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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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des siebzehnten Jahrhunderts eine überaus schwache Vertretung gefunden hät¬
ten. Der erstere Umstand bleibt namentlich zu beklagen, da England an her¬
vorragenden Werken der venetianischen Schule keineswegs arm ist. Wenn man
Tizians Riposo aus der ehemaligen Orleansgalerie, ein jugendliches Frauenbild
von demselben Meister und eine heilige Familie von Bonifazio ausnimmt, er¬
scheint alles Uebrige als Mittelgut, daS nur in einem Lande, wo man vielfach
noch das Opfer von Kunstcharlatanen zu werden liebt, mit so prunkvollen
Namen wie Tizian und Giorgione ausgeschmückt werden kann. Es überrascht,
daß die spätitalienischen Schulen, deren Werke sich doch vorzugsweise für Gale¬
rien eignen, im Ganzen in Manchester so mangelhaft vertreten sind. Selbst
Waagen, den man doch gewiß eher einer allzugroßen Nachsicht als einer
allzuscharfcn Kritik zeihen kann, ist in seinem raisonnirenden Kataloge der Aus¬
stellung nicht im Stande, mehr als ein Dutzend bessere Bilder aus dieser Pe¬
riode aufzuzählen. Man kann ohne Gewissensbisse diese Zahl auf die Hälfte
herabsetzen und ist selbst dann noch in Verlegenheit, was man aus dem Kunst¬
kehricht, als der Erhaltung werth, hervorholen soll. Die Erklärung dafür, daß
die italienischen Eklektiker und Naturalisten in Manchester in den Hintergrund
treten, ist wol nicht so sehr in dem nur der lesstschen Periode zugewendeten
Kunstsinn der britischen Kunstfreunde, als in der Schwierigkeit, in den Besitz
der bessern Schöpfungen aus dieser Periode zu kommen, zu erblicken. Den"
offenbar neigt sich die größte Vorliebe der Kunst des siebzehnten Jahrhunderts
zu; die Leistungen derselben werden am häufigsten erblickt, und genießen
auch auf dem Kunstmarkte das größte Ansehen. Die Manchesterausstellung
strafte diese Vorliebe keineswegs Lügen. DaS Beste, was sie dem Auge entgegen¬
führte, gehörte diesem Zeitalter und zwar der niederländischen Schule an. Nur
Rubens, wie schon früher erwähnt, zeigte sich stiefmütterlich behandelt und ver¬
lor hier manchen seiner alten Verehrer. Die Schuld lag theils in der mangel¬
haften Vertretung deö Meisters, theils aber auch in der oft wahrhaft unausstehlichen
Willkür seiner Auffassung. Es gab eine Zeit, wo die Sehnsucht nach frischer
Farbe uns alle Mängel des Künstlers vergessen ließ, wo wir einem.Maler
alle Uebertreibung und alle Irrthümer verziehen, vorausgesetzt, daß er uns
der traurigen Mattherzigkeit, die unter dem Namen des Klassicismus herrschte,
entriß. Das ist geschehen, bis zum Uebermaße wurden wir von modernen
Coloristen mit reichen Farben gesättigt. Damit hat auch Rubens manches von
seiner Zauberkraft verloren. ,Er wird nicht grade unterschätzt, aber auch nicht
jedes Bild, das blos durch glänzende Farbenpracht sich auszeichnet, als voll¬
endetes Meisterwerk gepriesen. Es traf sich aber grade auf der Manchester-
Ausstellung, daß die technisch am besten gerathenen Werke einer Gattung an¬
gehörten, für welche Rubens, wie seine Zeit überhaupt, die geringste Empfäng-
niß besaß. Seine Juno, welche des Argus Augen in einen Pfauenschweif


des siebzehnten Jahrhunderts eine überaus schwache Vertretung gefunden hät¬
ten. Der erstere Umstand bleibt namentlich zu beklagen, da England an her¬
vorragenden Werken der venetianischen Schule keineswegs arm ist. Wenn man
Tizians Riposo aus der ehemaligen Orleansgalerie, ein jugendliches Frauenbild
von demselben Meister und eine heilige Familie von Bonifazio ausnimmt, er¬
scheint alles Uebrige als Mittelgut, daS nur in einem Lande, wo man vielfach
noch das Opfer von Kunstcharlatanen zu werden liebt, mit so prunkvollen
Namen wie Tizian und Giorgione ausgeschmückt werden kann. Es überrascht,
daß die spätitalienischen Schulen, deren Werke sich doch vorzugsweise für Gale¬
rien eignen, im Ganzen in Manchester so mangelhaft vertreten sind. Selbst
Waagen, den man doch gewiß eher einer allzugroßen Nachsicht als einer
allzuscharfcn Kritik zeihen kann, ist in seinem raisonnirenden Kataloge der Aus¬
stellung nicht im Stande, mehr als ein Dutzend bessere Bilder aus dieser Pe¬
riode aufzuzählen. Man kann ohne Gewissensbisse diese Zahl auf die Hälfte
herabsetzen und ist selbst dann noch in Verlegenheit, was man aus dem Kunst¬
kehricht, als der Erhaltung werth, hervorholen soll. Die Erklärung dafür, daß
die italienischen Eklektiker und Naturalisten in Manchester in den Hintergrund
treten, ist wol nicht so sehr in dem nur der lesstschen Periode zugewendeten
Kunstsinn der britischen Kunstfreunde, als in der Schwierigkeit, in den Besitz
der bessern Schöpfungen aus dieser Periode zu kommen, zu erblicken. Den»
offenbar neigt sich die größte Vorliebe der Kunst des siebzehnten Jahrhunderts
zu; die Leistungen derselben werden am häufigsten erblickt, und genießen
auch auf dem Kunstmarkte das größte Ansehen. Die Manchesterausstellung
strafte diese Vorliebe keineswegs Lügen. DaS Beste, was sie dem Auge entgegen¬
führte, gehörte diesem Zeitalter und zwar der niederländischen Schule an. Nur
Rubens, wie schon früher erwähnt, zeigte sich stiefmütterlich behandelt und ver¬
lor hier manchen seiner alten Verehrer. Die Schuld lag theils in der mangel¬
haften Vertretung deö Meisters, theils aber auch in der oft wahrhaft unausstehlichen
Willkür seiner Auffassung. Es gab eine Zeit, wo die Sehnsucht nach frischer
Farbe uns alle Mängel des Künstlers vergessen ließ, wo wir einem.Maler
alle Uebertreibung und alle Irrthümer verziehen, vorausgesetzt, daß er uns
der traurigen Mattherzigkeit, die unter dem Namen des Klassicismus herrschte,
entriß. Das ist geschehen, bis zum Uebermaße wurden wir von modernen
Coloristen mit reichen Farben gesättigt. Damit hat auch Rubens manches von
seiner Zauberkraft verloren. ,Er wird nicht grade unterschätzt, aber auch nicht
jedes Bild, das blos durch glänzende Farbenpracht sich auszeichnet, als voll¬
endetes Meisterwerk gepriesen. Es traf sich aber grade auf der Manchester-
Ausstellung, daß die technisch am besten gerathenen Werke einer Gattung an¬
gehörten, für welche Rubens, wie seine Zeit überhaupt, die geringste Empfäng-
niß besaß. Seine Juno, welche des Argus Augen in einen Pfauenschweif


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[0296] des siebzehnten Jahrhunderts eine überaus schwache Vertretung gefunden hät¬ ten. Der erstere Umstand bleibt namentlich zu beklagen, da England an her¬ vorragenden Werken der venetianischen Schule keineswegs arm ist. Wenn man Tizians Riposo aus der ehemaligen Orleansgalerie, ein jugendliches Frauenbild von demselben Meister und eine heilige Familie von Bonifazio ausnimmt, er¬ scheint alles Uebrige als Mittelgut, daS nur in einem Lande, wo man vielfach noch das Opfer von Kunstcharlatanen zu werden liebt, mit so prunkvollen Namen wie Tizian und Giorgione ausgeschmückt werden kann. Es überrascht, daß die spätitalienischen Schulen, deren Werke sich doch vorzugsweise für Gale¬ rien eignen, im Ganzen in Manchester so mangelhaft vertreten sind. Selbst Waagen, den man doch gewiß eher einer allzugroßen Nachsicht als einer allzuscharfcn Kritik zeihen kann, ist in seinem raisonnirenden Kataloge der Aus¬ stellung nicht im Stande, mehr als ein Dutzend bessere Bilder aus dieser Pe¬ riode aufzuzählen. Man kann ohne Gewissensbisse diese Zahl auf die Hälfte herabsetzen und ist selbst dann noch in Verlegenheit, was man aus dem Kunst¬ kehricht, als der Erhaltung werth, hervorholen soll. Die Erklärung dafür, daß die italienischen Eklektiker und Naturalisten in Manchester in den Hintergrund treten, ist wol nicht so sehr in dem nur der lesstschen Periode zugewendeten Kunstsinn der britischen Kunstfreunde, als in der Schwierigkeit, in den Besitz der bessern Schöpfungen aus dieser Periode zu kommen, zu erblicken. Den» offenbar neigt sich die größte Vorliebe der Kunst des siebzehnten Jahrhunderts zu; die Leistungen derselben werden am häufigsten erblickt, und genießen auch auf dem Kunstmarkte das größte Ansehen. Die Manchesterausstellung strafte diese Vorliebe keineswegs Lügen. DaS Beste, was sie dem Auge entgegen¬ führte, gehörte diesem Zeitalter und zwar der niederländischen Schule an. Nur Rubens, wie schon früher erwähnt, zeigte sich stiefmütterlich behandelt und ver¬ lor hier manchen seiner alten Verehrer. Die Schuld lag theils in der mangel¬ haften Vertretung deö Meisters, theils aber auch in der oft wahrhaft unausstehlichen Willkür seiner Auffassung. Es gab eine Zeit, wo die Sehnsucht nach frischer Farbe uns alle Mängel des Künstlers vergessen ließ, wo wir einem.Maler alle Uebertreibung und alle Irrthümer verziehen, vorausgesetzt, daß er uns der traurigen Mattherzigkeit, die unter dem Namen des Klassicismus herrschte, entriß. Das ist geschehen, bis zum Uebermaße wurden wir von modernen Coloristen mit reichen Farben gesättigt. Damit hat auch Rubens manches von seiner Zauberkraft verloren. ,Er wird nicht grade unterschätzt, aber auch nicht jedes Bild, das blos durch glänzende Farbenpracht sich auszeichnet, als voll¬ endetes Meisterwerk gepriesen. Es traf sich aber grade auf der Manchester- Ausstellung, daß die technisch am besten gerathenen Werke einer Gattung an¬ gehörten, für welche Rubens, wie seine Zeit überhaupt, die geringste Empfäng- niß besaß. Seine Juno, welche des Argus Augen in einen Pfauenschweif

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/296>, abgerufen am 23.07.2024.