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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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schen Dialektik, weiß er sehr gut, obgleich er es bestreitet, daß die Begriffe
(freilich nur in den Köpfen der Menschen) sich bewegen, daß jede Position
die Negation, jede Negation die Vermittlung hervorruft, aber er vergißt den
Unterschied deS "An sich" und des "Für sich", den Unterschied dessen, was im¬
plicite in einem Satz liegt, und was erplicirt ist. Wir wissen freilich, waS
implicite in Schillers Sätzen enthalten ist, denn Hegel hat eS uns gesagt,
aber eben -- er hat es uns gesagt!

Dieser natürliche und subjectiv sehr verständliche Geist der Rebellion wird
noch durch einige weitere Umstände verschärft. Der Hegelianer begreift noch
immer zu viel; er construirt nach hegelscher Weise das Leben Hegels, als
wenn kein irrationeller Rest darin wäre. Unsere Geschichtschreiber müssen
noch erst lernen sich zu verwundern, wenn eS mit der Wissenschaft völlig Ernst
Werden soll. Dazu kommt die pragmatische Methode, die an sich völlig berech¬
tigt ist, aber nur wenn man mit den Ackerstücken in der Hand pragmatisirt,
sonst verleitet der Pragmatismus ebenso leicht ins Phantastische als die Meta¬
physik. Es bedarf nur einer kleinen Nuance, um aus Hayms Lebensbild
eine vollständige Caricatur zu machen. Um nicht mißverstanden zü werden:
-- für jeden, der Hegel kennt und aus seinem eignen Wissen den Biographen
ergänzt, an Stellen, wo dieser etwas verschweigt, weil er voraussetzt, daß eS
jeder weiß, ist es keine Caricatur; für denjenigen aber, der von Hegel nichts
wüßte, und ihn aus diesem Buch kennen lernen wollte, würde sich die Sache
etwa folgendermaßen gestalten. Hegel war ein Schwabe, die Schwaben haben
folgenden Charakter u. s.' w. Die Bildungsanstalt, in der er aufwuchs, war
folgendermaßen eingerichtet; sie mußte auf ihn als auf einen Schwaben fol¬
genden Einflns; ausüben. Er kommt mit Hölderlin in Beziehung u. s. w.
dann wird den Einflüssen der Lectüre, die wir ziemlich genau controliren kön¬
nen, den gleichzeitigen Ereignissen, der Lebensstellung u. s. w. Rechnung ge¬
tragen, jede neue Stadt, in die Hegel kommt, selbst Frankfurt übt nach dem
dieser Stadt immanenten Charakter eine bestimmte Einwirkung auf ihn aus:
^ das geht so weit, daß der architektonische Bau der Logik mit der nürnber¬
ger Architektur in Beziehung gebracht wird, weil die Logik in Nürnberg ge¬
schrieben wurde! Auf diesen wunderlichen Einfall legt freilich Haym selbst kein
Gewicht, aber er möge ihn vor-dem Phantastischen warnen, welches im Prag-
'nuuismus liegt. Wo bleibt bei dieser Construction Hegel selbst? Er erscheint
>n dieser ganzen Darstellung als bloßes Substrat der wechselnden Einflüsse
selbstlos und ohne eignen Inhalt.

"Und dennoch, eine hegelsche Geschichtsphilosophie, welche hier inne hielte,
durte' eine sehr verkehrte Vorstellung von ihm erwecken. Sie ist um vieles
besser als sie zu sein vorgibt."

So sagt Haym Seite z50, so sagen auch wir von seinem Buch. Es ist


schen Dialektik, weiß er sehr gut, obgleich er es bestreitet, daß die Begriffe
(freilich nur in den Köpfen der Menschen) sich bewegen, daß jede Position
die Negation, jede Negation die Vermittlung hervorruft, aber er vergißt den
Unterschied deS „An sich" und des „Für sich", den Unterschied dessen, was im¬
plicite in einem Satz liegt, und was erplicirt ist. Wir wissen freilich, waS
implicite in Schillers Sätzen enthalten ist, denn Hegel hat eS uns gesagt,
aber eben — er hat es uns gesagt!

Dieser natürliche und subjectiv sehr verständliche Geist der Rebellion wird
noch durch einige weitere Umstände verschärft. Der Hegelianer begreift noch
immer zu viel; er construirt nach hegelscher Weise das Leben Hegels, als
wenn kein irrationeller Rest darin wäre. Unsere Geschichtschreiber müssen
noch erst lernen sich zu verwundern, wenn eS mit der Wissenschaft völlig Ernst
Werden soll. Dazu kommt die pragmatische Methode, die an sich völlig berech¬
tigt ist, aber nur wenn man mit den Ackerstücken in der Hand pragmatisirt,
sonst verleitet der Pragmatismus ebenso leicht ins Phantastische als die Meta¬
physik. Es bedarf nur einer kleinen Nuance, um aus Hayms Lebensbild
eine vollständige Caricatur zu machen. Um nicht mißverstanden zü werden:
— für jeden, der Hegel kennt und aus seinem eignen Wissen den Biographen
ergänzt, an Stellen, wo dieser etwas verschweigt, weil er voraussetzt, daß eS
jeder weiß, ist es keine Caricatur; für denjenigen aber, der von Hegel nichts
wüßte, und ihn aus diesem Buch kennen lernen wollte, würde sich die Sache
etwa folgendermaßen gestalten. Hegel war ein Schwabe, die Schwaben haben
folgenden Charakter u. s.' w. Die Bildungsanstalt, in der er aufwuchs, war
folgendermaßen eingerichtet; sie mußte auf ihn als auf einen Schwaben fol¬
genden Einflns; ausüben. Er kommt mit Hölderlin in Beziehung u. s. w.
dann wird den Einflüssen der Lectüre, die wir ziemlich genau controliren kön¬
nen, den gleichzeitigen Ereignissen, der Lebensstellung u. s. w. Rechnung ge¬
tragen, jede neue Stadt, in die Hegel kommt, selbst Frankfurt übt nach dem
dieser Stadt immanenten Charakter eine bestimmte Einwirkung auf ihn aus:
^ das geht so weit, daß der architektonische Bau der Logik mit der nürnber¬
ger Architektur in Beziehung gebracht wird, weil die Logik in Nürnberg ge¬
schrieben wurde! Auf diesen wunderlichen Einfall legt freilich Haym selbst kein
Gewicht, aber er möge ihn vor-dem Phantastischen warnen, welches im Prag-
'nuuismus liegt. Wo bleibt bei dieser Construction Hegel selbst? Er erscheint
>n dieser ganzen Darstellung als bloßes Substrat der wechselnden Einflüsse
selbstlos und ohne eignen Inhalt.

„Und dennoch, eine hegelsche Geschichtsphilosophie, welche hier inne hielte,
durte' eine sehr verkehrte Vorstellung von ihm erwecken. Sie ist um vieles
besser als sie zu sein vorgibt."

So sagt Haym Seite z50, so sagen auch wir von seinem Buch. Es ist


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[0373] schen Dialektik, weiß er sehr gut, obgleich er es bestreitet, daß die Begriffe (freilich nur in den Köpfen der Menschen) sich bewegen, daß jede Position die Negation, jede Negation die Vermittlung hervorruft, aber er vergißt den Unterschied deS „An sich" und des „Für sich", den Unterschied dessen, was im¬ plicite in einem Satz liegt, und was erplicirt ist. Wir wissen freilich, waS implicite in Schillers Sätzen enthalten ist, denn Hegel hat eS uns gesagt, aber eben — er hat es uns gesagt! Dieser natürliche und subjectiv sehr verständliche Geist der Rebellion wird noch durch einige weitere Umstände verschärft. Der Hegelianer begreift noch immer zu viel; er construirt nach hegelscher Weise das Leben Hegels, als wenn kein irrationeller Rest darin wäre. Unsere Geschichtschreiber müssen noch erst lernen sich zu verwundern, wenn eS mit der Wissenschaft völlig Ernst Werden soll. Dazu kommt die pragmatische Methode, die an sich völlig berech¬ tigt ist, aber nur wenn man mit den Ackerstücken in der Hand pragmatisirt, sonst verleitet der Pragmatismus ebenso leicht ins Phantastische als die Meta¬ physik. Es bedarf nur einer kleinen Nuance, um aus Hayms Lebensbild eine vollständige Caricatur zu machen. Um nicht mißverstanden zü werden: — für jeden, der Hegel kennt und aus seinem eignen Wissen den Biographen ergänzt, an Stellen, wo dieser etwas verschweigt, weil er voraussetzt, daß eS jeder weiß, ist es keine Caricatur; für denjenigen aber, der von Hegel nichts wüßte, und ihn aus diesem Buch kennen lernen wollte, würde sich die Sache etwa folgendermaßen gestalten. Hegel war ein Schwabe, die Schwaben haben folgenden Charakter u. s.' w. Die Bildungsanstalt, in der er aufwuchs, war folgendermaßen eingerichtet; sie mußte auf ihn als auf einen Schwaben fol¬ genden Einflns; ausüben. Er kommt mit Hölderlin in Beziehung u. s. w. dann wird den Einflüssen der Lectüre, die wir ziemlich genau controliren kön¬ nen, den gleichzeitigen Ereignissen, der Lebensstellung u. s. w. Rechnung ge¬ tragen, jede neue Stadt, in die Hegel kommt, selbst Frankfurt übt nach dem dieser Stadt immanenten Charakter eine bestimmte Einwirkung auf ihn aus: ^ das geht so weit, daß der architektonische Bau der Logik mit der nürnber¬ ger Architektur in Beziehung gebracht wird, weil die Logik in Nürnberg ge¬ schrieben wurde! Auf diesen wunderlichen Einfall legt freilich Haym selbst kein Gewicht, aber er möge ihn vor-dem Phantastischen warnen, welches im Prag- 'nuuismus liegt. Wo bleibt bei dieser Construction Hegel selbst? Er erscheint >n dieser ganzen Darstellung als bloßes Substrat der wechselnden Einflüsse selbstlos und ohne eignen Inhalt. „Und dennoch, eine hegelsche Geschichtsphilosophie, welche hier inne hielte, durte' eine sehr verkehrte Vorstellung von ihm erwecken. Sie ist um vieles besser als sie zu sein vorgibt." So sagt Haym Seite z50, so sagen auch wir von seinem Buch. Es ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/373>, abgerufen am 23.07.2024.