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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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und marmorne Candelaber von Arabesken umrankt, silberne Schalen mit
getriebener Arbeit, gläserne Prachtvasen mit verschiedenfarbigen Figuren; son¬
dern auch das irdene Geschirr des Armen, die Siegelringe aus Glasfluß, der
die Stelle von Edelsteinen vertreten mußte, die thönerne Lampe, die bei spä¬
ter Arbeit leuchtete -- alles hat seinen bildlichen Schmuck, und namentlich
die Deckel der Thonlampen haben den Kunstfreunden und Antiquaren einen
reichen Schatz von Motiven und Gegenständen aufbewahrt. Am deutlichsten
aber zeigt sich in den Grabdenkmälern, wie die bildende Kunst jener Zeit auch
dem Geringsten und Unbeglücktesten ihre Gaben spendete. Selbst die Sarko¬
phage und Urnen, auf denen "die Fülle den Tod überwältigt und die Asche
im stillen Bezirk noch sich des Lebens zu freuen scheint", sind größtentheils
aus den Werkstätten sehr untergeordneter Kunsthandwerker hervorgegangen,
und wol auch für Unbemittelte erschwinglich gewesen. Aber auch die Ruhe¬
stätten der ärmsten und niedrigsten, der Sklaven, sind nicht ohne kleine Bil¬
der, die zuweilen recht leidlich, mit flüchtigem kecken Pinsel an alle unbenutz¬
bare Stellen der Wände und Pfeiler gemalt sind. Wenn hier eine neue
Urne in der für sie bestimmten Höhlung beigesetzt ward, mögen die Leidtra¬
genden mit stolzer Zufriedenheit den Schmuck betrachtet haben, den sie aus
ihren kleinen Ersparnissen für die Wohnung der Todten angeschafft hatten.
Da schoß Herkules dem Prometheus den Geier von der Leber weg, Odysseus
betrachtete gerührt den sterbenden Hund Argos, groteske Pygmäen ergriffen
vor einem Krokodil die Flucht, Gaukler tanzten einen Castagnettentanz, eine
Giraffe mit einem Glase um den Hals (ganz natürlich wie im Amphitheater)
wurde von ihrem Wärter geführt u. f. w.

DaS hier geschilderte Bedürfniß nach künstlerischer Decoration, das vor
allem auf massenhafte, augenfällige oder bunte Füllung des Raumes gerich¬
tet, immer etwas Barbarisches behielt, und von dem echten Schönheitssinn
der Griechen sehr verschieben war, habe" die Römer in alle Himmelsstriche
getragen, in denen sie römisches Wesen und römische Cultur heimisch machten.
Je mehr die Romanisirung der unterworfene" Länder sich vollendete, desto mehr
verbreitete sich dies Bedürfniß und die ihm entsprechende Massenproduction in
der ganzen alten Welt, und die Ubiquität der Kunst und des Kuusthandmerkes
gab dem künstlerischen Schmuck der Städte dasselbe uniforme Gepräge, das
auch ihre Architektur im Ganzen gehabt haben muß. Die bildende Kunst war
(mit einer Ausnahme) überall eine und dieselbe, die unter dem Himmel Grie¬
chenlands erblühend zur Vollendung gereift, dann nach Rom verpflanzt und
romanisirt worden war. Bon allen übrigen Ländern hatte keines eine selbst¬
ständige Kunstentwicklung gehabt, an der es hätte festhalten können. Ägyp¬
ten ist das Land, das hier die einzige Ausnahme macht, seine beispiellose
Stabilität bewies sich auch hier und wurde von den Römern auch hier respec-


und marmorne Candelaber von Arabesken umrankt, silberne Schalen mit
getriebener Arbeit, gläserne Prachtvasen mit verschiedenfarbigen Figuren; son¬
dern auch das irdene Geschirr des Armen, die Siegelringe aus Glasfluß, der
die Stelle von Edelsteinen vertreten mußte, die thönerne Lampe, die bei spä¬
ter Arbeit leuchtete — alles hat seinen bildlichen Schmuck, und namentlich
die Deckel der Thonlampen haben den Kunstfreunden und Antiquaren einen
reichen Schatz von Motiven und Gegenständen aufbewahrt. Am deutlichsten
aber zeigt sich in den Grabdenkmälern, wie die bildende Kunst jener Zeit auch
dem Geringsten und Unbeglücktesten ihre Gaben spendete. Selbst die Sarko¬
phage und Urnen, auf denen „die Fülle den Tod überwältigt und die Asche
im stillen Bezirk noch sich des Lebens zu freuen scheint", sind größtentheils
aus den Werkstätten sehr untergeordneter Kunsthandwerker hervorgegangen,
und wol auch für Unbemittelte erschwinglich gewesen. Aber auch die Ruhe¬
stätten der ärmsten und niedrigsten, der Sklaven, sind nicht ohne kleine Bil¬
der, die zuweilen recht leidlich, mit flüchtigem kecken Pinsel an alle unbenutz¬
bare Stellen der Wände und Pfeiler gemalt sind. Wenn hier eine neue
Urne in der für sie bestimmten Höhlung beigesetzt ward, mögen die Leidtra¬
genden mit stolzer Zufriedenheit den Schmuck betrachtet haben, den sie aus
ihren kleinen Ersparnissen für die Wohnung der Todten angeschafft hatten.
Da schoß Herkules dem Prometheus den Geier von der Leber weg, Odysseus
betrachtete gerührt den sterbenden Hund Argos, groteske Pygmäen ergriffen
vor einem Krokodil die Flucht, Gaukler tanzten einen Castagnettentanz, eine
Giraffe mit einem Glase um den Hals (ganz natürlich wie im Amphitheater)
wurde von ihrem Wärter geführt u. f. w.

DaS hier geschilderte Bedürfniß nach künstlerischer Decoration, das vor
allem auf massenhafte, augenfällige oder bunte Füllung des Raumes gerich¬
tet, immer etwas Barbarisches behielt, und von dem echten Schönheitssinn
der Griechen sehr verschieben war, habe» die Römer in alle Himmelsstriche
getragen, in denen sie römisches Wesen und römische Cultur heimisch machten.
Je mehr die Romanisirung der unterworfene» Länder sich vollendete, desto mehr
verbreitete sich dies Bedürfniß und die ihm entsprechende Massenproduction in
der ganzen alten Welt, und die Ubiquität der Kunst und des Kuusthandmerkes
gab dem künstlerischen Schmuck der Städte dasselbe uniforme Gepräge, das
auch ihre Architektur im Ganzen gehabt haben muß. Die bildende Kunst war
(mit einer Ausnahme) überall eine und dieselbe, die unter dem Himmel Grie¬
chenlands erblühend zur Vollendung gereift, dann nach Rom verpflanzt und
romanisirt worden war. Bon allen übrigen Ländern hatte keines eine selbst¬
ständige Kunstentwicklung gehabt, an der es hätte festhalten können. Ägyp¬
ten ist das Land, das hier die einzige Ausnahme macht, seine beispiellose
Stabilität bewies sich auch hier und wurde von den Römern auch hier respec-


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[0338] und marmorne Candelaber von Arabesken umrankt, silberne Schalen mit getriebener Arbeit, gläserne Prachtvasen mit verschiedenfarbigen Figuren; son¬ dern auch das irdene Geschirr des Armen, die Siegelringe aus Glasfluß, der die Stelle von Edelsteinen vertreten mußte, die thönerne Lampe, die bei spä¬ ter Arbeit leuchtete — alles hat seinen bildlichen Schmuck, und namentlich die Deckel der Thonlampen haben den Kunstfreunden und Antiquaren einen reichen Schatz von Motiven und Gegenständen aufbewahrt. Am deutlichsten aber zeigt sich in den Grabdenkmälern, wie die bildende Kunst jener Zeit auch dem Geringsten und Unbeglücktesten ihre Gaben spendete. Selbst die Sarko¬ phage und Urnen, auf denen „die Fülle den Tod überwältigt und die Asche im stillen Bezirk noch sich des Lebens zu freuen scheint", sind größtentheils aus den Werkstätten sehr untergeordneter Kunsthandwerker hervorgegangen, und wol auch für Unbemittelte erschwinglich gewesen. Aber auch die Ruhe¬ stätten der ärmsten und niedrigsten, der Sklaven, sind nicht ohne kleine Bil¬ der, die zuweilen recht leidlich, mit flüchtigem kecken Pinsel an alle unbenutz¬ bare Stellen der Wände und Pfeiler gemalt sind. Wenn hier eine neue Urne in der für sie bestimmten Höhlung beigesetzt ward, mögen die Leidtra¬ genden mit stolzer Zufriedenheit den Schmuck betrachtet haben, den sie aus ihren kleinen Ersparnissen für die Wohnung der Todten angeschafft hatten. Da schoß Herkules dem Prometheus den Geier von der Leber weg, Odysseus betrachtete gerührt den sterbenden Hund Argos, groteske Pygmäen ergriffen vor einem Krokodil die Flucht, Gaukler tanzten einen Castagnettentanz, eine Giraffe mit einem Glase um den Hals (ganz natürlich wie im Amphitheater) wurde von ihrem Wärter geführt u. f. w. DaS hier geschilderte Bedürfniß nach künstlerischer Decoration, das vor allem auf massenhafte, augenfällige oder bunte Füllung des Raumes gerich¬ tet, immer etwas Barbarisches behielt, und von dem echten Schönheitssinn der Griechen sehr verschieben war, habe» die Römer in alle Himmelsstriche getragen, in denen sie römisches Wesen und römische Cultur heimisch machten. Je mehr die Romanisirung der unterworfene» Länder sich vollendete, desto mehr verbreitete sich dies Bedürfniß und die ihm entsprechende Massenproduction in der ganzen alten Welt, und die Ubiquität der Kunst und des Kuusthandmerkes gab dem künstlerischen Schmuck der Städte dasselbe uniforme Gepräge, das auch ihre Architektur im Ganzen gehabt haben muß. Die bildende Kunst war (mit einer Ausnahme) überall eine und dieselbe, die unter dem Himmel Grie¬ chenlands erblühend zur Vollendung gereift, dann nach Rom verpflanzt und romanisirt worden war. Bon allen übrigen Ländern hatte keines eine selbst¬ ständige Kunstentwicklung gehabt, an der es hätte festhalten können. Ägyp¬ ten ist das Land, das hier die einzige Ausnahme macht, seine beispiellose Stabilität bewies sich auch hier und wurde von den Römern auch hier respec-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/338>, abgerufen am 23.07.2024.