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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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lvgie, in der sich Hegel über die Unwissenschaftlichkeit seiner eilten Freunde,
der Naturphilosophen, mit ebenso großer Härte aussprach, als früher über
die Unschönheit der Neflerionsphilosophie. Indem er mit den charakteristischen
Stichworten die beiden Schulen bezeichnete, behauptete er, das Absolute
müsse sowol Substanz als Subject sein, d. h. die echte Philosophie müsse
mit dem Ziel des schellingschen Systems die Methode des fichtcschen ver¬
binden; eS müsse der Natur Gerechtigkeit widerfahren lassen, indem eS zugleich
mit seiner Sonde in den Schacht des menschlichen Geistes hinabstieg. Mit
der Feststellung dieses richtigen Ziels ist freilich die Ausführung noch nicht
gegeben. Die Ausführung, die Hegel versuchte, ist gescheitert; darin stimmen
mir mit Haym überein, wenn wir auch den folgenden harten Ausspruch nur
bedingt gelten lassen. "Weder die Substanz kommt in dieser Philosophie zu
ihrem ehrlichen Rechte, noch das Subject. Oder um diese Formeln zu dol¬
metschen: in ihrem Princip ist diese Philosophie romantisch geblieben, in
ihrer Ausführung ist sie der schlechtesten Reflexion und der dürrsten Scholastik
verfallen. Sie hat nichts gethan, als den Formalismus der ästhetischen An¬
schauung auf den Formalismus der Aufklärung zu projiciren; weit entfernt
die beiden Gegensätze zur Durchdringung zu bringen, hat sie dieselben nur
mittelst einer künstlichen Veranstaltung in ein vorübergehendes Gleichgewicht
gebracht. Ihre Verschlingung der zwiefachen Vildungsmoiive ist eine Illusion,
die täuschende Fata morgana einer zukünftigen BildungSform, an deren Her¬
beiführung unsere Nation eben jetzt fast mit Hoffnungslosigkeit arbeitet. Zu"'
wirklichen Ausdruck dagegen, ist sie geworden für eine Zeit, die wahrlich kaum
eine Caricatur ihres Ideals war. Gleich sehr mit ihrer romantischen, wie
mit ihrer scholastischen Seite, gleich sehr mit diesen ihren beiden Seiten wie
mit ihrer verzwickten Verbindung beider ist sie die Philosophie der Restau¬
ration geworden und hat sich ebenso in deren Quietismus, wie in deren
Sophistik gefügt."

Worin die Einseitigkeit dieser Auffassung besteht, wenn wir Hegels Lehre
im Ganzen vor Augen halten, davon später. Vollkommen begründet ist ^
in Bezug auf die Ph änomenologie, in welcher Hegel zuerst seine Ideen
zu einem Kunstwerk abzurunden suchte. Die Charakteristik dieser seltsamen
Schrift, an der sich schon Unzählige vergebens abgemüht haben, ist ein Meister¬
stück. -- Ihr ursprünglicher Zweck ist, die Entwicklung des menschlichen Be¬
wußtseins von seiner niedrigsten Stufe bis zu seiner höchsten, bis zum absolu¬
ten Wissen vorzuzeichnen; die Genesis des absoluten Wissens, wie dieselbe
in der Natur deS Bewußtseins begründet sei; den Weg der Seele, "welche
die Reihe ihrer Gestaltungen als durch ihre Natur ihr vorgesteckte Statio¬
nen durchwandert, damit sie sich zum Geist läutere." Sie beginnt mit der
sinnlichen Gewißheit und dem Meinen, um zunächst durch die Wahr-


lvgie, in der sich Hegel über die Unwissenschaftlichkeit seiner eilten Freunde,
der Naturphilosophen, mit ebenso großer Härte aussprach, als früher über
die Unschönheit der Neflerionsphilosophie. Indem er mit den charakteristischen
Stichworten die beiden Schulen bezeichnete, behauptete er, das Absolute
müsse sowol Substanz als Subject sein, d. h. die echte Philosophie müsse
mit dem Ziel des schellingschen Systems die Methode des fichtcschen ver¬
binden; eS müsse der Natur Gerechtigkeit widerfahren lassen, indem eS zugleich
mit seiner Sonde in den Schacht des menschlichen Geistes hinabstieg. Mit
der Feststellung dieses richtigen Ziels ist freilich die Ausführung noch nicht
gegeben. Die Ausführung, die Hegel versuchte, ist gescheitert; darin stimmen
mir mit Haym überein, wenn wir auch den folgenden harten Ausspruch nur
bedingt gelten lassen. „Weder die Substanz kommt in dieser Philosophie zu
ihrem ehrlichen Rechte, noch das Subject. Oder um diese Formeln zu dol¬
metschen: in ihrem Princip ist diese Philosophie romantisch geblieben, in
ihrer Ausführung ist sie der schlechtesten Reflexion und der dürrsten Scholastik
verfallen. Sie hat nichts gethan, als den Formalismus der ästhetischen An¬
schauung auf den Formalismus der Aufklärung zu projiciren; weit entfernt
die beiden Gegensätze zur Durchdringung zu bringen, hat sie dieselben nur
mittelst einer künstlichen Veranstaltung in ein vorübergehendes Gleichgewicht
gebracht. Ihre Verschlingung der zwiefachen Vildungsmoiive ist eine Illusion,
die täuschende Fata morgana einer zukünftigen BildungSform, an deren Her¬
beiführung unsere Nation eben jetzt fast mit Hoffnungslosigkeit arbeitet. Zu»'
wirklichen Ausdruck dagegen, ist sie geworden für eine Zeit, die wahrlich kaum
eine Caricatur ihres Ideals war. Gleich sehr mit ihrer romantischen, wie
mit ihrer scholastischen Seite, gleich sehr mit diesen ihren beiden Seiten wie
mit ihrer verzwickten Verbindung beider ist sie die Philosophie der Restau¬
ration geworden und hat sich ebenso in deren Quietismus, wie in deren
Sophistik gefügt."

Worin die Einseitigkeit dieser Auffassung besteht, wenn wir Hegels Lehre
im Ganzen vor Augen halten, davon später. Vollkommen begründet ist ^
in Bezug auf die Ph änomenologie, in welcher Hegel zuerst seine Ideen
zu einem Kunstwerk abzurunden suchte. Die Charakteristik dieser seltsamen
Schrift, an der sich schon Unzählige vergebens abgemüht haben, ist ein Meister¬
stück. — Ihr ursprünglicher Zweck ist, die Entwicklung des menschlichen Be¬
wußtseins von seiner niedrigsten Stufe bis zu seiner höchsten, bis zum absolu¬
ten Wissen vorzuzeichnen; die Genesis des absoluten Wissens, wie dieselbe
in der Natur deS Bewußtseins begründet sei; den Weg der Seele, „welche
die Reihe ihrer Gestaltungen als durch ihre Natur ihr vorgesteckte Statio¬
nen durchwandert, damit sie sich zum Geist läutere." Sie beginnt mit der
sinnlichen Gewißheit und dem Meinen, um zunächst durch die Wahr-


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[0384] lvgie, in der sich Hegel über die Unwissenschaftlichkeit seiner eilten Freunde, der Naturphilosophen, mit ebenso großer Härte aussprach, als früher über die Unschönheit der Neflerionsphilosophie. Indem er mit den charakteristischen Stichworten die beiden Schulen bezeichnete, behauptete er, das Absolute müsse sowol Substanz als Subject sein, d. h. die echte Philosophie müsse mit dem Ziel des schellingschen Systems die Methode des fichtcschen ver¬ binden; eS müsse der Natur Gerechtigkeit widerfahren lassen, indem eS zugleich mit seiner Sonde in den Schacht des menschlichen Geistes hinabstieg. Mit der Feststellung dieses richtigen Ziels ist freilich die Ausführung noch nicht gegeben. Die Ausführung, die Hegel versuchte, ist gescheitert; darin stimmen mir mit Haym überein, wenn wir auch den folgenden harten Ausspruch nur bedingt gelten lassen. „Weder die Substanz kommt in dieser Philosophie zu ihrem ehrlichen Rechte, noch das Subject. Oder um diese Formeln zu dol¬ metschen: in ihrem Princip ist diese Philosophie romantisch geblieben, in ihrer Ausführung ist sie der schlechtesten Reflexion und der dürrsten Scholastik verfallen. Sie hat nichts gethan, als den Formalismus der ästhetischen An¬ schauung auf den Formalismus der Aufklärung zu projiciren; weit entfernt die beiden Gegensätze zur Durchdringung zu bringen, hat sie dieselben nur mittelst einer künstlichen Veranstaltung in ein vorübergehendes Gleichgewicht gebracht. Ihre Verschlingung der zwiefachen Vildungsmoiive ist eine Illusion, die täuschende Fata morgana einer zukünftigen BildungSform, an deren Her¬ beiführung unsere Nation eben jetzt fast mit Hoffnungslosigkeit arbeitet. Zu»' wirklichen Ausdruck dagegen, ist sie geworden für eine Zeit, die wahrlich kaum eine Caricatur ihres Ideals war. Gleich sehr mit ihrer romantischen, wie mit ihrer scholastischen Seite, gleich sehr mit diesen ihren beiden Seiten wie mit ihrer verzwickten Verbindung beider ist sie die Philosophie der Restau¬ ration geworden und hat sich ebenso in deren Quietismus, wie in deren Sophistik gefügt." Worin die Einseitigkeit dieser Auffassung besteht, wenn wir Hegels Lehre im Ganzen vor Augen halten, davon später. Vollkommen begründet ist ^ in Bezug auf die Ph änomenologie, in welcher Hegel zuerst seine Ideen zu einem Kunstwerk abzurunden suchte. Die Charakteristik dieser seltsamen Schrift, an der sich schon Unzählige vergebens abgemüht haben, ist ein Meister¬ stück. — Ihr ursprünglicher Zweck ist, die Entwicklung des menschlichen Be¬ wußtseins von seiner niedrigsten Stufe bis zu seiner höchsten, bis zum absolu¬ ten Wissen vorzuzeichnen; die Genesis des absoluten Wissens, wie dieselbe in der Natur deS Bewußtseins begründet sei; den Weg der Seele, „welche die Reihe ihrer Gestaltungen als durch ihre Natur ihr vorgesteckte Statio¬ nen durchwandert, damit sie sich zum Geist läutere." Sie beginnt mit der sinnlichen Gewißheit und dem Meinen, um zunächst durch die Wahr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/384>, abgerufen am 23.07.2024.