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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Stelle des, fichteschen "Ich" tritt das Absolute, das sich zuerst als Begriff
constituirt, dann sich als Natur realisirt, endlich als Geist sich wiederfindet.
-- Diese Methode hatte bei Fichte, der ehrlich schematisire, nur Leeres hervor¬
gebracht; bei Hegel tritt eine unendliche Fülle concreten Lebens ein, aber nur
weil er in die scheinbare Bewegung des abstracten Begriffs durch einen sehr
geschickten Kunstgriff die Resultate der Anschauung eiuschwärzt. -- Alles, waS
ist, ist der Proceß des absoluten Geistes; die Natur desselben ist in allen
Dingen, so daß jedes "in ihm selbst die absolute Unendlichkeit und den Kreis¬
lauf der Momente darstellt, keines ruht und feststeht, sondern absolut sich be¬
wegt und vermindert ... so daß jedes in seinem Auderswerden zugleich ist
und in seinem Sein zugleich geht." "Das Bestimmte als solches hat kein
anderes Wesen als diese absolute Unruhe, nicht zu sein, was es ist." -- ES
scheint so, und eS liegt in der That in Hegels Princip, daß diese Bewegung der
Begriffe unabhängig von dem subjectiven Denken der Menschen vor sich gehe;
in der That hat er die Entwickelung der Begriffe innerhalb der Geschichte der
Philosophie vor Augen.

Sein historischer Sinn ließ ihn die Ideen wesentlich so fassen, wie sie im
geschichtlichen Verlauf des deutschen philosophischen Denkens gefaßt worden
waren. Dieser Sinn eröffnete ihm daS Auge sür diejenigen Beziehungen der
Ideen untereinander, die schon Kant oder Leibnitz geltend gemacht, die Kant
vom wolffschen Dogmatismus zum Kriticismus, und die Fichte von der ehe'
maligen objectiven zu seiner subjectiven Metaphysik hiuübergetrieben hatten-
Hegel "realisirte" in seinem System die Begriffe auf die verschiedenste Weise. Er
realistrte sie nicht am schlechtesten dadurch, daß er ihre abstracte farblose Beschaffet"
heit durch die Farbe ihres geschichtlichen Werthes verminderte. Ebenso machte
er sie auf die verschiedenste Weise flüssig und übergangsfähig. Nicht die
schlechteste bestand darin, daß er sie in den Strom der geschichtlichen Entwicke¬
lung hineintauchte. Die Begriffe sind in Wahrheit so, wie sie in einer be¬
stimmten Zeit verstanden wurden, und sie werden in Wahrheit zu dem, wo¬
zu sie beim geschichtlichen Uebergang von System zu System wurden.
Mit diesen Prämissen waren die Fugen gegeben, aus denen daS hegelsche
Sysiem nie gewichen ist; Hegels Uebersiedlung nach Jena, die damalige
Metropole der Speculation, gab seinem bisherigen einsamen Grübeln einen
bestimmten Platz in der historischen Entwickelung des deutschen Idealismus.l

Durch Schelling, seinen alten Freund von der Schule her, war Hege
nach Jena berufen; sie waren, unabhängig voneinander, in ihrer philosophi¬
schen Entwickelung ungefähr in dem nämlichen Stadium angelangt und traten
nun dem Publicum gegenüber als Verbündete, als Apostel eines gemeinsamen
Evangeliums auf. Die Verwandtschaft lag hauptsächlich darin, daß beide "n
Gegensatz zur kritischen Methode den Inbegriff ihrer Weltansicht in dar-


Stelle des, fichteschen „Ich" tritt das Absolute, das sich zuerst als Begriff
constituirt, dann sich als Natur realisirt, endlich als Geist sich wiederfindet.
— Diese Methode hatte bei Fichte, der ehrlich schematisire, nur Leeres hervor¬
gebracht; bei Hegel tritt eine unendliche Fülle concreten Lebens ein, aber nur
weil er in die scheinbare Bewegung des abstracten Begriffs durch einen sehr
geschickten Kunstgriff die Resultate der Anschauung eiuschwärzt. — Alles, waS
ist, ist der Proceß des absoluten Geistes; die Natur desselben ist in allen
Dingen, so daß jedes „in ihm selbst die absolute Unendlichkeit und den Kreis¬
lauf der Momente darstellt, keines ruht und feststeht, sondern absolut sich be¬
wegt und vermindert ... so daß jedes in seinem Auderswerden zugleich ist
und in seinem Sein zugleich geht." „Das Bestimmte als solches hat kein
anderes Wesen als diese absolute Unruhe, nicht zu sein, was es ist." — ES
scheint so, und eS liegt in der That in Hegels Princip, daß diese Bewegung der
Begriffe unabhängig von dem subjectiven Denken der Menschen vor sich gehe;
in der That hat er die Entwickelung der Begriffe innerhalb der Geschichte der
Philosophie vor Augen.

Sein historischer Sinn ließ ihn die Ideen wesentlich so fassen, wie sie im
geschichtlichen Verlauf des deutschen philosophischen Denkens gefaßt worden
waren. Dieser Sinn eröffnete ihm daS Auge sür diejenigen Beziehungen der
Ideen untereinander, die schon Kant oder Leibnitz geltend gemacht, die Kant
vom wolffschen Dogmatismus zum Kriticismus, und die Fichte von der ehe'
maligen objectiven zu seiner subjectiven Metaphysik hiuübergetrieben hatten-
Hegel „realisirte" in seinem System die Begriffe auf die verschiedenste Weise. Er
realistrte sie nicht am schlechtesten dadurch, daß er ihre abstracte farblose Beschaffet"
heit durch die Farbe ihres geschichtlichen Werthes verminderte. Ebenso machte
er sie auf die verschiedenste Weise flüssig und übergangsfähig. Nicht die
schlechteste bestand darin, daß er sie in den Strom der geschichtlichen Entwicke¬
lung hineintauchte. Die Begriffe sind in Wahrheit so, wie sie in einer be¬
stimmten Zeit verstanden wurden, und sie werden in Wahrheit zu dem, wo¬
zu sie beim geschichtlichen Uebergang von System zu System wurden.
Mit diesen Prämissen waren die Fugen gegeben, aus denen daS hegelsche
Sysiem nie gewichen ist; Hegels Uebersiedlung nach Jena, die damalige
Metropole der Speculation, gab seinem bisherigen einsamen Grübeln einen
bestimmten Platz in der historischen Entwickelung des deutschen Idealismus.l

Durch Schelling, seinen alten Freund von der Schule her, war Hege
nach Jena berufen; sie waren, unabhängig voneinander, in ihrer philosophi¬
schen Entwickelung ungefähr in dem nämlichen Stadium angelangt und traten
nun dem Publicum gegenüber als Verbündete, als Apostel eines gemeinsamen
Evangeliums auf. Die Verwandtschaft lag hauptsächlich darin, daß beide »n
Gegensatz zur kritischen Methode den Inbegriff ihrer Weltansicht in dar-


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[0382] Stelle des, fichteschen „Ich" tritt das Absolute, das sich zuerst als Begriff constituirt, dann sich als Natur realisirt, endlich als Geist sich wiederfindet. — Diese Methode hatte bei Fichte, der ehrlich schematisire, nur Leeres hervor¬ gebracht; bei Hegel tritt eine unendliche Fülle concreten Lebens ein, aber nur weil er in die scheinbare Bewegung des abstracten Begriffs durch einen sehr geschickten Kunstgriff die Resultate der Anschauung eiuschwärzt. — Alles, waS ist, ist der Proceß des absoluten Geistes; die Natur desselben ist in allen Dingen, so daß jedes „in ihm selbst die absolute Unendlichkeit und den Kreis¬ lauf der Momente darstellt, keines ruht und feststeht, sondern absolut sich be¬ wegt und vermindert ... so daß jedes in seinem Auderswerden zugleich ist und in seinem Sein zugleich geht." „Das Bestimmte als solches hat kein anderes Wesen als diese absolute Unruhe, nicht zu sein, was es ist." — ES scheint so, und eS liegt in der That in Hegels Princip, daß diese Bewegung der Begriffe unabhängig von dem subjectiven Denken der Menschen vor sich gehe; in der That hat er die Entwickelung der Begriffe innerhalb der Geschichte der Philosophie vor Augen. Sein historischer Sinn ließ ihn die Ideen wesentlich so fassen, wie sie im geschichtlichen Verlauf des deutschen philosophischen Denkens gefaßt worden waren. Dieser Sinn eröffnete ihm daS Auge sür diejenigen Beziehungen der Ideen untereinander, die schon Kant oder Leibnitz geltend gemacht, die Kant vom wolffschen Dogmatismus zum Kriticismus, und die Fichte von der ehe' maligen objectiven zu seiner subjectiven Metaphysik hiuübergetrieben hatten- Hegel „realisirte" in seinem System die Begriffe auf die verschiedenste Weise. Er realistrte sie nicht am schlechtesten dadurch, daß er ihre abstracte farblose Beschaffet" heit durch die Farbe ihres geschichtlichen Werthes verminderte. Ebenso machte er sie auf die verschiedenste Weise flüssig und übergangsfähig. Nicht die schlechteste bestand darin, daß er sie in den Strom der geschichtlichen Entwicke¬ lung hineintauchte. Die Begriffe sind in Wahrheit so, wie sie in einer be¬ stimmten Zeit verstanden wurden, und sie werden in Wahrheit zu dem, wo¬ zu sie beim geschichtlichen Uebergang von System zu System wurden. Mit diesen Prämissen waren die Fugen gegeben, aus denen daS hegelsche Sysiem nie gewichen ist; Hegels Uebersiedlung nach Jena, die damalige Metropole der Speculation, gab seinem bisherigen einsamen Grübeln einen bestimmten Platz in der historischen Entwickelung des deutschen Idealismus.l Durch Schelling, seinen alten Freund von der Schule her, war Hege nach Jena berufen; sie waren, unabhängig voneinander, in ihrer philosophi¬ schen Entwickelung ungefähr in dem nämlichen Stadium angelangt und traten nun dem Publicum gegenüber als Verbündete, als Apostel eines gemeinsamen Evangeliums auf. Die Verwandtschaft lag hauptsächlich darin, daß beide »n Gegensatz zur kritischen Methode den Inbegriff ihrer Weltansicht in dar-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/382>, abgerufen am 23.07.2024.