Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.zu haben, so kann man das nicht gelten lassen. Er ist gegen Hegel ungerecht Obgleich daS Buch das schärfste ist, das man bisher gegen Hegel geschrie¬ zu haben, so kann man das nicht gelten lassen. Er ist gegen Hegel ungerecht Obgleich daS Buch das schärfste ist, das man bisher gegen Hegel geschrie¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0372" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105107"/> <p xml:id="ID_1034" prev="#ID_1033"> zu haben, so kann man das nicht gelten lassen. Er ist gegen Hegel ungerecht<lb/> in einer ähnlichen Weise, wie Hegel eS gegen seine Vorgänger gewesen<lb/> ist. Wenn Hegel bei der Kritik seiner Vorgänger auf den springenden Punkt<lb/> kam, wo sich der metaphysische Grundirrthum deö Systems nachweisen ließ, so<lb/> warf er eS ohne Weiteres zu den Todten, mit dem Vorbehalt, die positiven<lb/> Bestimmungen desselben in seinem eigenen System als „aufgehobene Momente"<lb/> beizusetzen. Haym kann diese Entschuldigung für sich nicht anführen, er will<lb/> das hegelsche System nicht durch ein neues ersetzen, sondern es objectiv und<lb/> historisch kriiisiren: um so mehr hätte er die Verpflichtung, aus das Positive<lb/> dessen, was Hegel geschrieben, aufmerksam zu machen. Gestelle hat er sich<lb/> diese Aufgabe wohl. Am Schluß eines jeden Capiiels, wo ein neues Werk<lb/> Hegels kritisch vernichtet ist, folgen ein paar Seiten, worin bemerkt wird,<lb/> daß doch manches Gute darin zu finden wäre. Allein diese stehn in keinem<lb/> Verhältniß zum Vorhergehenden, der unbefangene Leser nimmt sie als eine<lb/> bloße Captatio benevolentiae und ist nicht wenig erstaunt, wenn zum An¬<lb/> fang und am Schluß von Hegel als von einem großen Mann geredt wird,<lb/> der auf die Literatur sehr günstig eingewirkt habe. Bei dem stark ausgeprägten,<lb/> fast scrupulöser Rechtsgefühl deö Verfassers, läßt sich diese große Ungerechtig¬<lb/> keit nur aus folgenden Umständen erklären.</p><lb/> <p xml:id="ID_1035" next="#ID_1036"> Obgleich daS Buch das schärfste ist, das man bisher gegen Hegel geschrie¬<lb/> ben hat, so bleibt der Verfasser desselben doch Hegelianer d. h. seine Bill'ung<lb/> ist, wenn nicht ganz, doch in ihren charakteristischen Momenten aus der hegel¬<lb/> sche» Philosophie hervorgegangen. Er hat diese Bildung durch concrete Stu¬<lb/> dien des Lebens und der Geschichte allmälig überwunden, vielleicht in .längerer<lb/> Zeit, vielleicht erst nach schweren Kämpfen. Es ist nicht nur eine Verpflich¬<lb/> tung gegen das Publicum, der er in diesem Buch nachkommt, sondern eine<lb/> Verpflichtung gegen sich selbst; er hat das Bedürfniß gefühlt, sich über seinen<lb/> eignen Umbildungsprvceß Rechenschaft zu geben, und es liegt auf der Hand,<lb/> daß sich ihm hier vorzugsweise diejenigen Momente aufdrängen, die seine<lb/> neue Ueberzeugung motiviren, die ihn von Hegel trennen, nicht die alten<lb/> Bildungsformen,' die mit seinem Gemüth und seinem Denken so innig ver¬<lb/> wachsen sind, daß er sie nicht mehr als etwas Fremdes empfindet. Wen»<lb/> man sich gewaltsam von einer langgehegten und werth gewordenen Ueberzeu¬<lb/> gung losreißt, ist eine Selbsttäuschung schwer zu vermeiden. Hegel ist der<lb/> seiner Kritik Kants und Fichtes genau in denselben Fehler verfallen. Aber<lb/> der Irrthum dehnt sich eines auf die Thatsachen aus. So behauptet<lb/> Haym, und gewiß im vollen Glauben, die hegelsche Aesthetik enthalte gegen<lb/> Schiller nichts eigen,euch Neues; gleichwol würde es ihm schwer werden, M<lb/> den Schriften Schillers und der übrigen gleichzeitigen Aesthetiker die Stelle»<lb/> nachzuweisen, die Hegel ausgeschrieben haben soll. Ausgewachsen in der Hegel-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0372]
zu haben, so kann man das nicht gelten lassen. Er ist gegen Hegel ungerecht
in einer ähnlichen Weise, wie Hegel eS gegen seine Vorgänger gewesen
ist. Wenn Hegel bei der Kritik seiner Vorgänger auf den springenden Punkt
kam, wo sich der metaphysische Grundirrthum deö Systems nachweisen ließ, so
warf er eS ohne Weiteres zu den Todten, mit dem Vorbehalt, die positiven
Bestimmungen desselben in seinem eigenen System als „aufgehobene Momente"
beizusetzen. Haym kann diese Entschuldigung für sich nicht anführen, er will
das hegelsche System nicht durch ein neues ersetzen, sondern es objectiv und
historisch kriiisiren: um so mehr hätte er die Verpflichtung, aus das Positive
dessen, was Hegel geschrieben, aufmerksam zu machen. Gestelle hat er sich
diese Aufgabe wohl. Am Schluß eines jeden Capiiels, wo ein neues Werk
Hegels kritisch vernichtet ist, folgen ein paar Seiten, worin bemerkt wird,
daß doch manches Gute darin zu finden wäre. Allein diese stehn in keinem
Verhältniß zum Vorhergehenden, der unbefangene Leser nimmt sie als eine
bloße Captatio benevolentiae und ist nicht wenig erstaunt, wenn zum An¬
fang und am Schluß von Hegel als von einem großen Mann geredt wird,
der auf die Literatur sehr günstig eingewirkt habe. Bei dem stark ausgeprägten,
fast scrupulöser Rechtsgefühl deö Verfassers, läßt sich diese große Ungerechtig¬
keit nur aus folgenden Umständen erklären.
Obgleich daS Buch das schärfste ist, das man bisher gegen Hegel geschrie¬
ben hat, so bleibt der Verfasser desselben doch Hegelianer d. h. seine Bill'ung
ist, wenn nicht ganz, doch in ihren charakteristischen Momenten aus der hegel¬
sche» Philosophie hervorgegangen. Er hat diese Bildung durch concrete Stu¬
dien des Lebens und der Geschichte allmälig überwunden, vielleicht in .längerer
Zeit, vielleicht erst nach schweren Kämpfen. Es ist nicht nur eine Verpflich¬
tung gegen das Publicum, der er in diesem Buch nachkommt, sondern eine
Verpflichtung gegen sich selbst; er hat das Bedürfniß gefühlt, sich über seinen
eignen Umbildungsprvceß Rechenschaft zu geben, und es liegt auf der Hand,
daß sich ihm hier vorzugsweise diejenigen Momente aufdrängen, die seine
neue Ueberzeugung motiviren, die ihn von Hegel trennen, nicht die alten
Bildungsformen,' die mit seinem Gemüth und seinem Denken so innig ver¬
wachsen sind, daß er sie nicht mehr als etwas Fremdes empfindet. Wen»
man sich gewaltsam von einer langgehegten und werth gewordenen Ueberzeu¬
gung losreißt, ist eine Selbsttäuschung schwer zu vermeiden. Hegel ist der
seiner Kritik Kants und Fichtes genau in denselben Fehler verfallen. Aber
der Irrthum dehnt sich eines auf die Thatsachen aus. So behauptet
Haym, und gewiß im vollen Glauben, die hegelsche Aesthetik enthalte gegen
Schiller nichts eigen,euch Neues; gleichwol würde es ihm schwer werden, M
den Schriften Schillers und der übrigen gleichzeitigen Aesthetiker die Stelle»
nachzuweisen, die Hegel ausgeschrieben haben soll. Ausgewachsen in der Hegel-
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