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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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überträgt, Tomyris, mit dem Kopfe des Cyrus sind machtvolle Bilder; wie
viel des Conventionellen und Erlogenen in der Composition muß man aber
in Kauf nehmen, ehe man die technische Bravour genießen kann.

Rembrandt und seine Freunde sind auch arge Subjcctivisten, Träumer, in
deren Augen die historischen Verhältnisse und Persönlichkeiten sich zu Nebel¬
bildern verflüchtigen, aus welchen die leichtbewegliche Phantasie alles gestalten
kann. Bei ihnen merkt man es jedoch auch der Farbe, der ganzen Technik
an, daß es mit der historischen Auffassung kein Ernst ist und das Bild durch¬
aus nicht mit der Prätension objectiver Wahrheit auftritt. Kein Wunder, daß
in den letzten Jahren aus diesem Grunde die Liebe für Rembrandt und die
Holländer überhaupt sich steigerte. Auch auf der Ausstellung äußerten die
Bilder aus dieser Schule die größte Anziehung. Rembrandt namentlich schlug
seine Mitbewerber um die höchste Gunst nicht allein auf dem Gebiete, wo seine
Meisterschaft allgemein anerkannt ist, auch als Landschaftsmaler offenbarte er
seine unbedingte Genialität. Wie oberflächlich gedacht und matt empfunden, von
der sorglosen Technik gar nicht zu reden, erscheint nicht neben Rembrandts Land¬
schaft die berühmte Regenbvgcnlandschast von Rubens. Und doch lag nach
gewöhnlichen Begriffen der Vortheil ganz auf der Seite des letztgenannten
Meisters. Eine brillante Lufterscheinung, eine farbenreiche Mannigfaltigkeit
Von landschaftlichen Formen, ein lebendiger Wechsel von Wald und Feld, von
Fluß und festem Boden, eine anziehende Belebung der Natur durch eine be¬
wegte Staffage -- das sind ja die wahren Elemente, um ein wirkungsvolles,
blendendes Werk zu schaffen. Und trotzdem sehen wir nur eine nüchterne De-
corationsarbeit vor uns. Rembrandts Motiv ist das armseligste, welches man
sich denken kann: Ein weites'einförmiges Land, durch welches ein trüber Fluß
träge dahinschleicht, wenig unterbrochen von Bodenhebungen, die, wo sie vor¬
kommen, einfache gerade Linien und beinahe rechte Winkel zeigen. Kurz alles
fehlt, was die landschaftliche Natur anziehend macht. Und doch hat es Rem¬
brandt durch die meisterhafte Anwendung des Helldunkels, durch die wohlberech-
nete Abtönung der Farbentöne und durch eine tief empfundene Harmonie des
Kolorits verstanden, ein Werk zu liefern, das noch heutigen Tages den Land¬
schaftsmalern vom Fach als Muster dienen kann. Und auch unter den alten
Fachmeistern halten uur.wenige den Vergleich aus. Die modernen englischen
Aesthetiker gestehen nur ihre gänzliche Unkenntniß der Thatsachen ein, wenn
sie den britischen Malern der Gegenwart das Verdienst zuschreiben, die land¬
schaftliche Natur zuerst in ihrer reinen Wahrheit und Mannigfaltigkeit auf¬
faßt zu haben. Das läßt sich aber nicht leugnen, daß die alten Meister in
vielen Fällen gar zu offen verrathen, auf welche Motive sie eingeschult sind,
^uyödael, Hobbema, Onyp, Claude Manieristen zu nennen, wie der fanatische
Anbeter Turners, Mr. Ruskin, ist eine arge Uebertreibung. Zugehen muß man


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überträgt, Tomyris, mit dem Kopfe des Cyrus sind machtvolle Bilder; wie
viel des Conventionellen und Erlogenen in der Composition muß man aber
in Kauf nehmen, ehe man die technische Bravour genießen kann.

Rembrandt und seine Freunde sind auch arge Subjcctivisten, Träumer, in
deren Augen die historischen Verhältnisse und Persönlichkeiten sich zu Nebel¬
bildern verflüchtigen, aus welchen die leichtbewegliche Phantasie alles gestalten
kann. Bei ihnen merkt man es jedoch auch der Farbe, der ganzen Technik
an, daß es mit der historischen Auffassung kein Ernst ist und das Bild durch¬
aus nicht mit der Prätension objectiver Wahrheit auftritt. Kein Wunder, daß
in den letzten Jahren aus diesem Grunde die Liebe für Rembrandt und die
Holländer überhaupt sich steigerte. Auch auf der Ausstellung äußerten die
Bilder aus dieser Schule die größte Anziehung. Rembrandt namentlich schlug
seine Mitbewerber um die höchste Gunst nicht allein auf dem Gebiete, wo seine
Meisterschaft allgemein anerkannt ist, auch als Landschaftsmaler offenbarte er
seine unbedingte Genialität. Wie oberflächlich gedacht und matt empfunden, von
der sorglosen Technik gar nicht zu reden, erscheint nicht neben Rembrandts Land¬
schaft die berühmte Regenbvgcnlandschast von Rubens. Und doch lag nach
gewöhnlichen Begriffen der Vortheil ganz auf der Seite des letztgenannten
Meisters. Eine brillante Lufterscheinung, eine farbenreiche Mannigfaltigkeit
Von landschaftlichen Formen, ein lebendiger Wechsel von Wald und Feld, von
Fluß und festem Boden, eine anziehende Belebung der Natur durch eine be¬
wegte Staffage — das sind ja die wahren Elemente, um ein wirkungsvolles,
blendendes Werk zu schaffen. Und trotzdem sehen wir nur eine nüchterne De-
corationsarbeit vor uns. Rembrandts Motiv ist das armseligste, welches man
sich denken kann: Ein weites'einförmiges Land, durch welches ein trüber Fluß
träge dahinschleicht, wenig unterbrochen von Bodenhebungen, die, wo sie vor¬
kommen, einfache gerade Linien und beinahe rechte Winkel zeigen. Kurz alles
fehlt, was die landschaftliche Natur anziehend macht. Und doch hat es Rem¬
brandt durch die meisterhafte Anwendung des Helldunkels, durch die wohlberech-
nete Abtönung der Farbentöne und durch eine tief empfundene Harmonie des
Kolorits verstanden, ein Werk zu liefern, das noch heutigen Tages den Land¬
schaftsmalern vom Fach als Muster dienen kann. Und auch unter den alten
Fachmeistern halten uur.wenige den Vergleich aus. Die modernen englischen
Aesthetiker gestehen nur ihre gänzliche Unkenntniß der Thatsachen ein, wenn
sie den britischen Malern der Gegenwart das Verdienst zuschreiben, die land¬
schaftliche Natur zuerst in ihrer reinen Wahrheit und Mannigfaltigkeit auf¬
faßt zu haben. Das läßt sich aber nicht leugnen, daß die alten Meister in
vielen Fällen gar zu offen verrathen, auf welche Motive sie eingeschult sind,
^uyödael, Hobbema, Onyp, Claude Manieristen zu nennen, wie der fanatische
Anbeter Turners, Mr. Ruskin, ist eine arge Uebertreibung. Zugehen muß man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/297>, abgerufen am 23.07.2024.