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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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ab, an die eS sich anlehnt. Die beispiellose Höhe deS KunstbedürfnisseS in
der römischen Welt, das zum allergrößten Theil eben durch das Handwerk
befriedigt wurde, ist bisher geschildert worden. Aber auch die Entwicklung
der Kunst, aus der dies Handwerk'hervorging, hat ihres Gleichen nie wieder
gehabt. Ein unermeßlicher Reichthum von Ideen und Formen war durch sie
geschaffen, Darstellungs- und Behandlungsweise nach allen Seiten hin aufs
vollkommenste durchgebildet worden. Mitj.dieser Erbschaft konnte auch die epi¬
gonische Zeit, der eigne schöpferische Kraft gebrach, noch Jahrhunderte lang
haushalten, ohne arm zu erscheinen; um so mehr als sie an der überkommenen
Tradition im Ganzen mit lobenswerther Treue festhielt und den kostbaren Er¬
werb der frühern glücklichern Perioden nicht durch fruchtloses Erperimentiren
Preis gab. Nicht? nur wurden die griechischen Originale in zahllosen Copien
und Nachahmungen vervielfältigt, sondern die alten Formen, Motive, Gestal¬
ten und Gruppen blieben fort und fort befolgte Muster und Vorbilder und
üblen ihren wohlthätigen Einfluß auf die neue Produktion, die in der That
großentheils Neprovuction war. So bewegte sich die griechische Kunst auch
auf römischem Boden ,in gewohnten Kreisen und löste die neuen Aufgaben
nach allbewährten Gesetzen. Dieser unermeßliche Vortheil einer überall maß'
gebenden künstlerischen Tradition kam natürlich auch dem Handwerk zu Gute,
um so mehr als es eine scharfe Trennung zwischen Kunst und Handwerk in einer
Zeit nicht gab, wo die Kunst mit dem Leben in so innigem Zusammenhange
stand. Auch in die Werkstätten der Töpfer und Steinmetzen gingen die herr¬
lichsten Erfindungen deö griechischen Geistes über, auch diese untergeordneten
Arbeiter bildeten unwillkürlich Auge und Hand an solchen Mustern und konn¬
ten mit einiger technischen Routine gute, ja vortreffliche Nachbildungen
liefern. Vielleicht bei der Mehrzahl aller auf römischem Boden gefundenen
Arbeiten in allen Kunstgattungen (die Porträtstatuen und Büsten natürlich
ausgenommen) gehört die Erfindung im Wesentlichen dem griechischen Künstler,
die Ausführung dem römischen Techniker, und wurden die griechischen Muster
auch nicht genan copirt, so wurde immer doch mehr oder weniger von ihnen
entlehnt, und ihr Einfluß war wenigstens ein^mittelbarer. Nur so war es mög¬
lich, daß die Kunst und mit ihr das Kunsthandwerk fast zwei Jahrhunderte
sich auf einer für die Ungunst der Verhältnisse staunenswürdigen Höhe hielt-
Aber freilich wurde der geistlosen, fabrikmäßigen Schiullarbeit und Maste"-
Produktion immer mehr, des echten künstlerischen Schaffens immer weniger,
bis eS allmälig ganz abstarb, und das Handwerk, obwol anch mehr und mehr
in Unbehilflichkeit und Plumpheit versinkend, überall die Stelle der Kunst
einnahm und dem abgestumpften Sinn der spätern Zeiten als Kunst erschie"-

Wen" die Arbeit des Künstlers in der heutigen Welt, wo sie als Resul¬
tat selten vereinter Bedingungen geschätzt und nur ausnahmsweise verlangt


ab, an die eS sich anlehnt. Die beispiellose Höhe deS KunstbedürfnisseS in
der römischen Welt, das zum allergrößten Theil eben durch das Handwerk
befriedigt wurde, ist bisher geschildert worden. Aber auch die Entwicklung
der Kunst, aus der dies Handwerk'hervorging, hat ihres Gleichen nie wieder
gehabt. Ein unermeßlicher Reichthum von Ideen und Formen war durch sie
geschaffen, Darstellungs- und Behandlungsweise nach allen Seiten hin aufs
vollkommenste durchgebildet worden. Mitj.dieser Erbschaft konnte auch die epi¬
gonische Zeit, der eigne schöpferische Kraft gebrach, noch Jahrhunderte lang
haushalten, ohne arm zu erscheinen; um so mehr als sie an der überkommenen
Tradition im Ganzen mit lobenswerther Treue festhielt und den kostbaren Er¬
werb der frühern glücklichern Perioden nicht durch fruchtloses Erperimentiren
Preis gab. Nicht? nur wurden die griechischen Originale in zahllosen Copien
und Nachahmungen vervielfältigt, sondern die alten Formen, Motive, Gestal¬
ten und Gruppen blieben fort und fort befolgte Muster und Vorbilder und
üblen ihren wohlthätigen Einfluß auf die neue Produktion, die in der That
großentheils Neprovuction war. So bewegte sich die griechische Kunst auch
auf römischem Boden ,in gewohnten Kreisen und löste die neuen Aufgaben
nach allbewährten Gesetzen. Dieser unermeßliche Vortheil einer überall maß'
gebenden künstlerischen Tradition kam natürlich auch dem Handwerk zu Gute,
um so mehr als es eine scharfe Trennung zwischen Kunst und Handwerk in einer
Zeit nicht gab, wo die Kunst mit dem Leben in so innigem Zusammenhange
stand. Auch in die Werkstätten der Töpfer und Steinmetzen gingen die herr¬
lichsten Erfindungen deö griechischen Geistes über, auch diese untergeordneten
Arbeiter bildeten unwillkürlich Auge und Hand an solchen Mustern und konn¬
ten mit einiger technischen Routine gute, ja vortreffliche Nachbildungen
liefern. Vielleicht bei der Mehrzahl aller auf römischem Boden gefundenen
Arbeiten in allen Kunstgattungen (die Porträtstatuen und Büsten natürlich
ausgenommen) gehört die Erfindung im Wesentlichen dem griechischen Künstler,
die Ausführung dem römischen Techniker, und wurden die griechischen Muster
auch nicht genan copirt, so wurde immer doch mehr oder weniger von ihnen
entlehnt, und ihr Einfluß war wenigstens ein^mittelbarer. Nur so war es mög¬
lich, daß die Kunst und mit ihr das Kunsthandwerk fast zwei Jahrhunderte
sich auf einer für die Ungunst der Verhältnisse staunenswürdigen Höhe hielt-
Aber freilich wurde der geistlosen, fabrikmäßigen Schiullarbeit und Maste»-
Produktion immer mehr, des echten künstlerischen Schaffens immer weniger,
bis eS allmälig ganz abstarb, und das Handwerk, obwol anch mehr und mehr
in Unbehilflichkeit und Plumpheit versinkend, überall die Stelle der Kunst
einnahm und dem abgestumpften Sinn der spätern Zeiten als Kunst erschie"-

Wen» die Arbeit des Künstlers in der heutigen Welt, wo sie als Resul¬
tat selten vereinter Bedingungen geschätzt und nur ausnahmsweise verlangt


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[0344] ab, an die eS sich anlehnt. Die beispiellose Höhe deS KunstbedürfnisseS in der römischen Welt, das zum allergrößten Theil eben durch das Handwerk befriedigt wurde, ist bisher geschildert worden. Aber auch die Entwicklung der Kunst, aus der dies Handwerk'hervorging, hat ihres Gleichen nie wieder gehabt. Ein unermeßlicher Reichthum von Ideen und Formen war durch sie geschaffen, Darstellungs- und Behandlungsweise nach allen Seiten hin aufs vollkommenste durchgebildet worden. Mitj.dieser Erbschaft konnte auch die epi¬ gonische Zeit, der eigne schöpferische Kraft gebrach, noch Jahrhunderte lang haushalten, ohne arm zu erscheinen; um so mehr als sie an der überkommenen Tradition im Ganzen mit lobenswerther Treue festhielt und den kostbaren Er¬ werb der frühern glücklichern Perioden nicht durch fruchtloses Erperimentiren Preis gab. Nicht? nur wurden die griechischen Originale in zahllosen Copien und Nachahmungen vervielfältigt, sondern die alten Formen, Motive, Gestal¬ ten und Gruppen blieben fort und fort befolgte Muster und Vorbilder und üblen ihren wohlthätigen Einfluß auf die neue Produktion, die in der That großentheils Neprovuction war. So bewegte sich die griechische Kunst auch auf römischem Boden ,in gewohnten Kreisen und löste die neuen Aufgaben nach allbewährten Gesetzen. Dieser unermeßliche Vortheil einer überall maß' gebenden künstlerischen Tradition kam natürlich auch dem Handwerk zu Gute, um so mehr als es eine scharfe Trennung zwischen Kunst und Handwerk in einer Zeit nicht gab, wo die Kunst mit dem Leben in so innigem Zusammenhange stand. Auch in die Werkstätten der Töpfer und Steinmetzen gingen die herr¬ lichsten Erfindungen deö griechischen Geistes über, auch diese untergeordneten Arbeiter bildeten unwillkürlich Auge und Hand an solchen Mustern und konn¬ ten mit einiger technischen Routine gute, ja vortreffliche Nachbildungen liefern. Vielleicht bei der Mehrzahl aller auf römischem Boden gefundenen Arbeiten in allen Kunstgattungen (die Porträtstatuen und Büsten natürlich ausgenommen) gehört die Erfindung im Wesentlichen dem griechischen Künstler, die Ausführung dem römischen Techniker, und wurden die griechischen Muster auch nicht genan copirt, so wurde immer doch mehr oder weniger von ihnen entlehnt, und ihr Einfluß war wenigstens ein^mittelbarer. Nur so war es mög¬ lich, daß die Kunst und mit ihr das Kunsthandwerk fast zwei Jahrhunderte sich auf einer für die Ungunst der Verhältnisse staunenswürdigen Höhe hielt- Aber freilich wurde der geistlosen, fabrikmäßigen Schiullarbeit und Maste»- Produktion immer mehr, des echten künstlerischen Schaffens immer weniger, bis eS allmälig ganz abstarb, und das Handwerk, obwol anch mehr und mehr in Unbehilflichkeit und Plumpheit versinkend, überall die Stelle der Kunst einnahm und dem abgestumpften Sinn der spätern Zeiten als Kunst erschie"- Wen» die Arbeit des Künstlers in der heutigen Welt, wo sie als Resul¬ tat selten vereinter Bedingungen geschätzt und nur ausnahmsweise verlangt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/344>, abgerufen am 23.07.2024.