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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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als 1833 und 3i, wenn auch größer als 1881 und 32. Dafür wird sie
voraussichtlich im laufenden Jahre sogar die bisher höchste Summe, die des
Jahres 183i, hinter sich lassen.

Von den 363,178 Landbewohnern darf man nun wenigstens 3it),000 unter
die Ackerbauer rechnen. Denn nach dem Landesvergleich von 1735 darf auf
dem platten Lande fast gar kein Gewerbe betrieben werden; bei den wenigen,
denen es gestattet ist, ist jeder Meister auf einen Gehilfen beschränkt. Zu der
Zeit, als noch die Leibeigenschaft bestand -- und sie bestand bekanntlich in
Mecklenburg am längsten, nämlich bis 1820 -- war freilich der Grundherr
verpflichtet, seinen Leibhörigen Obdach und Unterhalt zu geben, gleichviel, ob
sich Beschäftigung und dadurch Erwerb darbot, oder nicht. Was war die Folge?
Nach Aufhebung der Leibeigenschaft bemühte sich die Ritterschaft, diejenigen
Gutseinwohner von ihren Besitzungen zu entfernen, welche zum Betriebe der
Landwirthschaft nicht durchaus nothwendig erschienen. Dieser Erpulsionseifer
ward sogar so stark, daß die Regierung schon am 2. April 1821 sich genöthigt sah,
durch eine Verordnung das dem Gutsherrn zustehende Kündigungsrecht gegen
seine Gutsbewohner zu suspendiren. Natürlich hielt trotzdem die Ritterschaft,
deren Feudalherrschaft durch die Bauernbefreiung in ihren Grundfesten erschüt¬
tert war, ihre Princip fest. Noch bis auf den heutigen Tag gilt es als Grund¬
satz, daß die vorhandenen Arbeitskräfte nicht über den Bedarf für die Land-
wirthschaft steigen dürfen. Dem zu Liebe bleiben Heirathen, Ansässigmachungen
u. s. w. überall aufs alleräußerste erschwert, während auch der Niederlassung
außerhalb der Rittergüter die größten Hindernisse gesetzlich bereitet sind. In
den ersten Jahrzehnten nach Aufhebung der Leibeigenschaft suchten und fanden
nun die von den Rittergütern erilirten Menschen ihr Unterkommen theils in
den Städten, theils im Domanium auf dem Platten Lande. Und zwar natür¬
lich vorzugsweise auf den Domänen, da sie hier wieder Ackerbau, ihren Lebens-
beruf, betreiben konnten. Denn da auf dem platten Lande der Handwerksbetrieb
beinahe gar nicht gestattet war, so fehlten'den meisten die Kenntnisse und Fer¬
tigkeiten, um mit städtischen Gewerben ihr Brot zu verdienen. Auch durften
und dürfen sie es noch heute nicht, wenn sie nicht heimatsberechtigt in den
Städten sind, da ihnen dort ein Zunft- und Innungswesen vollkommen mit¬
telalterlichen Schlags unübersteigliche Hemmnisse entgegenstellt. Natürlich
sorgten und sorgen außerdem die Städte eifrigst dafür, daß kein Eingewander¬
ter Heimathsrecht erringe. Anderwärts wären nun freilich die Fabriken übrig
gewesen, .um wenigstens dem Hunger entgehen zu können. Aber Mecklenburg
hat keine Fabriken und der städtische Handwerker kann auch sein Geschäft nicht
fabrikmäßig betreiben. Denn zunächst stehen ihm ebenfalls die Zunftgesetze
entgegen, welche die nächstverwandten Arbeiten in ganz verschiedene Zünfte
verweisen. Dann aber auch die wunderbaren Steuerverhältnisse. Die beiden


als 1833 und 3i, wenn auch größer als 1881 und 32. Dafür wird sie
voraussichtlich im laufenden Jahre sogar die bisher höchste Summe, die des
Jahres 183i, hinter sich lassen.

Von den 363,178 Landbewohnern darf man nun wenigstens 3it),000 unter
die Ackerbauer rechnen. Denn nach dem Landesvergleich von 1735 darf auf
dem platten Lande fast gar kein Gewerbe betrieben werden; bei den wenigen,
denen es gestattet ist, ist jeder Meister auf einen Gehilfen beschränkt. Zu der
Zeit, als noch die Leibeigenschaft bestand — und sie bestand bekanntlich in
Mecklenburg am längsten, nämlich bis 1820 — war freilich der Grundherr
verpflichtet, seinen Leibhörigen Obdach und Unterhalt zu geben, gleichviel, ob
sich Beschäftigung und dadurch Erwerb darbot, oder nicht. Was war die Folge?
Nach Aufhebung der Leibeigenschaft bemühte sich die Ritterschaft, diejenigen
Gutseinwohner von ihren Besitzungen zu entfernen, welche zum Betriebe der
Landwirthschaft nicht durchaus nothwendig erschienen. Dieser Erpulsionseifer
ward sogar so stark, daß die Regierung schon am 2. April 1821 sich genöthigt sah,
durch eine Verordnung das dem Gutsherrn zustehende Kündigungsrecht gegen
seine Gutsbewohner zu suspendiren. Natürlich hielt trotzdem die Ritterschaft,
deren Feudalherrschaft durch die Bauernbefreiung in ihren Grundfesten erschüt¬
tert war, ihre Princip fest. Noch bis auf den heutigen Tag gilt es als Grund¬
satz, daß die vorhandenen Arbeitskräfte nicht über den Bedarf für die Land-
wirthschaft steigen dürfen. Dem zu Liebe bleiben Heirathen, Ansässigmachungen
u. s. w. überall aufs alleräußerste erschwert, während auch der Niederlassung
außerhalb der Rittergüter die größten Hindernisse gesetzlich bereitet sind. In
den ersten Jahrzehnten nach Aufhebung der Leibeigenschaft suchten und fanden
nun die von den Rittergütern erilirten Menschen ihr Unterkommen theils in
den Städten, theils im Domanium auf dem Platten Lande. Und zwar natür¬
lich vorzugsweise auf den Domänen, da sie hier wieder Ackerbau, ihren Lebens-
beruf, betreiben konnten. Denn da auf dem platten Lande der Handwerksbetrieb
beinahe gar nicht gestattet war, so fehlten'den meisten die Kenntnisse und Fer¬
tigkeiten, um mit städtischen Gewerben ihr Brot zu verdienen. Auch durften
und dürfen sie es noch heute nicht, wenn sie nicht heimatsberechtigt in den
Städten sind, da ihnen dort ein Zunft- und Innungswesen vollkommen mit¬
telalterlichen Schlags unübersteigliche Hemmnisse entgegenstellt. Natürlich
sorgten und sorgen außerdem die Städte eifrigst dafür, daß kein Eingewander¬
ter Heimathsrecht erringe. Anderwärts wären nun freilich die Fabriken übrig
gewesen, .um wenigstens dem Hunger entgehen zu können. Aber Mecklenburg
hat keine Fabriken und der städtische Handwerker kann auch sein Geschäft nicht
fabrikmäßig betreiben. Denn zunächst stehen ihm ebenfalls die Zunftgesetze
entgegen, welche die nächstverwandten Arbeiten in ganz verschiedene Zünfte
verweisen. Dann aber auch die wunderbaren Steuerverhältnisse. Die beiden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/356>, abgerufen am 23.07.2024.