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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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anziehend gemacht. Von den, wichtigsten Trägern der älteren englischen Ma¬
lerei, von Reynolds und Gainsborough aber wußten wir eben nur die Namen
anzugeben, höchstens daß wir die krausen Kunstansichten, die Reynolds vom
Präsidentenstuhle der londoner Akademie zum Besten gab, zu belächeln ge¬
lernt hatten. Was kann denn auch aus dem 18. Jahrhundert Gutes kommen?
Mit dieser Ueberzeugung trösteten wir uns über unsere Unkenntnis;, bis wir
erst in Manchester merkten, baß wir in der That viel verloren, und daß ins¬
besondere Reynolds hinsichtlich der Fülle der künstlerischen Anlage den bedeu¬
tendsten Künstlerindividuen" beigezählt werden muß. Seine Wirksamkeit be¬
schränkt sich freilich nur auf das Porträt. Aber hier, getragen von einer
guten Tradition und unterstützt von den aristokratischen Neigungen der Briten,
welche der Porträtkunst überhaupt günstig waren, leistete er in der That
Großes. Nur eine Schule konnte er nicht gründen, weil er selbst von allzu¬
viel Schulen und Weisen abhängig war, und nur seiner guten Natur es zu
danken hatte, daß er nicht Widersprechendes aufeinander häufte, oder in
einem flachen Eklekticismus sich verlor. Schade, daß die meisten Bilder schon
unglaublich viel gelitten haben. Bei besserer Erhaltung würde z. B. das
zauberische Ltravbörr^-xir! gewiß ein Liebling der Kunstgebildeten Europas
werden.

Mit Reynolds und Gainsborough beginnt die überaus reich vertretene
Abtheilung der modernen Maler, die so ziemlich mit einer Galerie der moder¬
nen englischen Malerei gleichbedeutend ist. Mit Ausnahme Ary Scheffers
nämlich ist teilt einziger namhafter fremder Künstler durch mehre und bedeu¬
tende We-rke, ja die meisten gar nicht vertreten. Dagegen ist kaum ein eng¬
lischer Maler der letzten sechzig Jahre, Oelmaler wie Aquarellmaler ver¬
gessen geblieben. Erfreulich ist der Gesammteindruck nicht, welchen man durch
die Anschauung der neuern englischen Malerwerke erhält, wenngleich das
Vorhandensein zahlreicher und darunter hervorragender Talente zugestanden
werden muß. Man wird unwillkürlich an Schlemihl, der seinen Schatte"
sucht, erinnert. Der Mangel einer stetigen Tradition, der Abgang eines
festen Schulverbandes läßt die englischen Künstler rathlos stehen, so daß ste
das Nächste und Natürlichste nicht erblicken, und dem Absonderlichem als dem
Ideale der Wahrheit und Schönheit nachjagen. Der Zustand der technische"
Bildung ist im Durchschnitt nur dilettantenmäßig, daher auch die Aquarell¬
malerei, die Malerei flach eleganter Skizzen, das höchste Ansehen genießt-
Desto störender für die Kunstentwicklung erwies sich der technische Dilettantis¬
mus in Kreise der Oelmalerei. Nicht darüber soll Klage geführt werden, daß
der akademische Schnürleib, in welchen gleich nach Reynolds Tode jede künst¬
lerische Individualität eingezwängt wurde (B. Wests Tod des General Wolfe
ist die einzige rühmliche Ausnahme eines frischeren Naturalismus) endlich be-


anziehend gemacht. Von den, wichtigsten Trägern der älteren englischen Ma¬
lerei, von Reynolds und Gainsborough aber wußten wir eben nur die Namen
anzugeben, höchstens daß wir die krausen Kunstansichten, die Reynolds vom
Präsidentenstuhle der londoner Akademie zum Besten gab, zu belächeln ge¬
lernt hatten. Was kann denn auch aus dem 18. Jahrhundert Gutes kommen?
Mit dieser Ueberzeugung trösteten wir uns über unsere Unkenntnis;, bis wir
erst in Manchester merkten, baß wir in der That viel verloren, und daß ins¬
besondere Reynolds hinsichtlich der Fülle der künstlerischen Anlage den bedeu¬
tendsten Künstlerindividuen» beigezählt werden muß. Seine Wirksamkeit be¬
schränkt sich freilich nur auf das Porträt. Aber hier, getragen von einer
guten Tradition und unterstützt von den aristokratischen Neigungen der Briten,
welche der Porträtkunst überhaupt günstig waren, leistete er in der That
Großes. Nur eine Schule konnte er nicht gründen, weil er selbst von allzu¬
viel Schulen und Weisen abhängig war, und nur seiner guten Natur es zu
danken hatte, daß er nicht Widersprechendes aufeinander häufte, oder in
einem flachen Eklekticismus sich verlor. Schade, daß die meisten Bilder schon
unglaublich viel gelitten haben. Bei besserer Erhaltung würde z. B. das
zauberische Ltravbörr^-xir! gewiß ein Liebling der Kunstgebildeten Europas
werden.

Mit Reynolds und Gainsborough beginnt die überaus reich vertretene
Abtheilung der modernen Maler, die so ziemlich mit einer Galerie der moder¬
nen englischen Malerei gleichbedeutend ist. Mit Ausnahme Ary Scheffers
nämlich ist teilt einziger namhafter fremder Künstler durch mehre und bedeu¬
tende We-rke, ja die meisten gar nicht vertreten. Dagegen ist kaum ein eng¬
lischer Maler der letzten sechzig Jahre, Oelmaler wie Aquarellmaler ver¬
gessen geblieben. Erfreulich ist der Gesammteindruck nicht, welchen man durch
die Anschauung der neuern englischen Malerwerke erhält, wenngleich das
Vorhandensein zahlreicher und darunter hervorragender Talente zugestanden
werden muß. Man wird unwillkürlich an Schlemihl, der seinen Schatte»
sucht, erinnert. Der Mangel einer stetigen Tradition, der Abgang eines
festen Schulverbandes läßt die englischen Künstler rathlos stehen, so daß ste
das Nächste und Natürlichste nicht erblicken, und dem Absonderlichem als dem
Ideale der Wahrheit und Schönheit nachjagen. Der Zustand der technische»
Bildung ist im Durchschnitt nur dilettantenmäßig, daher auch die Aquarell¬
malerei, die Malerei flach eleganter Skizzen, das höchste Ansehen genießt-
Desto störender für die Kunstentwicklung erwies sich der technische Dilettantis¬
mus in Kreise der Oelmalerei. Nicht darüber soll Klage geführt werden, daß
der akademische Schnürleib, in welchen gleich nach Reynolds Tode jede künst¬
lerische Individualität eingezwängt wurde (B. Wests Tod des General Wolfe
ist die einzige rühmliche Ausnahme eines frischeren Naturalismus) endlich be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/300>, abgerufen am 23.07.2024.