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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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entwickelt sich um so glänzender, da es stets mit einer innern Erregung ver¬
bunden ist. Wenn auch die Aufmerksamkeit auf den Stil nicht so weit über¬
wunden ist, daß alle Spuren davon verwischt wären, so erkennt man hinter
der Kunst doch immer das ?setus. Aber für den Analytiker ist die Redekunst
immer eine verhängnißvolle Gabe, denn sie bestimmt ihn zuweilen, sich dem
Impuls des Moments zu überlassen, wo eine Erwägung des Ganzen noth¬
wendig wäre. In dem Leben jedes großen Mannes finden sich Flecken, die
einzeln betrachtet gerechte Entrüstung hervorrufen würden; der Analytiker wird
auch hier die Ruhe bewahren, indem er stets den Charakter des ganzen Men¬
schen vor Augen behält, den Eindruck dieser widerwärtigen Erscheinungen zu
mäßigen, der Redner dagegen überläßt sich behaglich dem Strom seines Ge¬
fühls und greift nicht ungern zur Insulte. Die Insulten, mit denen Haym
seinen alten Lehrer überhäuft, sind erstaunlich, zuweilen tänzelt er ihn ab
wie einen Schulknaben, zuweilen bricht er moralisch über ihn den Stab. Er
geht dabei ganz ehrlich zu Werke, er meint nur den einzelnen Fall, aber er
Vergißt, daß gewisse Beschimpfungen dem ganzen Menschen anhaften, daß, wenn
man einen Mann in bestimmten Fällen ohne Nestrictionen alö lächerlich und
verächtlich darstellt, das Brandmal nicht wieder auszulöschen ist. Nur ein
Beispiel unter vielen. Es handelt sich um die Vorrede zur Rechtsphilosophie,
den Angriff gegen Fries S. 364. "Hegel ließ diesem ersten Schritt einen
zweiten, der Unwürvigkeit die Albernheit folgen." Darf man so sich über
einen Mann ausdrücken, den man ehren will? Und wovon ist denn eigent¬
lich die Rede? In der jenenser Tenienschule aufgewachsen, ersetzt Hegel die
Widerlegung durch Schimpfreden, er gebraucht von seinem Gegner Ausdrücke,
die -- mit Unwürdigkeit und Albernheit synonym sind; gegen einen Mann,
"den unbedingt der Umstand vor allen' Angriffen von Seiten der Philosophie hätte
schützen sollen, daß er, ein von der Polizei bereits geachteter war." Das ist
eine allgemeine Maxime, die ungefähr ebenso unbedingt anzuwenden ist, als
der Satz: cZs mvrluis nil nisi bene! Fries'war von der Polizei geächtet, aber
Hegel ist todt. -- ES handelt sich ferner darum, daß Hegel als preußi¬
scher Beamter sich über die Angriffe von Seiten eines preußischen B'alls beim
Eultuöminister beschwerte. Allerdings sehr thöricht von einem weisen, sehr
klein von einem großen Manne; aber steht denn, das Factum isolirt? Was
hat denn Goethe, als Böttiger über eine theatralische Aufführung eine tadelnde
Recension schreiben wollte? Er hatte freilich nicht nöihig, sich an den Mi¬
nister zu wenden, denn er war selber Minister; er unterdrückte, wie er uns
selber erzählt, den Versuch sofort mit energischer Strenge; denn, setzt er hin¬
zu, es war damals noch nicht erlaubt, daß in demselbigen Staat Männer das
Zerstörten, was den Tag vorher ausgebaut war. Sehr illiberal! sehr despo¬
tisch! Es muß uns eben daran erinnern, daß auch die größten Sterblichen nur


entwickelt sich um so glänzender, da es stets mit einer innern Erregung ver¬
bunden ist. Wenn auch die Aufmerksamkeit auf den Stil nicht so weit über¬
wunden ist, daß alle Spuren davon verwischt wären, so erkennt man hinter
der Kunst doch immer das ?setus. Aber für den Analytiker ist die Redekunst
immer eine verhängnißvolle Gabe, denn sie bestimmt ihn zuweilen, sich dem
Impuls des Moments zu überlassen, wo eine Erwägung des Ganzen noth¬
wendig wäre. In dem Leben jedes großen Mannes finden sich Flecken, die
einzeln betrachtet gerechte Entrüstung hervorrufen würden; der Analytiker wird
auch hier die Ruhe bewahren, indem er stets den Charakter des ganzen Men¬
schen vor Augen behält, den Eindruck dieser widerwärtigen Erscheinungen zu
mäßigen, der Redner dagegen überläßt sich behaglich dem Strom seines Ge¬
fühls und greift nicht ungern zur Insulte. Die Insulten, mit denen Haym
seinen alten Lehrer überhäuft, sind erstaunlich, zuweilen tänzelt er ihn ab
wie einen Schulknaben, zuweilen bricht er moralisch über ihn den Stab. Er
geht dabei ganz ehrlich zu Werke, er meint nur den einzelnen Fall, aber er
Vergißt, daß gewisse Beschimpfungen dem ganzen Menschen anhaften, daß, wenn
man einen Mann in bestimmten Fällen ohne Nestrictionen alö lächerlich und
verächtlich darstellt, das Brandmal nicht wieder auszulöschen ist. Nur ein
Beispiel unter vielen. Es handelt sich um die Vorrede zur Rechtsphilosophie,
den Angriff gegen Fries S. 364. „Hegel ließ diesem ersten Schritt einen
zweiten, der Unwürvigkeit die Albernheit folgen." Darf man so sich über
einen Mann ausdrücken, den man ehren will? Und wovon ist denn eigent¬
lich die Rede? In der jenenser Tenienschule aufgewachsen, ersetzt Hegel die
Widerlegung durch Schimpfreden, er gebraucht von seinem Gegner Ausdrücke,
die — mit Unwürdigkeit und Albernheit synonym sind; gegen einen Mann,
„den unbedingt der Umstand vor allen' Angriffen von Seiten der Philosophie hätte
schützen sollen, daß er, ein von der Polizei bereits geachteter war." Das ist
eine allgemeine Maxime, die ungefähr ebenso unbedingt anzuwenden ist, als
der Satz: cZs mvrluis nil nisi bene! Fries'war von der Polizei geächtet, aber
Hegel ist todt. — ES handelt sich ferner darum, daß Hegel als preußi¬
scher Beamter sich über die Angriffe von Seiten eines preußischen B'alls beim
Eultuöminister beschwerte. Allerdings sehr thöricht von einem weisen, sehr
klein von einem großen Manne; aber steht denn, das Factum isolirt? Was
hat denn Goethe, als Böttiger über eine theatralische Aufführung eine tadelnde
Recension schreiben wollte? Er hatte freilich nicht nöihig, sich an den Mi¬
nister zu wenden, denn er war selber Minister; er unterdrückte, wie er uns
selber erzählt, den Versuch sofort mit energischer Strenge; denn, setzt er hin¬
zu, es war damals noch nicht erlaubt, daß in demselbigen Staat Männer das
Zerstörten, was den Tag vorher ausgebaut war. Sehr illiberal! sehr despo¬
tisch! Es muß uns eben daran erinnern, daß auch die größten Sterblichen nur


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[0375] entwickelt sich um so glänzender, da es stets mit einer innern Erregung ver¬ bunden ist. Wenn auch die Aufmerksamkeit auf den Stil nicht so weit über¬ wunden ist, daß alle Spuren davon verwischt wären, so erkennt man hinter der Kunst doch immer das ?setus. Aber für den Analytiker ist die Redekunst immer eine verhängnißvolle Gabe, denn sie bestimmt ihn zuweilen, sich dem Impuls des Moments zu überlassen, wo eine Erwägung des Ganzen noth¬ wendig wäre. In dem Leben jedes großen Mannes finden sich Flecken, die einzeln betrachtet gerechte Entrüstung hervorrufen würden; der Analytiker wird auch hier die Ruhe bewahren, indem er stets den Charakter des ganzen Men¬ schen vor Augen behält, den Eindruck dieser widerwärtigen Erscheinungen zu mäßigen, der Redner dagegen überläßt sich behaglich dem Strom seines Ge¬ fühls und greift nicht ungern zur Insulte. Die Insulten, mit denen Haym seinen alten Lehrer überhäuft, sind erstaunlich, zuweilen tänzelt er ihn ab wie einen Schulknaben, zuweilen bricht er moralisch über ihn den Stab. Er geht dabei ganz ehrlich zu Werke, er meint nur den einzelnen Fall, aber er Vergißt, daß gewisse Beschimpfungen dem ganzen Menschen anhaften, daß, wenn man einen Mann in bestimmten Fällen ohne Nestrictionen alö lächerlich und verächtlich darstellt, das Brandmal nicht wieder auszulöschen ist. Nur ein Beispiel unter vielen. Es handelt sich um die Vorrede zur Rechtsphilosophie, den Angriff gegen Fries S. 364. „Hegel ließ diesem ersten Schritt einen zweiten, der Unwürvigkeit die Albernheit folgen." Darf man so sich über einen Mann ausdrücken, den man ehren will? Und wovon ist denn eigent¬ lich die Rede? In der jenenser Tenienschule aufgewachsen, ersetzt Hegel die Widerlegung durch Schimpfreden, er gebraucht von seinem Gegner Ausdrücke, die — mit Unwürdigkeit und Albernheit synonym sind; gegen einen Mann, „den unbedingt der Umstand vor allen' Angriffen von Seiten der Philosophie hätte schützen sollen, daß er, ein von der Polizei bereits geachteter war." Das ist eine allgemeine Maxime, die ungefähr ebenso unbedingt anzuwenden ist, als der Satz: cZs mvrluis nil nisi bene! Fries'war von der Polizei geächtet, aber Hegel ist todt. — ES handelt sich ferner darum, daß Hegel als preußi¬ scher Beamter sich über die Angriffe von Seiten eines preußischen B'alls beim Eultuöminister beschwerte. Allerdings sehr thöricht von einem weisen, sehr klein von einem großen Manne; aber steht denn, das Factum isolirt? Was hat denn Goethe, als Böttiger über eine theatralische Aufführung eine tadelnde Recension schreiben wollte? Er hatte freilich nicht nöihig, sich an den Mi¬ nister zu wenden, denn er war selber Minister; er unterdrückte, wie er uns selber erzählt, den Versuch sofort mit energischer Strenge; denn, setzt er hin¬ zu, es war damals noch nicht erlaubt, daß in demselbigen Staat Männer das Zerstörten, was den Tag vorher ausgebaut war. Sehr illiberal! sehr despo¬ tisch! Es muß uns eben daran erinnern, daß auch die größten Sterblichen nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/375>, abgerufen am 23.07.2024.