Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ire, und noch im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung hatte die ägyp¬
tische Kunst ihren eigenthümlichen Charakter so streng bewahrt, daß Sculp-
turen aus dieser Periode von Sachverständigen dreitausend Jahre vor Christus
hinaufdatirt worden sind. Aber die Kunstreste aus römischer Zeit, die in
allen übrigen Ländern gefunden werden, haben vie auffallendste Familien¬
ähnlichkeit, überall trifft man dieselbe Auffassung und Behandlung, ja selbst
Technik. Vor fünfzehnhundert Jahren sind vermuthlich für Kenner die feine¬
ren Nüancen der provinziellen Stile und Manieren erkennbar gewesen; jetzt
sind sie es nicht mehr, denn der wesentliche Charakter ist in ein und derselben
Periode überall derselbe, höchstens ist 'an der Ostgrenze des Reichs der Ein¬
fluß zu erkennen, den der Schwulst und die Maßlosigkeit des Orients übte, aber
innerhalb deS ganzen römischen Gebiets gibt es keine Unterschiede, die nicht aus
größerer oder geringerer Kunstfertigkeit der Künstler und Handwerker herzu¬
leiten wären. Man kann es keinem Mosaikbilv ansehn, ob es in Tunis oder in
Susser, in Salzburg oder in Granada ausgegraben worden ist; die Malereien
in den Grüften von Kyrene könnten ebensogut an den Wänden römischer Villen
sich befunden, das Monument von Igel ebensogut an jeder beliebigen andern
Landstraße des Kaiserreichs gestanden haben.

Ein anderes kaum übersehbares Feld für ihre Thätigkeit fand die Kunst
um Cultus. Die Gottesdienste der eroberten Länder hatten bei den Eroberern
bereitwillige Aufnahme, gefunden; die des Occidents und des Nordens aller¬
dings nur bei den Römern, die in diesen Provinzen angesiedelt waren, wäh¬
rend die ägyptischen und orientalischen sich über das ganze Reich ausbreiteten.
Die in allen Ländern zerstreuten, auf ihren Cultus bezüglichen Denkmäler,
Reliefs, Idole, Votivtafeln zeigen, wie reiche Beschäftigung daS religiöse Be¬
dürfniß überall der Kunst gab, um so mehr, als die Frömmigkeit der spätern
Äahrhnnverte sich am liebsten durch eine möglichst große Menge von Gottes^
diensten die Seligkeit zu versichern strebte. Sehr häusig waren die Kaiser
einer dieser Superstitionen besonders zugethan, folglich machte ein neuer Re¬
gierungsantritt häufig auch einen neuen Cultus in weiten Kreisen zum herr¬
schenden, und schaffte unzähligen Werkstätten neue Bestellungen. Wie- nach¬
teilig übrigens diese fortwährende Beschäftigung mit den in "Urformen und
Uebcrformen" ausschweifenden orientalischen Culten der Kunst sein mußte, be¬
sonders seit die zunehmende Göttermischung die Gestalten durcheinanderwirrte
Und jede feste Form aufhob, kaun hier nicht ausgeführt werden.

Interessanter ist es, auf die Verwendung der bildenden Kunst zu monu¬
mentalen Werken im eigentlichen Sinn des Worts d. h. zur Verewigung
von Persönlichkeiten und Ereignissen, einen Blick zu 'werfen, die weder vorher
Uvah nachher in so kolossales Dimensionen betrieben worden ist, als in den
ersten beiden und zum Theil noch dem dritten und vierten Jahrhundert nach


42*

ire, und noch im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung hatte die ägyp¬
tische Kunst ihren eigenthümlichen Charakter so streng bewahrt, daß Sculp-
turen aus dieser Periode von Sachverständigen dreitausend Jahre vor Christus
hinaufdatirt worden sind. Aber die Kunstreste aus römischer Zeit, die in
allen übrigen Ländern gefunden werden, haben vie auffallendste Familien¬
ähnlichkeit, überall trifft man dieselbe Auffassung und Behandlung, ja selbst
Technik. Vor fünfzehnhundert Jahren sind vermuthlich für Kenner die feine¬
ren Nüancen der provinziellen Stile und Manieren erkennbar gewesen; jetzt
sind sie es nicht mehr, denn der wesentliche Charakter ist in ein und derselben
Periode überall derselbe, höchstens ist 'an der Ostgrenze des Reichs der Ein¬
fluß zu erkennen, den der Schwulst und die Maßlosigkeit des Orients übte, aber
innerhalb deS ganzen römischen Gebiets gibt es keine Unterschiede, die nicht aus
größerer oder geringerer Kunstfertigkeit der Künstler und Handwerker herzu¬
leiten wären. Man kann es keinem Mosaikbilv ansehn, ob es in Tunis oder in
Susser, in Salzburg oder in Granada ausgegraben worden ist; die Malereien
in den Grüften von Kyrene könnten ebensogut an den Wänden römischer Villen
sich befunden, das Monument von Igel ebensogut an jeder beliebigen andern
Landstraße des Kaiserreichs gestanden haben.

Ein anderes kaum übersehbares Feld für ihre Thätigkeit fand die Kunst
um Cultus. Die Gottesdienste der eroberten Länder hatten bei den Eroberern
bereitwillige Aufnahme, gefunden; die des Occidents und des Nordens aller¬
dings nur bei den Römern, die in diesen Provinzen angesiedelt waren, wäh¬
rend die ägyptischen und orientalischen sich über das ganze Reich ausbreiteten.
Die in allen Ländern zerstreuten, auf ihren Cultus bezüglichen Denkmäler,
Reliefs, Idole, Votivtafeln zeigen, wie reiche Beschäftigung daS religiöse Be¬
dürfniß überall der Kunst gab, um so mehr, als die Frömmigkeit der spätern
Äahrhnnverte sich am liebsten durch eine möglichst große Menge von Gottes^
diensten die Seligkeit zu versichern strebte. Sehr häusig waren die Kaiser
einer dieser Superstitionen besonders zugethan, folglich machte ein neuer Re¬
gierungsantritt häufig auch einen neuen Cultus in weiten Kreisen zum herr¬
schenden, und schaffte unzähligen Werkstätten neue Bestellungen. Wie- nach¬
teilig übrigens diese fortwährende Beschäftigung mit den in „Urformen und
Uebcrformen" ausschweifenden orientalischen Culten der Kunst sein mußte, be¬
sonders seit die zunehmende Göttermischung die Gestalten durcheinanderwirrte
Und jede feste Form aufhob, kaun hier nicht ausgeführt werden.

Interessanter ist es, auf die Verwendung der bildenden Kunst zu monu¬
mentalen Werken im eigentlichen Sinn des Worts d. h. zur Verewigung
von Persönlichkeiten und Ereignissen, einen Blick zu 'werfen, die weder vorher
Uvah nachher in so kolossales Dimensionen betrieben worden ist, als in den
ersten beiden und zum Theil noch dem dritten und vierten Jahrhundert nach


42*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0339" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105074"/>
            <p xml:id="ID_957" prev="#ID_956"> ire, und noch im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung hatte die ägyp¬<lb/>
tische Kunst ihren eigenthümlichen Charakter so streng bewahrt, daß Sculp-<lb/>
turen aus dieser Periode von Sachverständigen dreitausend Jahre vor Christus<lb/>
hinaufdatirt worden sind. Aber die Kunstreste aus römischer Zeit, die in<lb/>
allen übrigen Ländern gefunden werden, haben vie auffallendste Familien¬<lb/>
ähnlichkeit, überall trifft man dieselbe Auffassung und Behandlung, ja selbst<lb/>
Technik. Vor fünfzehnhundert Jahren sind vermuthlich für Kenner die feine¬<lb/>
ren Nüancen der provinziellen Stile und Manieren erkennbar gewesen; jetzt<lb/>
sind sie es nicht mehr, denn der wesentliche Charakter ist in ein und derselben<lb/>
Periode überall derselbe, höchstens ist 'an der Ostgrenze des Reichs der Ein¬<lb/>
fluß zu erkennen, den der Schwulst und die Maßlosigkeit des Orients übte, aber<lb/>
innerhalb deS ganzen römischen Gebiets gibt es keine Unterschiede, die nicht aus<lb/>
größerer oder geringerer Kunstfertigkeit der Künstler und Handwerker herzu¬<lb/>
leiten wären. Man kann es keinem Mosaikbilv ansehn, ob es in Tunis oder in<lb/>
Susser, in Salzburg oder in Granada ausgegraben worden ist; die Malereien<lb/>
in den Grüften von Kyrene könnten ebensogut an den Wänden römischer Villen<lb/>
sich befunden, das Monument von Igel ebensogut an jeder beliebigen andern<lb/>
Landstraße des Kaiserreichs gestanden haben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_958"> Ein anderes kaum übersehbares Feld für ihre Thätigkeit fand die Kunst<lb/>
um Cultus. Die Gottesdienste der eroberten Länder hatten bei den Eroberern<lb/>
bereitwillige Aufnahme, gefunden; die des Occidents und des Nordens aller¬<lb/>
dings nur bei den Römern, die in diesen Provinzen angesiedelt waren, wäh¬<lb/>
rend die ägyptischen und orientalischen sich über das ganze Reich ausbreiteten.<lb/>
Die in allen Ländern zerstreuten, auf ihren Cultus bezüglichen Denkmäler,<lb/>
Reliefs, Idole, Votivtafeln zeigen, wie reiche Beschäftigung daS religiöse Be¬<lb/>
dürfniß überall der Kunst gab, um so mehr, als die Frömmigkeit der spätern<lb/>
Äahrhnnverte sich am liebsten durch eine möglichst große Menge von Gottes^<lb/>
diensten die Seligkeit zu versichern strebte. Sehr häusig waren die Kaiser<lb/>
einer dieser Superstitionen besonders zugethan, folglich machte ein neuer Re¬<lb/>
gierungsantritt häufig auch einen neuen Cultus in weiten Kreisen zum herr¬<lb/>
schenden, und schaffte unzähligen Werkstätten neue Bestellungen. Wie- nach¬<lb/>
teilig übrigens diese fortwährende Beschäftigung mit den in &#x201E;Urformen und<lb/>
Uebcrformen" ausschweifenden orientalischen Culten der Kunst sein mußte, be¬<lb/>
sonders seit die zunehmende Göttermischung die Gestalten durcheinanderwirrte<lb/>
Und jede feste Form aufhob, kaun hier nicht ausgeführt werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_959" next="#ID_960"> Interessanter ist es, auf die Verwendung der bildenden Kunst zu monu¬<lb/>
mentalen Werken im eigentlichen Sinn des Worts d. h. zur Verewigung<lb/>
von Persönlichkeiten und Ereignissen, einen Blick zu 'werfen, die weder vorher<lb/>
Uvah nachher in so kolossales Dimensionen betrieben worden ist, als in den<lb/>
ersten beiden und zum Theil noch dem dritten und vierten Jahrhundert nach</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 42*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0339] ire, und noch im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung hatte die ägyp¬ tische Kunst ihren eigenthümlichen Charakter so streng bewahrt, daß Sculp- turen aus dieser Periode von Sachverständigen dreitausend Jahre vor Christus hinaufdatirt worden sind. Aber die Kunstreste aus römischer Zeit, die in allen übrigen Ländern gefunden werden, haben vie auffallendste Familien¬ ähnlichkeit, überall trifft man dieselbe Auffassung und Behandlung, ja selbst Technik. Vor fünfzehnhundert Jahren sind vermuthlich für Kenner die feine¬ ren Nüancen der provinziellen Stile und Manieren erkennbar gewesen; jetzt sind sie es nicht mehr, denn der wesentliche Charakter ist in ein und derselben Periode überall derselbe, höchstens ist 'an der Ostgrenze des Reichs der Ein¬ fluß zu erkennen, den der Schwulst und die Maßlosigkeit des Orients übte, aber innerhalb deS ganzen römischen Gebiets gibt es keine Unterschiede, die nicht aus größerer oder geringerer Kunstfertigkeit der Künstler und Handwerker herzu¬ leiten wären. Man kann es keinem Mosaikbilv ansehn, ob es in Tunis oder in Susser, in Salzburg oder in Granada ausgegraben worden ist; die Malereien in den Grüften von Kyrene könnten ebensogut an den Wänden römischer Villen sich befunden, das Monument von Igel ebensogut an jeder beliebigen andern Landstraße des Kaiserreichs gestanden haben. Ein anderes kaum übersehbares Feld für ihre Thätigkeit fand die Kunst um Cultus. Die Gottesdienste der eroberten Länder hatten bei den Eroberern bereitwillige Aufnahme, gefunden; die des Occidents und des Nordens aller¬ dings nur bei den Römern, die in diesen Provinzen angesiedelt waren, wäh¬ rend die ägyptischen und orientalischen sich über das ganze Reich ausbreiteten. Die in allen Ländern zerstreuten, auf ihren Cultus bezüglichen Denkmäler, Reliefs, Idole, Votivtafeln zeigen, wie reiche Beschäftigung daS religiöse Be¬ dürfniß überall der Kunst gab, um so mehr, als die Frömmigkeit der spätern Äahrhnnverte sich am liebsten durch eine möglichst große Menge von Gottes^ diensten die Seligkeit zu versichern strebte. Sehr häusig waren die Kaiser einer dieser Superstitionen besonders zugethan, folglich machte ein neuer Re¬ gierungsantritt häufig auch einen neuen Cultus in weiten Kreisen zum herr¬ schenden, und schaffte unzähligen Werkstätten neue Bestellungen. Wie- nach¬ teilig übrigens diese fortwährende Beschäftigung mit den in „Urformen und Uebcrformen" ausschweifenden orientalischen Culten der Kunst sein mußte, be¬ sonders seit die zunehmende Göttermischung die Gestalten durcheinanderwirrte Und jede feste Form aufhob, kaun hier nicht ausgeführt werden. Interessanter ist es, auf die Verwendung der bildenden Kunst zu monu¬ mentalen Werken im eigentlichen Sinn des Worts d. h. zur Verewigung von Persönlichkeiten und Ereignissen, einen Blick zu 'werfen, die weder vorher Uvah nachher in so kolossales Dimensionen betrieben worden ist, als in den ersten beiden und zum Theil noch dem dritten und vierten Jahrhundert nach 42*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/339
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/339>, abgerufen am 23.07.2024.