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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Welt und des Lebens in ordnungsvoller Form vorzustellen. Es ist nicht ein
sicher abgegrenzter Punkt, von dem er der Erforschung der Wahrheit nachgeht,
sondern ein historisch und gemüthlich erfülltes Ideal, ein concretes Bild, eine
breite inhaltsvolle Anschauung, eine Anschauung, von deren Berechtigung er
sich nicht zuvor eine kritische Rechenschaft gibt, sondern die er sich aus der
vollen Energie seines Wesens heraus angeeignet und angelebt hat, die ihn,
er weiß selbst nicht wie, durch und durch erfüllt, und in die er nun das Ver¬
langen hat, den ganzen Reichthum des natürlichen wie des menschlichen Seins
hineinzustellen. Seine Philosophie entspringt aus einem gleichsam poetischen
Trieb, aus dem Drang, ein Weltbild nach einem in der Seele des Syste¬
matikers vorräthig liegenden idealen Typus zu entwerfen. Wie den Dichtern
ist auch ihm die griechische Weltanschauung das Vorbild. Neben der helleni-
sirenden Darstellung der Natur und des Schicksals Durch die Dichter erhalten
wir eine helenisirende Metaphysik, welche, unserer Bedürftigkeit zum Trotz, uns
zu glauben verführt/ daß alle Beschränktheiten und Widersprüche unsers
Wissens, unsers Glaubens, unseres Lebens sich ausgleichen in dem Zusammen¬
hang eines schönen Ganzen.

Die Form dieses ersten Entwurfs hat Haym wiederum mit eindringen¬
dem Scharfsinn und vollendeter Plastik charakterisirt. -- Da liegen rohe unver¬
arbeitete Massen der Wirklichkeit dicht neben andren Elementen, die von der
logischen Kraft dieses Kopfs um allen Körper gebracht sind. Selbst daS
schärfste Auge ist jetzt kaum im Stande, in der Luft des reinen Gedankens
"och irgend ein lebendiges Ständchen zu erblicken und jetzt wieder ist der Ge¬
danke kaum im Stande, dnrch die bunten, dicht hingelagerten Gestalten einen
Weg zu finden. Die Sprache der Mathematik und der Logik mischt sich und
wechselt ab mit grandiosen poetischen Anklängen. Bund schillernde Bilder
sind durchkreuzt und begrenzt von kahlen Constructionslinien. -- Da ist ferner
von einer allmäligen Einführung in eine Untersuchung, von einem Anknüpfen
an die gewöhnlichen Vorstellungen,.von einer vorläufigen Fragestellung, an
der man sich orientiren, von einer kritischen Zurichtung, bei der man sich,
selbstständig hets eiligen könnte, nicht die Rede. Mit dem ersten Schritt befin¬
den wir uns, wie durch einen Zauberschlag, in einer eignen neuen Welt. --
Hegels System will die Welt des Seins und Wissens nicht etwa kritisch zersetzen,
sondern zu der Einheit eines schönen Ganzen zusammenfassen. Es ist Dar¬
stellung des Universums als eines schönen', lebendigen Kosmos. Nach Weise
der altgriechischen Philosophie will eS daS Weltall als einen großen Organis¬
mus vergegenwärtigen, in welchem alles Einzelleben todt zu sein aufhört und
b>e Bedeutung eines lebendigen Organs bekommt. -- Die Methode dieser
^"nstrucnon geht von dem Schema der fichteschen Wissenschaftslehre aus:
d'e Celbstbewegung der Begriffe durch Satz, Gegensatz und Vermittelung. An


Welt und des Lebens in ordnungsvoller Form vorzustellen. Es ist nicht ein
sicher abgegrenzter Punkt, von dem er der Erforschung der Wahrheit nachgeht,
sondern ein historisch und gemüthlich erfülltes Ideal, ein concretes Bild, eine
breite inhaltsvolle Anschauung, eine Anschauung, von deren Berechtigung er
sich nicht zuvor eine kritische Rechenschaft gibt, sondern die er sich aus der
vollen Energie seines Wesens heraus angeeignet und angelebt hat, die ihn,
er weiß selbst nicht wie, durch und durch erfüllt, und in die er nun das Ver¬
langen hat, den ganzen Reichthum des natürlichen wie des menschlichen Seins
hineinzustellen. Seine Philosophie entspringt aus einem gleichsam poetischen
Trieb, aus dem Drang, ein Weltbild nach einem in der Seele des Syste¬
matikers vorräthig liegenden idealen Typus zu entwerfen. Wie den Dichtern
ist auch ihm die griechische Weltanschauung das Vorbild. Neben der helleni-
sirenden Darstellung der Natur und des Schicksals Durch die Dichter erhalten
wir eine helenisirende Metaphysik, welche, unserer Bedürftigkeit zum Trotz, uns
zu glauben verführt/ daß alle Beschränktheiten und Widersprüche unsers
Wissens, unsers Glaubens, unseres Lebens sich ausgleichen in dem Zusammen¬
hang eines schönen Ganzen.

Die Form dieses ersten Entwurfs hat Haym wiederum mit eindringen¬
dem Scharfsinn und vollendeter Plastik charakterisirt. — Da liegen rohe unver¬
arbeitete Massen der Wirklichkeit dicht neben andren Elementen, die von der
logischen Kraft dieses Kopfs um allen Körper gebracht sind. Selbst daS
schärfste Auge ist jetzt kaum im Stande, in der Luft des reinen Gedankens
»och irgend ein lebendiges Ständchen zu erblicken und jetzt wieder ist der Ge¬
danke kaum im Stande, dnrch die bunten, dicht hingelagerten Gestalten einen
Weg zu finden. Die Sprache der Mathematik und der Logik mischt sich und
wechselt ab mit grandiosen poetischen Anklängen. Bund schillernde Bilder
sind durchkreuzt und begrenzt von kahlen Constructionslinien. — Da ist ferner
von einer allmäligen Einführung in eine Untersuchung, von einem Anknüpfen
an die gewöhnlichen Vorstellungen,.von einer vorläufigen Fragestellung, an
der man sich orientiren, von einer kritischen Zurichtung, bei der man sich,
selbstständig hets eiligen könnte, nicht die Rede. Mit dem ersten Schritt befin¬
den wir uns, wie durch einen Zauberschlag, in einer eignen neuen Welt. —
Hegels System will die Welt des Seins und Wissens nicht etwa kritisch zersetzen,
sondern zu der Einheit eines schönen Ganzen zusammenfassen. Es ist Dar¬
stellung des Universums als eines schönen', lebendigen Kosmos. Nach Weise
der altgriechischen Philosophie will eS daS Weltall als einen großen Organis¬
mus vergegenwärtigen, in welchem alles Einzelleben todt zu sein aufhört und
b>e Bedeutung eines lebendigen Organs bekommt. — Die Methode dieser
^"nstrucnon geht von dem Schema der fichteschen Wissenschaftslehre aus:
d'e Celbstbewegung der Begriffe durch Satz, Gegensatz und Vermittelung. An


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[0381] Welt und des Lebens in ordnungsvoller Form vorzustellen. Es ist nicht ein sicher abgegrenzter Punkt, von dem er der Erforschung der Wahrheit nachgeht, sondern ein historisch und gemüthlich erfülltes Ideal, ein concretes Bild, eine breite inhaltsvolle Anschauung, eine Anschauung, von deren Berechtigung er sich nicht zuvor eine kritische Rechenschaft gibt, sondern die er sich aus der vollen Energie seines Wesens heraus angeeignet und angelebt hat, die ihn, er weiß selbst nicht wie, durch und durch erfüllt, und in die er nun das Ver¬ langen hat, den ganzen Reichthum des natürlichen wie des menschlichen Seins hineinzustellen. Seine Philosophie entspringt aus einem gleichsam poetischen Trieb, aus dem Drang, ein Weltbild nach einem in der Seele des Syste¬ matikers vorräthig liegenden idealen Typus zu entwerfen. Wie den Dichtern ist auch ihm die griechische Weltanschauung das Vorbild. Neben der helleni- sirenden Darstellung der Natur und des Schicksals Durch die Dichter erhalten wir eine helenisirende Metaphysik, welche, unserer Bedürftigkeit zum Trotz, uns zu glauben verführt/ daß alle Beschränktheiten und Widersprüche unsers Wissens, unsers Glaubens, unseres Lebens sich ausgleichen in dem Zusammen¬ hang eines schönen Ganzen. Die Form dieses ersten Entwurfs hat Haym wiederum mit eindringen¬ dem Scharfsinn und vollendeter Plastik charakterisirt. — Da liegen rohe unver¬ arbeitete Massen der Wirklichkeit dicht neben andren Elementen, die von der logischen Kraft dieses Kopfs um allen Körper gebracht sind. Selbst daS schärfste Auge ist jetzt kaum im Stande, in der Luft des reinen Gedankens »och irgend ein lebendiges Ständchen zu erblicken und jetzt wieder ist der Ge¬ danke kaum im Stande, dnrch die bunten, dicht hingelagerten Gestalten einen Weg zu finden. Die Sprache der Mathematik und der Logik mischt sich und wechselt ab mit grandiosen poetischen Anklängen. Bund schillernde Bilder sind durchkreuzt und begrenzt von kahlen Constructionslinien. — Da ist ferner von einer allmäligen Einführung in eine Untersuchung, von einem Anknüpfen an die gewöhnlichen Vorstellungen,.von einer vorläufigen Fragestellung, an der man sich orientiren, von einer kritischen Zurichtung, bei der man sich, selbstständig hets eiligen könnte, nicht die Rede. Mit dem ersten Schritt befin¬ den wir uns, wie durch einen Zauberschlag, in einer eignen neuen Welt. — Hegels System will die Welt des Seins und Wissens nicht etwa kritisch zersetzen, sondern zu der Einheit eines schönen Ganzen zusammenfassen. Es ist Dar¬ stellung des Universums als eines schönen', lebendigen Kosmos. Nach Weise der altgriechischen Philosophie will eS daS Weltall als einen großen Organis¬ mus vergegenwärtigen, in welchem alles Einzelleben todt zu sein aufhört und b>e Bedeutung eines lebendigen Organs bekommt. — Die Methode dieser ^"nstrucnon geht von dem Schema der fichteschen Wissenschaftslehre aus: d'e Celbstbewegung der Begriffe durch Satz, Gegensatz und Vermittelung. An

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/381>, abgerufen am 23.07.2024.