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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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mit den Zuständen Mecklenburgs ist. Theilweise ist eS wol daraus erklär¬
lich, daß sie sich selbst in rein thatsächlicher Darstellung zu anachronistisch und
erotisch ausnehmen, um anderwärts geglaubt zu werden. Theilweise hängt es
auch damit zusammen, daß Mecklenburg sich bei allen nationalen Fragen und
Gestaltungen grundsätzlich ausschließt. Beigestimmt hat eS z. B. seit der
Restauration des Bundestages, so viel uns erinnerlich ist, nur den Bundeö-
normen für Beschneidung der Verfassungen, so wie denen über das VereinS-
und Preßwesen. Ausgeschlossen hat es sich dagegen von den Beschlüssen des
Bundes zu Gunsten deutscher Interessen im orientalischen Kriege, von den
Vereinbarungen über Heimathswesen u. s. w. Sein Zutritt zum Zollverein ist
von bürgerlichen Mitgliedern der Ritterschaft wiederholt auf den Landtagen
beantragt und ebenso wiederholt durch die aristokratischen Elemente aä aotg,
votirt worden. Daß dieser Widerwille seitens der eingeborenen Ritter¬
schaft rein politischer Natur ist, hat allerdings seinen guten Grund. Sie be¬
sorgt nämlich, daß durch Mecklenburgs Eintritt in den Zollverein die Regie¬
rung minder abhängig von den Geldbewilligungen der vom Adel dominirten
Landtage werde. Und da sie mit der Junkerpartei anderer Länder den tiefen
Haß gegen die Bureaukratie theilt, so lange nicht alle Verwaltung in ritter-
vürtigen Händen ist, so tritt sie natürlich deren Selbstständigkeit an jeder
Stelle negirenb in den Weg.

Bis jetzt hat sie auch glücklich jede Veränderung der Heimathgcsetze fern¬
gehalten, obgleich die Regierung mehrmals dafür die Initiative zu ergreifen
suchte. Für den nächsten Landtag steht deren Verhandlung abermals in Aus¬
sicht, da aus der Mitte der Gutsbesitzer eine dahinziclende Proposition dem
engeren Ausschüsse von Ritter- und Landschaft zum Zwecke der "Jntiman'on"
Vorliegt. ES ist nun in der That von besonderem Interesse, die hierher bezüg¬
lichen Verhältnisse, wie sie augenblicklich liegen, zu Nutz und Frommen der
Mit- und Nachwelt etwas genauer ins Auge zu fassen.

Am 11. November 1836 hatte Mecklenburg 352,064 Einwohner, von
denen 176,886 den Städten, 363,178 dem flachen Lande angehörten. Bei¬
läufig gesagt, ergab diese Zählung eine Verminderung der Gesamm! Bevölkerung
Legen 1831 um 375 Seele"; und während in demselben Zeitraume die Bevöl¬
kerung des Flachlandes (Domänen, ritterschaftliche- und Klostergüter) um
632" Seelen verringert worden war, halte sich die der Städte mit ihren Kam-
'"ereigülern um 3946 Seelen vermehrt. Vergleicht man überdies die Geburts¬
und Sterbelisten, so ergibt sich in diesen sechs Jahren ein Ueberschuß von 33,403
Geburten gegen die Sterbefälle. Rechnet man dazu obige Differenz, so hatte
Mecklenburg zu Martini 1836: 33,977 Einwohner weniger, als es nach Ge¬
burten und Sterbefällen hätte haben müssen. Aber freilich betrug 1836 die
Zahl der Auswanderungen ungefähr 3300 und war noch lange nicht so hoch


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mit den Zuständen Mecklenburgs ist. Theilweise ist eS wol daraus erklär¬
lich, daß sie sich selbst in rein thatsächlicher Darstellung zu anachronistisch und
erotisch ausnehmen, um anderwärts geglaubt zu werden. Theilweise hängt es
auch damit zusammen, daß Mecklenburg sich bei allen nationalen Fragen und
Gestaltungen grundsätzlich ausschließt. Beigestimmt hat eS z. B. seit der
Restauration des Bundestages, so viel uns erinnerlich ist, nur den Bundeö-
normen für Beschneidung der Verfassungen, so wie denen über das VereinS-
und Preßwesen. Ausgeschlossen hat es sich dagegen von den Beschlüssen des
Bundes zu Gunsten deutscher Interessen im orientalischen Kriege, von den
Vereinbarungen über Heimathswesen u. s. w. Sein Zutritt zum Zollverein ist
von bürgerlichen Mitgliedern der Ritterschaft wiederholt auf den Landtagen
beantragt und ebenso wiederholt durch die aristokratischen Elemente aä aotg,
votirt worden. Daß dieser Widerwille seitens der eingeborenen Ritter¬
schaft rein politischer Natur ist, hat allerdings seinen guten Grund. Sie be¬
sorgt nämlich, daß durch Mecklenburgs Eintritt in den Zollverein die Regie¬
rung minder abhängig von den Geldbewilligungen der vom Adel dominirten
Landtage werde. Und da sie mit der Junkerpartei anderer Länder den tiefen
Haß gegen die Bureaukratie theilt, so lange nicht alle Verwaltung in ritter-
vürtigen Händen ist, so tritt sie natürlich deren Selbstständigkeit an jeder
Stelle negirenb in den Weg.

Bis jetzt hat sie auch glücklich jede Veränderung der Heimathgcsetze fern¬
gehalten, obgleich die Regierung mehrmals dafür die Initiative zu ergreifen
suchte. Für den nächsten Landtag steht deren Verhandlung abermals in Aus¬
sicht, da aus der Mitte der Gutsbesitzer eine dahinziclende Proposition dem
engeren Ausschüsse von Ritter- und Landschaft zum Zwecke der „Jntiman'on"
Vorliegt. ES ist nun in der That von besonderem Interesse, die hierher bezüg¬
lichen Verhältnisse, wie sie augenblicklich liegen, zu Nutz und Frommen der
Mit- und Nachwelt etwas genauer ins Auge zu fassen.

Am 11. November 1836 hatte Mecklenburg 352,064 Einwohner, von
denen 176,886 den Städten, 363,178 dem flachen Lande angehörten. Bei¬
läufig gesagt, ergab diese Zählung eine Verminderung der Gesamm! Bevölkerung
Legen 1831 um 375 Seele»; und während in demselben Zeitraume die Bevöl¬
kerung des Flachlandes (Domänen, ritterschaftliche- und Klostergüter) um
632» Seelen verringert worden war, halte sich die der Städte mit ihren Kam-
'«ereigülern um 3946 Seelen vermehrt. Vergleicht man überdies die Geburts¬
und Sterbelisten, so ergibt sich in diesen sechs Jahren ein Ueberschuß von 33,403
Geburten gegen die Sterbefälle. Rechnet man dazu obige Differenz, so hatte
Mecklenburg zu Martini 1836: 33,977 Einwohner weniger, als es nach Ge¬
burten und Sterbefällen hätte haben müssen. Aber freilich betrug 1836 die
Zahl der Auswanderungen ungefähr 3300 und war noch lange nicht so hoch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/355>, abgerufen am 23.07.2024.