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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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ten Edelsteine der Ausstellung, wenn auch als der Held desselben nur ein
Schimmel auftrat. Er wird aus dem Stalle herausgeführt und steht im vollen
Sonnenlichte. Eben die kleinen Dimensionen des Bildchens gestatteten dem
Meister, Paul Potter, den Hauptnachdruck auf den Lichteffect zu legen und
erlauben dem Zuschauer, ungehindert die virtuose Durchführung desselben zu
bewundern, ohne durch ein prätentiöses Vortreten des Stoffes im Genusse ge¬
stört zu werden. Um die Uebersicht der Abtheilung der alten Meister zu schlie¬
ßen, bedarf es nur noch einer Erwähnung der spanischen und der weit zerstreu¬
ten ältern englischen Schule. Muster der ältern"französischen Schule waren
in äußerst geringer Zahl vorhanden und auch N. Poussin nur durch zwei be¬
merkenswerthe Bilder, einen köstlichen BachnSzug voll Schalkheit und naiver
Grazie und die bekannte Studie: Das Testament des Eudamidas vertreten. Seit
dem peninLular-nar steht England in dem Rufe, zahlreiche und treffliche Werke
der spanischen Schule zu besitzen. Der Ruf ist, wie die Manchester Ausstellung
bewies, nicht ungegründet, wenn auch manches berühmte Bild, wie z. B. der
Wasserträger von Sevilla aus der Sammlung des Herzogs von Wellington
schmerzlich vermißt wurde. Dem größern Publicum war es natürlich nur an¬
genehm, daß der empfindsame Murillo reicher und glänzender vertreten war,
als der manierlich derbe Velasquez. Im Interesse einer gesunden Kunstanschauung
wäre ein umgekehrtes Verhältniß Wünschenswerther gewesen. Daß Murillo
ein großer Maler war, bezweifelt niemand. Einzelne Proben in der Aus¬
stellung: Die Wasserlrinkcrin, eine Studie zu seinem großen Bilde 1a sea,
der H.Thomas von Villanueva und die Anbetung der Hirten gehören zu dem
Höchsten und Besten, was menschliche Phantasie schaffen kann. Und dennoch
wird man bald die in letzten Jahren so hoch gesteigerte Vorliebe für Murillo
ZU beklagen haben, zumal als dieselbe sich weniger auf seine älteren energisch
"ut frisch aufgefaßten, goldfarbigen Bilder als auf seine letzten matten und
kalten Erzeugnisse bezieht. Seitdem für die Conception im Louvre ein so über¬
trieben hoher Preis gezahlt wurde, glaubt alle Welt pflichtschuldigst in diesen
blutarmen Madonnen einen Ausbund von Schönheit und Grazie bewundern
ZU müssen. Der Tadel gilt als ketzerisch und doch wird die Zeit kommen, wo
me>n^ in Murillos spätern Werken den Verfall des spanischen Naturalismus
ebenso deutlich schauen wird, als in den süßlichen Madonnen Carlo Dolces
den Untergang des italienischen Idealismus, natürlich immer Rechnung tragend
der ungleich tüchtigeren Künstlerkraft des spanischen Meisters.

Für alle bis jetzt angeführten Schulen konnte man auch anderwärts eine
ausreichende Anschauung gewinnen, vollständig neu und fremd waren aber
Namentlich dem continentalen Besucher die Leistungen der englischen Meister
"us dem vorigen Jahrhundert. Hogarth allein war auch diesseits des Kanals
wohl bekannt, und insbesondere durch Lichtenbergs geistreiche Erklärungen uns


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ten Edelsteine der Ausstellung, wenn auch als der Held desselben nur ein
Schimmel auftrat. Er wird aus dem Stalle herausgeführt und steht im vollen
Sonnenlichte. Eben die kleinen Dimensionen des Bildchens gestatteten dem
Meister, Paul Potter, den Hauptnachdruck auf den Lichteffect zu legen und
erlauben dem Zuschauer, ungehindert die virtuose Durchführung desselben zu
bewundern, ohne durch ein prätentiöses Vortreten des Stoffes im Genusse ge¬
stört zu werden. Um die Uebersicht der Abtheilung der alten Meister zu schlie¬
ßen, bedarf es nur noch einer Erwähnung der spanischen und der weit zerstreu¬
ten ältern englischen Schule. Muster der ältern»französischen Schule waren
in äußerst geringer Zahl vorhanden und auch N. Poussin nur durch zwei be¬
merkenswerthe Bilder, einen köstlichen BachnSzug voll Schalkheit und naiver
Grazie und die bekannte Studie: Das Testament des Eudamidas vertreten. Seit
dem peninLular-nar steht England in dem Rufe, zahlreiche und treffliche Werke
der spanischen Schule zu besitzen. Der Ruf ist, wie die Manchester Ausstellung
bewies, nicht ungegründet, wenn auch manches berühmte Bild, wie z. B. der
Wasserträger von Sevilla aus der Sammlung des Herzogs von Wellington
schmerzlich vermißt wurde. Dem größern Publicum war es natürlich nur an¬
genehm, daß der empfindsame Murillo reicher und glänzender vertreten war,
als der manierlich derbe Velasquez. Im Interesse einer gesunden Kunstanschauung
wäre ein umgekehrtes Verhältniß Wünschenswerther gewesen. Daß Murillo
ein großer Maler war, bezweifelt niemand. Einzelne Proben in der Aus¬
stellung: Die Wasserlrinkcrin, eine Studie zu seinem großen Bilde 1a sea,
der H.Thomas von Villanueva und die Anbetung der Hirten gehören zu dem
Höchsten und Besten, was menschliche Phantasie schaffen kann. Und dennoch
wird man bald die in letzten Jahren so hoch gesteigerte Vorliebe für Murillo
ZU beklagen haben, zumal als dieselbe sich weniger auf seine älteren energisch
»ut frisch aufgefaßten, goldfarbigen Bilder als auf seine letzten matten und
kalten Erzeugnisse bezieht. Seitdem für die Conception im Louvre ein so über¬
trieben hoher Preis gezahlt wurde, glaubt alle Welt pflichtschuldigst in diesen
blutarmen Madonnen einen Ausbund von Schönheit und Grazie bewundern
ZU müssen. Der Tadel gilt als ketzerisch und doch wird die Zeit kommen, wo
me>n^ in Murillos spätern Werken den Verfall des spanischen Naturalismus
ebenso deutlich schauen wird, als in den süßlichen Madonnen Carlo Dolces
den Untergang des italienischen Idealismus, natürlich immer Rechnung tragend
der ungleich tüchtigeren Künstlerkraft des spanischen Meisters.

Für alle bis jetzt angeführten Schulen konnte man auch anderwärts eine
ausreichende Anschauung gewinnen, vollständig neu und fremd waren aber
Namentlich dem continentalen Besucher die Leistungen der englischen Meister
«us dem vorigen Jahrhundert. Hogarth allein war auch diesseits des Kanals
wohl bekannt, und insbesondere durch Lichtenbergs geistreiche Erklärungen uns


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[0299] ten Edelsteine der Ausstellung, wenn auch als der Held desselben nur ein Schimmel auftrat. Er wird aus dem Stalle herausgeführt und steht im vollen Sonnenlichte. Eben die kleinen Dimensionen des Bildchens gestatteten dem Meister, Paul Potter, den Hauptnachdruck auf den Lichteffect zu legen und erlauben dem Zuschauer, ungehindert die virtuose Durchführung desselben zu bewundern, ohne durch ein prätentiöses Vortreten des Stoffes im Genusse ge¬ stört zu werden. Um die Uebersicht der Abtheilung der alten Meister zu schlie¬ ßen, bedarf es nur noch einer Erwähnung der spanischen und der weit zerstreu¬ ten ältern englischen Schule. Muster der ältern»französischen Schule waren in äußerst geringer Zahl vorhanden und auch N. Poussin nur durch zwei be¬ merkenswerthe Bilder, einen köstlichen BachnSzug voll Schalkheit und naiver Grazie und die bekannte Studie: Das Testament des Eudamidas vertreten. Seit dem peninLular-nar steht England in dem Rufe, zahlreiche und treffliche Werke der spanischen Schule zu besitzen. Der Ruf ist, wie die Manchester Ausstellung bewies, nicht ungegründet, wenn auch manches berühmte Bild, wie z. B. der Wasserträger von Sevilla aus der Sammlung des Herzogs von Wellington schmerzlich vermißt wurde. Dem größern Publicum war es natürlich nur an¬ genehm, daß der empfindsame Murillo reicher und glänzender vertreten war, als der manierlich derbe Velasquez. Im Interesse einer gesunden Kunstanschauung wäre ein umgekehrtes Verhältniß Wünschenswerther gewesen. Daß Murillo ein großer Maler war, bezweifelt niemand. Einzelne Proben in der Aus¬ stellung: Die Wasserlrinkcrin, eine Studie zu seinem großen Bilde 1a sea, der H.Thomas von Villanueva und die Anbetung der Hirten gehören zu dem Höchsten und Besten, was menschliche Phantasie schaffen kann. Und dennoch wird man bald die in letzten Jahren so hoch gesteigerte Vorliebe für Murillo ZU beklagen haben, zumal als dieselbe sich weniger auf seine älteren energisch »ut frisch aufgefaßten, goldfarbigen Bilder als auf seine letzten matten und kalten Erzeugnisse bezieht. Seitdem für die Conception im Louvre ein so über¬ trieben hoher Preis gezahlt wurde, glaubt alle Welt pflichtschuldigst in diesen blutarmen Madonnen einen Ausbund von Schönheit und Grazie bewundern ZU müssen. Der Tadel gilt als ketzerisch und doch wird die Zeit kommen, wo me>n^ in Murillos spätern Werken den Verfall des spanischen Naturalismus ebenso deutlich schauen wird, als in den süßlichen Madonnen Carlo Dolces den Untergang des italienischen Idealismus, natürlich immer Rechnung tragend der ungleich tüchtigeren Künstlerkraft des spanischen Meisters. Für alle bis jetzt angeführten Schulen konnte man auch anderwärts eine ausreichende Anschauung gewinnen, vollständig neu und fremd waren aber Namentlich dem continentalen Besucher die Leistungen der englischen Meister «us dem vorigen Jahrhundert. Hogarth allein war auch diesseits des Kanals wohl bekannt, und insbesondere durch Lichtenbergs geistreiche Erklärungen uns 37*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/299>, abgerufen am 23.07.2024.