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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Mecklenburg, zustimmen kaum über 200 Quadratmeilen groß und Verhältniß-
mäßig dünn bevölkert, dazu von der Steuergrenze gegen den Zollverein ringsum
mit einer chinesischen Mauer umzogen, erfreuen sich nämlich auch im Innern
unzähliger Zollstätten. Die Stadtgewerbe sind also in die Städte eingepfercht,
haben mit jeglicher Erschwerung der Herbeischaffung des Rohmaterials zu käm¬
pfen, werde" von den numerisch zahlreichsten Abnehmern künstlich entfernt uno
behalten trotzdem nicht einmal die einheimische ^Kundschaft sicher. Denn, Dank
den grundgesetzlichen ErbvergleichSprivilegicn, kann jeder Privatmann zu seinem
Persönlichen Bedarfe alles steuerfrei vom Unglaube beziehen. Dieses Privi¬
legium kommt aber natürlich fast ausschließlich den Wohlhabenderen zu Statten
-- ein Grund mehr für die aristokratischen Landtagselemente, den Beitritt zum
Zollverein weit wegzuweisen. Es käme ja sonst das Wort eines Mitgliedes
der Ritterschaft zur Geltung: "Bedenken Sie, in. H., daß mit dem Anschlusse
Mecklenburgs an den Zollverein unsere Verfassung zu Grabe getragen
würde!"

Doch wir haben die freigelassenen Leibeignen des platten Landes nach
ihrer Austreibung aus deu Rittergütern vor den Stadtthoren und vorläufig
untergebracht auf den Domänen verlassen. Aber diese, so wie die auf den
Gütern gebliebenen vermehrten sich nach den Naturgesetzen, wenn auch, wie
voriges Jahr die parlamentarischen JndiScretionen in der preußischen Kammer
verriethen, nicht grade mit absonderlicher Beihilfe des priesterlichen Ehesegens.
Man behauptete dort sogar, es eristirten in Mecklenburg S9 Ortschaften, wo
es blos uneheliche Kinder gebe. Aber Väter, Mütter und Kinder, ob legitim
oder nicht, hatten dann doch zu jeder Zeit das gleiche Bedürfniß nach Speise
und Trank. Von einer Bevölkerung von einer halbe" Million blieben mehr
als 300,000 emzi'g auf den Ackerbau gewiesen. Nichts war natürlicher, als
daß diese Erwerbsquelle zu ihrer Sättigung nicht hinreichen konnte. Dabei
>se noch gar nicht in Anschlag gebracht, daß der Winter in Mecklenburg durch¬
schnittlich vier Monate dauert und daß ländliche Arbeiten, wo sie so ausschließlich
die Erwerbsquelle bilden, selbst bei normalen Verhältnissen zwischen Arbeitern
und Betrieb, sich während dieser Zeit gewöhnlich als unzureichend erweisen.
Dazu kommt aber bei uuserem Klima auch noch eine ganze Reihe von Hand¬
werkern, welche nothgedrungen zu derselben Zeit feiern müssen, wie Maurer,
Zimmerleute, Cementirer u. s. w. nebst ihren Handlangern, weil ihnen ihre
Zunftgesetze gar keinen andern Erwerbszweig gestatten. Wie sollen nun alle
diese Arbeiter des Landes und der Städte, denen die Möglichkeit des Unter¬
kommens und der freien Verwerthung ihrer Kräfte fehlt, daran denken können,
°>nen eignen Herd und Familien zu gründen?

So wuchs die Noth, ohne daß nur entfernt von Übervölkerung die Rede
i°in konnte, da die Bevölkerungsdichtigkeit auf dem Minimalsatze eines civili-


Mecklenburg, zustimmen kaum über 200 Quadratmeilen groß und Verhältniß-
mäßig dünn bevölkert, dazu von der Steuergrenze gegen den Zollverein ringsum
mit einer chinesischen Mauer umzogen, erfreuen sich nämlich auch im Innern
unzähliger Zollstätten. Die Stadtgewerbe sind also in die Städte eingepfercht,
haben mit jeglicher Erschwerung der Herbeischaffung des Rohmaterials zu käm¬
pfen, werde» von den numerisch zahlreichsten Abnehmern künstlich entfernt uno
behalten trotzdem nicht einmal die einheimische ^Kundschaft sicher. Denn, Dank
den grundgesetzlichen ErbvergleichSprivilegicn, kann jeder Privatmann zu seinem
Persönlichen Bedarfe alles steuerfrei vom Unglaube beziehen. Dieses Privi¬
legium kommt aber natürlich fast ausschließlich den Wohlhabenderen zu Statten
— ein Grund mehr für die aristokratischen Landtagselemente, den Beitritt zum
Zollverein weit wegzuweisen. Es käme ja sonst das Wort eines Mitgliedes
der Ritterschaft zur Geltung: „Bedenken Sie, in. H., daß mit dem Anschlusse
Mecklenburgs an den Zollverein unsere Verfassung zu Grabe getragen
würde!"

Doch wir haben die freigelassenen Leibeignen des platten Landes nach
ihrer Austreibung aus deu Rittergütern vor den Stadtthoren und vorläufig
untergebracht auf den Domänen verlassen. Aber diese, so wie die auf den
Gütern gebliebenen vermehrten sich nach den Naturgesetzen, wenn auch, wie
voriges Jahr die parlamentarischen JndiScretionen in der preußischen Kammer
verriethen, nicht grade mit absonderlicher Beihilfe des priesterlichen Ehesegens.
Man behauptete dort sogar, es eristirten in Mecklenburg S9 Ortschaften, wo
es blos uneheliche Kinder gebe. Aber Väter, Mütter und Kinder, ob legitim
oder nicht, hatten dann doch zu jeder Zeit das gleiche Bedürfniß nach Speise
und Trank. Von einer Bevölkerung von einer halbe» Million blieben mehr
als 300,000 emzi'g auf den Ackerbau gewiesen. Nichts war natürlicher, als
daß diese Erwerbsquelle zu ihrer Sättigung nicht hinreichen konnte. Dabei
>se noch gar nicht in Anschlag gebracht, daß der Winter in Mecklenburg durch¬
schnittlich vier Monate dauert und daß ländliche Arbeiten, wo sie so ausschließlich
die Erwerbsquelle bilden, selbst bei normalen Verhältnissen zwischen Arbeitern
und Betrieb, sich während dieser Zeit gewöhnlich als unzureichend erweisen.
Dazu kommt aber bei uuserem Klima auch noch eine ganze Reihe von Hand¬
werkern, welche nothgedrungen zu derselben Zeit feiern müssen, wie Maurer,
Zimmerleute, Cementirer u. s. w. nebst ihren Handlangern, weil ihnen ihre
Zunftgesetze gar keinen andern Erwerbszweig gestatten. Wie sollen nun alle
diese Arbeiter des Landes und der Städte, denen die Möglichkeit des Unter¬
kommens und der freien Verwerthung ihrer Kräfte fehlt, daran denken können,
°>nen eignen Herd und Familien zu gründen?

So wuchs die Noth, ohne daß nur entfernt von Übervölkerung die Rede
i°in konnte, da die Bevölkerungsdichtigkeit auf dem Minimalsatze eines civili-


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[0357] Mecklenburg, zustimmen kaum über 200 Quadratmeilen groß und Verhältniß- mäßig dünn bevölkert, dazu von der Steuergrenze gegen den Zollverein ringsum mit einer chinesischen Mauer umzogen, erfreuen sich nämlich auch im Innern unzähliger Zollstätten. Die Stadtgewerbe sind also in die Städte eingepfercht, haben mit jeglicher Erschwerung der Herbeischaffung des Rohmaterials zu käm¬ pfen, werde» von den numerisch zahlreichsten Abnehmern künstlich entfernt uno behalten trotzdem nicht einmal die einheimische ^Kundschaft sicher. Denn, Dank den grundgesetzlichen ErbvergleichSprivilegicn, kann jeder Privatmann zu seinem Persönlichen Bedarfe alles steuerfrei vom Unglaube beziehen. Dieses Privi¬ legium kommt aber natürlich fast ausschließlich den Wohlhabenderen zu Statten — ein Grund mehr für die aristokratischen Landtagselemente, den Beitritt zum Zollverein weit wegzuweisen. Es käme ja sonst das Wort eines Mitgliedes der Ritterschaft zur Geltung: „Bedenken Sie, in. H., daß mit dem Anschlusse Mecklenburgs an den Zollverein unsere Verfassung zu Grabe getragen würde!" Doch wir haben die freigelassenen Leibeignen des platten Landes nach ihrer Austreibung aus deu Rittergütern vor den Stadtthoren und vorläufig untergebracht auf den Domänen verlassen. Aber diese, so wie die auf den Gütern gebliebenen vermehrten sich nach den Naturgesetzen, wenn auch, wie voriges Jahr die parlamentarischen JndiScretionen in der preußischen Kammer verriethen, nicht grade mit absonderlicher Beihilfe des priesterlichen Ehesegens. Man behauptete dort sogar, es eristirten in Mecklenburg S9 Ortschaften, wo es blos uneheliche Kinder gebe. Aber Väter, Mütter und Kinder, ob legitim oder nicht, hatten dann doch zu jeder Zeit das gleiche Bedürfniß nach Speise und Trank. Von einer Bevölkerung von einer halbe» Million blieben mehr als 300,000 emzi'g auf den Ackerbau gewiesen. Nichts war natürlicher, als daß diese Erwerbsquelle zu ihrer Sättigung nicht hinreichen konnte. Dabei >se noch gar nicht in Anschlag gebracht, daß der Winter in Mecklenburg durch¬ schnittlich vier Monate dauert und daß ländliche Arbeiten, wo sie so ausschließlich die Erwerbsquelle bilden, selbst bei normalen Verhältnissen zwischen Arbeitern und Betrieb, sich während dieser Zeit gewöhnlich als unzureichend erweisen. Dazu kommt aber bei uuserem Klima auch noch eine ganze Reihe von Hand¬ werkern, welche nothgedrungen zu derselben Zeit feiern müssen, wie Maurer, Zimmerleute, Cementirer u. s. w. nebst ihren Handlangern, weil ihnen ihre Zunftgesetze gar keinen andern Erwerbszweig gestatten. Wie sollen nun alle diese Arbeiter des Landes und der Städte, denen die Möglichkeit des Unter¬ kommens und der freien Verwerthung ihrer Kräfte fehlt, daran denken können, °>nen eignen Herd und Familien zu gründen? So wuchs die Noth, ohne daß nur entfernt von Übervölkerung die Rede i°in konnte, da die Bevölkerungsdichtigkeit auf dem Minimalsatze eines civili-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/357>, abgerufen am 23.07.2024.