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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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heilige wurde. Noch weniger möchten wir Partei ergreifen für die gegen¬
wärtige königliche Akademie mit ihren pedantischen Regeln und ihrem gelehr¬
ten, aber künstlerisch ganz unbedeutenden Präsidenten Sir Ch. Eastlake gegen
die kleine Schar selbstständiger Talente, die seit etwa zehn Jahren neue Bah¬
nen versuchen. Nur das müssen wir bestreiten, daß die letzteren einen dau¬
ernden Werth besitzen. Die kleine Gemeinde der "Praeraphaeliten" -- so
nennen sich jene Leute -- tritt in England ziemlich geräuschvoll auf, und
zählt auch hier viele Anhänger, in Deutschland ist sie dagegen vollkommen
unbekannt. Wer kennt bei uns die Namen: Millais, Hunt, Lear, Collins,
Martineau u. s. w.? Schwerlich wird auch die Gelegenheit so bald kommen,
sie durch die Anschauung kennen zu lernen. Aber selbst das Verständniß ihres
Strebens ist nicht leicht erreicht. Der Name Praeraphaeliten verführt leicht
zu dem Glauben, es würden in der That die Meister des -Is. Jahrhunderts,
des vorraphaelischen Zeitalters, zum unmittelbaren Vorbilde genommen. Und
doch gibt es keinen größeren Gegensatz als zwischen der Schilderungsweise
Z. B. eines Benozzo Gozzoli und dem Vorgehen eines englischen Praeravhae¬
liten. Dort die lautere Naivetät, hier die aus dem fanatischen Hasse gegen
alles Conventionelle hervorgegangene berechnete Uebertreibung der Detail-
Wahrheit, dort der natürliche^ Sinn für Farbenharmonie, hier die absichtliche
Aufnahme schreiender Töne und widriger Contraste, dort daS frische Heraus¬
greifen der Motive aus der unmittelbaren Wirklichkeit, hier das Verarbeiten
willkürlicher Einfälle, die nicht Leben, nicht Blut haben, oder das Betteln
beim Dichter, um der vertrockneten Phantasie zu Hilfe zu kommen. Dies alles
verwehrt, die Praeravhaeliten unseren Nazarenern gleichzusetzen, mit welchen sie
allerdings die meisten theoretischen Kunstanschauungcn gemein haben, und
welchen ähnlich sie vielleicht auch einen befruchtenden Einfluß auf die Ent¬
wicklung der Malerei üben werden. Insoweit, als Gegner deS trocken Con-
ventionellen darf man sie anerkennen, aber der Himmel bewahre uns davor,
daß ihre Praxis sich eine dauernde allgemeine Geltung erwerbe.

Die Abtheilung der alten Meister, welche sich links vom Hauptschiff, und
jene der modernen Schulen, welche sich auf der gegenüberliegenden Seite und
(va^reoiours) hinter dem Traussepte hinzog, bildeten die Hauptgruppen der
Ausstellung und die wesentlichen Anziehungspunkte für das größere Publicum.
Doch war mit denselben keineswegs die Summe der Schätze, welche der luf¬
tige Glasbau in sich barg, abgeschlossen. Auf den Galerien im Transsepte
konnte man in einer reichen Zahl von Handzeichnungen dem innersten Wesen
der Künstlerphantasie lauschen und an der Betrachtung köstlicher Blätter von
L'PPi, Raphael, Michelangelo, Tizian, Dürer, Cl. Lorrain u. a. sich ergötzen.
Wer den Sinn offen hatte für die Eigenthümlichkeit des Holzschnittes und Kup¬
ferstiches oder für die Entwicklungsgeschichte dieser Kunstzweige sich interessirte,


heilige wurde. Noch weniger möchten wir Partei ergreifen für die gegen¬
wärtige königliche Akademie mit ihren pedantischen Regeln und ihrem gelehr¬
ten, aber künstlerisch ganz unbedeutenden Präsidenten Sir Ch. Eastlake gegen
die kleine Schar selbstständiger Talente, die seit etwa zehn Jahren neue Bah¬
nen versuchen. Nur das müssen wir bestreiten, daß die letzteren einen dau¬
ernden Werth besitzen. Die kleine Gemeinde der „Praeraphaeliten" — so
nennen sich jene Leute — tritt in England ziemlich geräuschvoll auf, und
zählt auch hier viele Anhänger, in Deutschland ist sie dagegen vollkommen
unbekannt. Wer kennt bei uns die Namen: Millais, Hunt, Lear, Collins,
Martineau u. s. w.? Schwerlich wird auch die Gelegenheit so bald kommen,
sie durch die Anschauung kennen zu lernen. Aber selbst das Verständniß ihres
Strebens ist nicht leicht erreicht. Der Name Praeraphaeliten verführt leicht
zu dem Glauben, es würden in der That die Meister des -Is. Jahrhunderts,
des vorraphaelischen Zeitalters, zum unmittelbaren Vorbilde genommen. Und
doch gibt es keinen größeren Gegensatz als zwischen der Schilderungsweise
Z. B. eines Benozzo Gozzoli und dem Vorgehen eines englischen Praeravhae¬
liten. Dort die lautere Naivetät, hier die aus dem fanatischen Hasse gegen
alles Conventionelle hervorgegangene berechnete Uebertreibung der Detail-
Wahrheit, dort der natürliche^ Sinn für Farbenharmonie, hier die absichtliche
Aufnahme schreiender Töne und widriger Contraste, dort daS frische Heraus¬
greifen der Motive aus der unmittelbaren Wirklichkeit, hier das Verarbeiten
willkürlicher Einfälle, die nicht Leben, nicht Blut haben, oder das Betteln
beim Dichter, um der vertrockneten Phantasie zu Hilfe zu kommen. Dies alles
verwehrt, die Praeravhaeliten unseren Nazarenern gleichzusetzen, mit welchen sie
allerdings die meisten theoretischen Kunstanschauungcn gemein haben, und
welchen ähnlich sie vielleicht auch einen befruchtenden Einfluß auf die Ent¬
wicklung der Malerei üben werden. Insoweit, als Gegner deS trocken Con-
ventionellen darf man sie anerkennen, aber der Himmel bewahre uns davor,
daß ihre Praxis sich eine dauernde allgemeine Geltung erwerbe.

Die Abtheilung der alten Meister, welche sich links vom Hauptschiff, und
jene der modernen Schulen, welche sich auf der gegenüberliegenden Seite und
(va^reoiours) hinter dem Traussepte hinzog, bildeten die Hauptgruppen der
Ausstellung und die wesentlichen Anziehungspunkte für das größere Publicum.
Doch war mit denselben keineswegs die Summe der Schätze, welche der luf¬
tige Glasbau in sich barg, abgeschlossen. Auf den Galerien im Transsepte
konnte man in einer reichen Zahl von Handzeichnungen dem innersten Wesen
der Künstlerphantasie lauschen und an der Betrachtung köstlicher Blätter von
L'PPi, Raphael, Michelangelo, Tizian, Dürer, Cl. Lorrain u. a. sich ergötzen.
Wer den Sinn offen hatte für die Eigenthümlichkeit des Holzschnittes und Kup¬
ferstiches oder für die Entwicklungsgeschichte dieser Kunstzweige sich interessirte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/301>, abgerufen am 23.07.2024.