
Brand setzte, aber mit schrecklichen Gesichtern andeutete, daß deshalb der Friede<lb/>
noch nicht geschlossen sei, fuhr der Gesell fort: &#x201E;Na und ich dächte der<lb/>
Meester hätte mir einen bessern Geschmack zuchctraut, als daß ich mich um<lb/>
das alte schwarze Cheschöpse sollte bemühn. Da kann der Meester ruhig sein.<lb/>
DaS kann keinem vernünftigen Menschen ins Chehirn kommen, wo so ein<lb/>
chemüthlicheS Mädchen zündenden ist. Ich bin weit herum chekommen, aber so<lb/>
hübsch hat mir noch keine chesehcn, wie die Samuel da bei ihm im Hause;<lb/>
dus müßt ein ander Frauchen ehedem."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1142" next="#ID_1143"> Dem Schneider ging zum zweiten mal die Pfeife aus, er Vergaß seinen<lb/>
ganzen Zorn über einen neuen Gedanken. Im Licht eines Heirathbaren<lb/>
Mädchens hatte er die Samuel noch gar nicht gesehn. Der Gesell, wußte er,<lb/>
wollte sich eine Frau holen, eS kam ihm die Angst, er möchte die Samuel<lb/>
wollen, und diese Angst zeigte ihm mit einem Blick, was er bis jetzt nicht<lb/>
gesehn: die Samuel wuchs ihm wie durch Zauberei in einem Nu von einem<lb/>
kleinen Mädchen zu einer mannbaren Jungfrau auf, die heirathen konnte,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 18S7. , 32</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0417] Er lief nach der Wohnstube, die Samuel eilte nach, aber die Thür war hinter dem Schneider ins Schloß gefallend Der Geselle war allein in der Wohnstube gewesen, er saß und nähte. Der Schneider lief zur Brücke (d. h. dem Schneidersitz) und schwang sich hinaus. „Nu ists aus, sagte er, nu ists aus." — Der Gesell griff phleg¬ matisch in seine Tasche und brachte sein Schnellfeuerzeug hervor, er betrachtete den Meister verwundert. — „Das was aus ist, sagte der Schneider gewaltig, das kann nicht wieder angezündt werden." — „Ja, sagte der Gesell, der Meester hat seine Pfeife auScheraucht, ich dachte, sie wär ihm blos aus- chechangen. Nu da ist zu helfen." — „Ja von wegen, sagte der Schneider mit schrecklicher Stimme, wem,da die Pfeife nicht ausgeht! Aber ein End will ich machen. Meine Braut daS ist meine Braut, weiß er das?" — „Ach der Meester ist doch nicht char eifersüchtig; die Müh braucht der Meester sich nich zu ehedem." — „Ich kann mir soviel Müh geben als ich will, sagte der Schneider außer sich. Ich bin der Meister und er ist mein Gesell. Ich laß mir nicht vorschreiben, was für Müh ich mir soll geben. Ich geb mir eine Müh, was für eine ich will. Und das geht keinen Menschen was an- geschweig meinen Gesell. Und wenn er nicht still ist, so ist mirs nicht zu viel, ich schmeiß ihn zur Thür da naus." — „Na, sagte der Gesell phleg, matisch, ich hätte doch chemeint, das wär dem Meester zuviel. Er müßte chedenken, es auf zweimal zu machen." Der Schneider focht mit beiden Händen in der Luft. Der Geselle hatte bemerkt, dem Meister war die Pfeife wirklich ausgegangen; er hatte ruhig ein Hölzchen in Brand gesteckt, ein altes Stück Kleidermaß angezündet, und hielt es dem Meister auf den Tabak. Während dieser seine Pfeife mechanisch in Brand setzte, aber mit schrecklichen Gesichtern andeutete, daß deshalb der Friede noch nicht geschlossen sei, fuhr der Gesell fort: „Na und ich dächte der Meester hätte mir einen bessern Geschmack zuchctraut, als daß ich mich um das alte schwarze Cheschöpse sollte bemühn. Da kann der Meester ruhig sein. DaS kann keinem vernünftigen Menschen ins Chehirn kommen, wo so ein chemüthlicheS Mädchen zündenden ist. Ich bin weit herum chekommen, aber so hübsch hat mir noch keine chesehcn, wie die Samuel da bei ihm im Hause; dus müßt ein ander Frauchen ehedem." Dem Schneider ging zum zweiten mal die Pfeife aus, er Vergaß seinen ganzen Zorn über einen neuen Gedanken. Im Licht eines Heirathbaren Mädchens hatte er die Samuel noch gar nicht gesehn. Der Gesell, wußte er, wollte sich eine Frau holen, eS kam ihm die Angst, er möchte die Samuel wollen, und diese Angst zeigte ihm mit einem Blick, was er bis jetzt nicht gesehn: die Samuel wuchs ihm wie durch Zauberei in einem Nu von einem kleinen Mädchen zu einer mannbaren Jungfrau auf, die heirathen konnte, Grenzboten IV. 18S7. , 32

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/417
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/417>, abgerufen am 23.07.2024.