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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Sterbliche sind. -- Dieselbe Vorrede gibt Haym S. 367 zu folgender Rhe¬
torik Veranlassung.

"S.o viel ich sehe, ist gegen jenes famose Wort von der Vernünftigkeit
deS Wirklichen im Sinne der hegelschen Vorrede alles, was jemals die Hob-
bes und Vilmar, die Haller oder Stahl gelehrt haben, eine verhältnißmäßig
freisinnige Lehre. Die Gottcsgnadentheorie und die Theorie von der obecliön-
titl absolutg, ist unschuldig und gefahrlos im Vergleich mit der furchtbaren
Doctrin, welche das Bestehende als Bestehendes heilig spricht." -- Hier hebt
die Rhetorik oder die Erregung des Moments alle Besinnung auf. Abgesehen
davon, daß Systeme gegeneinander gestellt sind, die nichts miteinander zu
thun haben, ist das Mißverständniß des hegelschen Satzes so arg, daß man
nicht recht weiß, wie man eS entschuldigen soll. Haym erklärt zwar, jener
vielberufene Satz enthalte entweder eine leere Tautologie oder einen Servi¬
lismus; aber ist es denn in der That eine Tautologie, wenn man der über¬
strömenden Gefühlspolilik gegenüber, wo jeder Student seine lyrischen Ein¬
gebungen dem Staat als Norm entgegenstellt, behauptet, auf dem Gebiet der
Geschichte sei nur dasjenige vernünftig, was mit Nothwendigkeit aus den be¬
stehenden Zuständen hervorgeht, was also die Kraft hat, sich durchzusetzen?
Die'Ansicht mag richtig oder falsch sein, auf alle Fälle ist sie keine Tauto¬
logie, Fe war dem subjectiven Idealismus jener Periode gegenüber eins ehr
erheblicher Fortschritt, ja sie hätte auch auf manche Velleitäten des Jahres
1848 ihre Anwendung finden können. Und was hat denn in aller Welt die
Gnadenwahl damit zu thun? Das Gewissen deS Einzelnen wird nicht beein¬
trächtigt; aber wenn ich Einzelner gethan, was ich subjectiv sür meine Pflicht
hielt, so spreche ich: nun walte Gott! d. h. ob die Ausführung meiner sub¬
jectiven Ueberzeugung für das Ganze haltbar und vernünftig war, das wird
die Geschichte lehren. Kants Lehre kommt auf dasselbe heraus, obgleich er
eS nicht so parador, oder "wenn man will, nicht so eoncret ausdrückte. .F ich ^'
war freilich anderer Ansicht, aber wenn Haym diesen Philosophen offen und
insgeheim fortwährend über Hegel stellt, so möge er doch nicht vergessen, daß
Fichte in den Grundzügen des Zeitalters mit derselben Begeisterung das Welt-
bürgerthum oder, was damals dasselbe war, den Bonapartismus predigte, wie
zwei Jahre darauf das Deutschthum. Persönlich macht ihm dieser MeinungS-
wechsel Ehre, aber die Objectivität seines Systems wird dadurch nicht gerecht¬
fertigt; seine Motive waren leere Sophistik. Was nun den Servilismus be¬
trifft, so muß man so viel zugeben, daß, ohne es deutlich zu wissen,
mehr als billig das Bild seiner Wirklichkeit aus der zufällige" Existenz ent¬
nahm. Aber einmal ist auch das nicht unbedingt richtig, denn die Forderun¬
gen der Rechtsphilosophie: constitutionelle Verfassung, Geschwornengerichte,
Ministerialregierung an Stelle der Cabinetsregierung t^der große Kampf Stein ,


Sterbliche sind. — Dieselbe Vorrede gibt Haym S. 367 zu folgender Rhe¬
torik Veranlassung.

„S.o viel ich sehe, ist gegen jenes famose Wort von der Vernünftigkeit
deS Wirklichen im Sinne der hegelschen Vorrede alles, was jemals die Hob-
bes und Vilmar, die Haller oder Stahl gelehrt haben, eine verhältnißmäßig
freisinnige Lehre. Die Gottcsgnadentheorie und die Theorie von der obecliön-
titl absolutg, ist unschuldig und gefahrlos im Vergleich mit der furchtbaren
Doctrin, welche das Bestehende als Bestehendes heilig spricht." — Hier hebt
die Rhetorik oder die Erregung des Moments alle Besinnung auf. Abgesehen
davon, daß Systeme gegeneinander gestellt sind, die nichts miteinander zu
thun haben, ist das Mißverständniß des hegelschen Satzes so arg, daß man
nicht recht weiß, wie man eS entschuldigen soll. Haym erklärt zwar, jener
vielberufene Satz enthalte entweder eine leere Tautologie oder einen Servi¬
lismus; aber ist es denn in der That eine Tautologie, wenn man der über¬
strömenden Gefühlspolilik gegenüber, wo jeder Student seine lyrischen Ein¬
gebungen dem Staat als Norm entgegenstellt, behauptet, auf dem Gebiet der
Geschichte sei nur dasjenige vernünftig, was mit Nothwendigkeit aus den be¬
stehenden Zuständen hervorgeht, was also die Kraft hat, sich durchzusetzen?
Die'Ansicht mag richtig oder falsch sein, auf alle Fälle ist sie keine Tauto¬
logie, Fe war dem subjectiven Idealismus jener Periode gegenüber eins ehr
erheblicher Fortschritt, ja sie hätte auch auf manche Velleitäten des Jahres
1848 ihre Anwendung finden können. Und was hat denn in aller Welt die
Gnadenwahl damit zu thun? Das Gewissen deS Einzelnen wird nicht beein¬
trächtigt; aber wenn ich Einzelner gethan, was ich subjectiv sür meine Pflicht
hielt, so spreche ich: nun walte Gott! d. h. ob die Ausführung meiner sub¬
jectiven Ueberzeugung für das Ganze haltbar und vernünftig war, das wird
die Geschichte lehren. Kants Lehre kommt auf dasselbe heraus, obgleich er
eS nicht so parador, oder "wenn man will, nicht so eoncret ausdrückte. .F ich ^'
war freilich anderer Ansicht, aber wenn Haym diesen Philosophen offen und
insgeheim fortwährend über Hegel stellt, so möge er doch nicht vergessen, daß
Fichte in den Grundzügen des Zeitalters mit derselben Begeisterung das Welt-
bürgerthum oder, was damals dasselbe war, den Bonapartismus predigte, wie
zwei Jahre darauf das Deutschthum. Persönlich macht ihm dieser MeinungS-
wechsel Ehre, aber die Objectivität seines Systems wird dadurch nicht gerecht¬
fertigt; seine Motive waren leere Sophistik. Was nun den Servilismus be¬
trifft, so muß man so viel zugeben, daß, ohne es deutlich zu wissen,
mehr als billig das Bild seiner Wirklichkeit aus der zufällige» Existenz ent¬
nahm. Aber einmal ist auch das nicht unbedingt richtig, denn die Forderun¬
gen der Rechtsphilosophie: constitutionelle Verfassung, Geschwornengerichte,
Ministerialregierung an Stelle der Cabinetsregierung t^der große Kampf Stein ,


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[0376] Sterbliche sind. — Dieselbe Vorrede gibt Haym S. 367 zu folgender Rhe¬ torik Veranlassung. „S.o viel ich sehe, ist gegen jenes famose Wort von der Vernünftigkeit deS Wirklichen im Sinne der hegelschen Vorrede alles, was jemals die Hob- bes und Vilmar, die Haller oder Stahl gelehrt haben, eine verhältnißmäßig freisinnige Lehre. Die Gottcsgnadentheorie und die Theorie von der obecliön- titl absolutg, ist unschuldig und gefahrlos im Vergleich mit der furchtbaren Doctrin, welche das Bestehende als Bestehendes heilig spricht." — Hier hebt die Rhetorik oder die Erregung des Moments alle Besinnung auf. Abgesehen davon, daß Systeme gegeneinander gestellt sind, die nichts miteinander zu thun haben, ist das Mißverständniß des hegelschen Satzes so arg, daß man nicht recht weiß, wie man eS entschuldigen soll. Haym erklärt zwar, jener vielberufene Satz enthalte entweder eine leere Tautologie oder einen Servi¬ lismus; aber ist es denn in der That eine Tautologie, wenn man der über¬ strömenden Gefühlspolilik gegenüber, wo jeder Student seine lyrischen Ein¬ gebungen dem Staat als Norm entgegenstellt, behauptet, auf dem Gebiet der Geschichte sei nur dasjenige vernünftig, was mit Nothwendigkeit aus den be¬ stehenden Zuständen hervorgeht, was also die Kraft hat, sich durchzusetzen? Die'Ansicht mag richtig oder falsch sein, auf alle Fälle ist sie keine Tauto¬ logie, Fe war dem subjectiven Idealismus jener Periode gegenüber eins ehr erheblicher Fortschritt, ja sie hätte auch auf manche Velleitäten des Jahres 1848 ihre Anwendung finden können. Und was hat denn in aller Welt die Gnadenwahl damit zu thun? Das Gewissen deS Einzelnen wird nicht beein¬ trächtigt; aber wenn ich Einzelner gethan, was ich subjectiv sür meine Pflicht hielt, so spreche ich: nun walte Gott! d. h. ob die Ausführung meiner sub¬ jectiven Ueberzeugung für das Ganze haltbar und vernünftig war, das wird die Geschichte lehren. Kants Lehre kommt auf dasselbe heraus, obgleich er eS nicht so parador, oder "wenn man will, nicht so eoncret ausdrückte. .F ich ^' war freilich anderer Ansicht, aber wenn Haym diesen Philosophen offen und insgeheim fortwährend über Hegel stellt, so möge er doch nicht vergessen, daß Fichte in den Grundzügen des Zeitalters mit derselben Begeisterung das Welt- bürgerthum oder, was damals dasselbe war, den Bonapartismus predigte, wie zwei Jahre darauf das Deutschthum. Persönlich macht ihm dieser MeinungS- wechsel Ehre, aber die Objectivität seines Systems wird dadurch nicht gerecht¬ fertigt; seine Motive waren leere Sophistik. Was nun den Servilismus be¬ trifft, so muß man so viel zugeben, daß, ohne es deutlich zu wissen, mehr als billig das Bild seiner Wirklichkeit aus der zufällige» Existenz ent¬ nahm. Aber einmal ist auch das nicht unbedingt richtig, denn die Forderun¬ gen der Rechtsphilosophie: constitutionelle Verfassung, Geschwornengerichte, Ministerialregierung an Stelle der Cabinetsregierung t^der große Kampf Stein ,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/376>, abgerufen am 23.07.2024.