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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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aller neuern Zeiten ist mehr oder minder erclusiv gewesen. Sie hat im Dien¬
ste der Kirche, der Macht, des Reichthums gestanden, und nur ausnahms¬
weise beigetragen, die Existenz der mittleren, aber nie Her untersten Schichten
der Gesellschaft zu verschönern. Sie hat in Hauptstädten und an Fürstensitzen
gewohnt und diesen vereinzelten Punkten ihren Schmuck verliehen, den ganze
Provinzen und Länder entbehren mußten und noch müssen. Sie hat in der
Regel zum Verständniß ihrer Schöpfungen eine Abstractionsfähigkeit voraus¬
gesetzt, deren Mangel den Massen den Genuß derselben völlig unmöglich
macht, und so hat die moderne Kunst immer nur für eine kleine Minderzahl
eristirt. Die Kunst der römischen Kaiserzeit provucirte für alle Bildungsgrade
und für alle Classen der Gesellschaft. Sie schuf den Apoll und Laokoon zum
Hochgenuß der Kenner und füllte lange Wände und Fußböden mit den wohl¬
getroffenen Porträts von Gladiatoren und Athleten zum Entzücken des Gassen-
publicums. Ihre Werke machten nicht blos die Hauptstadt der Welt zu einer
Stadt der Wunder, sie befriedigte auch die bescheidenem Kunstbedürfnisse der
mittlern und kleinern Orte im ganzen Reich und gab ihnen einen heitern und
bunten, oft glänzenden und prachtvollen Anblick. Pompeji, Herculanum und
andere Orte z. B. Otricvli haben hinreichend gezeigt, wie überreich wohl¬
habende Mittelstädte an künstlerischem Schmuck waren, und die in allen von
Römern bewohnten Ländern ausgegrabenen Kunsttrümmcr beweisen, daß die
Provinzen hierin nicht eben hinter Italien zurückstanden. Aber freilich nur
in den beiden verschütteten Städten wird man vollkommen inne, wie die De¬
koration durch Plastik und Malerei zum unentbehrlichen Comfort auch der
bescheidenen Eristenz kleiner Bürger in einer Landstadt gehörte, weil hier
allein Privatwohnungen aller Art so gut wie vollständig erhalten sind. Daß
diese Lust an den Zierden der Kunst bis in die letzten Zeiten des römischen
Alterthums lebendig und allgemein blieb, beweist unter andern das Prcisedict
Dioclelianö, in dem für alle gangbaren Arbeiten im ganzen Reich ein Mari-
mum deS Tagelohnes festgesetzt wird. Hier wird unter den zum Hausbau
erforderlichen Handwerken auch der Marmorarbeiter (für Ornamente und Fu߬
böden) der Mosaicist, der Bildermaler, der Thonmodellenr und der Ghpsbild-
"er angeführt. Ein Kunstbebürfniß, daS in so hohem Grade auch von den
mittlern und untern Classen getheilt winde, setzt eine sehr umfassende Produk¬
tion in wohlfeilen und leicht zu behandelnden Stoffen voraus. In der That
ist der Vorrat!) von Resten in solchem Material trotz seiner Zerbrechlichkeit un-
gemein groß, und in Stuck, Terracotta und Thon sind sehr zahlreiche, zum
Theil köstliche Reliefs und Ornamente erhalten, die einst zum Schmuck gerin¬
gerer Zimmer und Häuserfronten gedient haben. Dieselbe Allgemeinheit des
küustlcnschen Schmucks zeigt der Hausrath. Auch hier sind nicht blos die
to>tbaren Geräthschiifi^u ans reichen Häusern plastisch verziert, wie bronzene


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aller neuern Zeiten ist mehr oder minder erclusiv gewesen. Sie hat im Dien¬
ste der Kirche, der Macht, des Reichthums gestanden, und nur ausnahms¬
weise beigetragen, die Existenz der mittleren, aber nie Her untersten Schichten
der Gesellschaft zu verschönern. Sie hat in Hauptstädten und an Fürstensitzen
gewohnt und diesen vereinzelten Punkten ihren Schmuck verliehen, den ganze
Provinzen und Länder entbehren mußten und noch müssen. Sie hat in der
Regel zum Verständniß ihrer Schöpfungen eine Abstractionsfähigkeit voraus¬
gesetzt, deren Mangel den Massen den Genuß derselben völlig unmöglich
macht, und so hat die moderne Kunst immer nur für eine kleine Minderzahl
eristirt. Die Kunst der römischen Kaiserzeit provucirte für alle Bildungsgrade
und für alle Classen der Gesellschaft. Sie schuf den Apoll und Laokoon zum
Hochgenuß der Kenner und füllte lange Wände und Fußböden mit den wohl¬
getroffenen Porträts von Gladiatoren und Athleten zum Entzücken des Gassen-
publicums. Ihre Werke machten nicht blos die Hauptstadt der Welt zu einer
Stadt der Wunder, sie befriedigte auch die bescheidenem Kunstbedürfnisse der
mittlern und kleinern Orte im ganzen Reich und gab ihnen einen heitern und
bunten, oft glänzenden und prachtvollen Anblick. Pompeji, Herculanum und
andere Orte z. B. Otricvli haben hinreichend gezeigt, wie überreich wohl¬
habende Mittelstädte an künstlerischem Schmuck waren, und die in allen von
Römern bewohnten Ländern ausgegrabenen Kunsttrümmcr beweisen, daß die
Provinzen hierin nicht eben hinter Italien zurückstanden. Aber freilich nur
in den beiden verschütteten Städten wird man vollkommen inne, wie die De¬
koration durch Plastik und Malerei zum unentbehrlichen Comfort auch der
bescheidenen Eristenz kleiner Bürger in einer Landstadt gehörte, weil hier
allein Privatwohnungen aller Art so gut wie vollständig erhalten sind. Daß
diese Lust an den Zierden der Kunst bis in die letzten Zeiten des römischen
Alterthums lebendig und allgemein blieb, beweist unter andern das Prcisedict
Dioclelianö, in dem für alle gangbaren Arbeiten im ganzen Reich ein Mari-
mum deS Tagelohnes festgesetzt wird. Hier wird unter den zum Hausbau
erforderlichen Handwerken auch der Marmorarbeiter (für Ornamente und Fu߬
böden) der Mosaicist, der Bildermaler, der Thonmodellenr und der Ghpsbild-
»er angeführt. Ein Kunstbebürfniß, daS in so hohem Grade auch von den
mittlern und untern Classen getheilt winde, setzt eine sehr umfassende Produk¬
tion in wohlfeilen und leicht zu behandelnden Stoffen voraus. In der That
ist der Vorrat!) von Resten in solchem Material trotz seiner Zerbrechlichkeit un-
gemein groß, und in Stuck, Terracotta und Thon sind sehr zahlreiche, zum
Theil köstliche Reliefs und Ornamente erhalten, die einst zum Schmuck gerin¬
gerer Zimmer und Häuserfronten gedient haben. Dieselbe Allgemeinheit des
küustlcnschen Schmucks zeigt der Hausrath. Auch hier sind nicht blos die
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[0337] aller neuern Zeiten ist mehr oder minder erclusiv gewesen. Sie hat im Dien¬ ste der Kirche, der Macht, des Reichthums gestanden, und nur ausnahms¬ weise beigetragen, die Existenz der mittleren, aber nie Her untersten Schichten der Gesellschaft zu verschönern. Sie hat in Hauptstädten und an Fürstensitzen gewohnt und diesen vereinzelten Punkten ihren Schmuck verliehen, den ganze Provinzen und Länder entbehren mußten und noch müssen. Sie hat in der Regel zum Verständniß ihrer Schöpfungen eine Abstractionsfähigkeit voraus¬ gesetzt, deren Mangel den Massen den Genuß derselben völlig unmöglich macht, und so hat die moderne Kunst immer nur für eine kleine Minderzahl eristirt. Die Kunst der römischen Kaiserzeit provucirte für alle Bildungsgrade und für alle Classen der Gesellschaft. Sie schuf den Apoll und Laokoon zum Hochgenuß der Kenner und füllte lange Wände und Fußböden mit den wohl¬ getroffenen Porträts von Gladiatoren und Athleten zum Entzücken des Gassen- publicums. Ihre Werke machten nicht blos die Hauptstadt der Welt zu einer Stadt der Wunder, sie befriedigte auch die bescheidenem Kunstbedürfnisse der mittlern und kleinern Orte im ganzen Reich und gab ihnen einen heitern und bunten, oft glänzenden und prachtvollen Anblick. Pompeji, Herculanum und andere Orte z. B. Otricvli haben hinreichend gezeigt, wie überreich wohl¬ habende Mittelstädte an künstlerischem Schmuck waren, und die in allen von Römern bewohnten Ländern ausgegrabenen Kunsttrümmcr beweisen, daß die Provinzen hierin nicht eben hinter Italien zurückstanden. Aber freilich nur in den beiden verschütteten Städten wird man vollkommen inne, wie die De¬ koration durch Plastik und Malerei zum unentbehrlichen Comfort auch der bescheidenen Eristenz kleiner Bürger in einer Landstadt gehörte, weil hier allein Privatwohnungen aller Art so gut wie vollständig erhalten sind. Daß diese Lust an den Zierden der Kunst bis in die letzten Zeiten des römischen Alterthums lebendig und allgemein blieb, beweist unter andern das Prcisedict Dioclelianö, in dem für alle gangbaren Arbeiten im ganzen Reich ein Mari- mum deS Tagelohnes festgesetzt wird. Hier wird unter den zum Hausbau erforderlichen Handwerken auch der Marmorarbeiter (für Ornamente und Fu߬ böden) der Mosaicist, der Bildermaler, der Thonmodellenr und der Ghpsbild- »er angeführt. Ein Kunstbebürfniß, daS in so hohem Grade auch von den mittlern und untern Classen getheilt winde, setzt eine sehr umfassende Produk¬ tion in wohlfeilen und leicht zu behandelnden Stoffen voraus. In der That ist der Vorrat!) von Resten in solchem Material trotz seiner Zerbrechlichkeit un- gemein groß, und in Stuck, Terracotta und Thon sind sehr zahlreiche, zum Theil köstliche Reliefs und Ornamente erhalten, die einst zum Schmuck gerin¬ gerer Zimmer und Häuserfronten gedient haben. Dieselbe Allgemeinheit des küustlcnschen Schmucks zeigt der Hausrath. Auch hier sind nicht blos die to>tbaren Geräthschiifi^u ans reichen Häusern plastisch verziert, wie bronzene Greiizboleu IV. -ILS7. . «2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/337>, abgerufen am 23.07.2024.