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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Abtheilungen den Vorzug. Selbst die Galerie der alten Meister, wenn sich
auch kein nationales Interesse an dieselbe knüpfte und sie in eine fremdartige
Stoffwelt führte, fesselte die allgemeine Aufmerksamkeit in höherem Grade.

Wer mit der ältern italienischen Kunstgeschichte auch nur einigermaßen
vertraut ist, weiß, daß einige wenige, zufällig zusammengeraffte Temperabildchen
durchaus nicht genügen, das Wesen des vorraphaelischen Zeitalters zu charak-
teristrcn. Die Kraft der alten Schulen lie^ge in der Frescomalerei und nur im
Angesicht der ausgedehnten Wandschildereien von Florenz u. s. w. ist man
im Stande, das Streben und die Richtung derselben zu verstehen. Hatte man
nicht schon von anderwärts eine Kenntniß 'der unterscheidenden Merkmale der
sienensischen Schule und jener Giottos mitgebracht, in Manchester konnte man
dieselbe nicht gewinnen, ebensowenig aus den hier vorhandenen wenigen Por¬
träts und Madonnenbildchen verstehen, weshalb Masaccios und seiner Schüler
Wirksamkeit von den Geschichtschreibern als epochemachend geschildert wird.
Der Kunstgelehrte fand auch hier mannigfache Anregungen, er hatte hier eine
seltene Gelegenheit, den Einfluß Mantcgnas auf die alten Venetianer zu
schauen, indem der glückliche Zufall es wollte, daß zwei Bilder gleichen In¬
haltes von Mantegna und Giovanni Bellini nebeneinander gestellt wurden,
er sach schon bei Filippo Lippi mythologische Motive in die Malerei eingeführt
U- f. w. Für die Laien jedoch begann der eigentliche Kunstgenuß, als sie sich
den, raphaelischen Zeitalter gegenüber fanden. Zwar was Raphael selbst an¬
belangt, so mußten sie sich damit begnügen, die Proben seiner Jugendentwick¬
lung zu betrachten. Was aus seiner spätern Periode herrührt, ist entweder in
einem argen Zustande oder unecht. Aber reichlicher Ersatz wird geboten durch
e>ne halbfertige heilige Familie mit Engeln, deren wunderbare Formenvollendung
u"r Michelangelo schaffen konnte, auf welchen Meister sie auch jetzt allgemein
Zurückgeführt wird, durch eine heilige Familie von Sebastian del Piombo, durch
das Duplicat der Magdalena von Correggio, das einzelne Kenner noch über das
dresdner Exemplar stellen, während andere darin nur das betrügerische Werk
ewes spätern Malers erkennen. Wer Recht hat, hier zu entscheiden, würde zu
^eit führen. Das größere Publicum sah natürlich von dieser Streitsrage ab
"ut ließ sich in dem Eindrucke, den Correggios Technik auf das Gemüth aus¬
übt, nicht stören. Den Preis freilich trugen weder Correggio, noch die anmu-
^)>g reizenden Jugendbilder Raphaels, sondern, wie es ja unsere derbe Em-
pfindungsweise nothwendig mit sich bringt, Carracis pathetische "drei Marien
am Grabe Christi" davon. Ueber dem warmen Farbenton, der eleganten Zeich¬
nung und dem fast übertrieben ergreifenden Ausdruck vergaß man das Absicht¬
liche in der Komposition, das blos Effectvolle in der Schilderung. Die Wagschale
^'r allgemeinen Gunst hätte sich vielleicht andern Bildern zugeneigt, wenn nicht
auffallenderweise sowol die venetianische Schule, wie die italienischen Meister


Abtheilungen den Vorzug. Selbst die Galerie der alten Meister, wenn sich
auch kein nationales Interesse an dieselbe knüpfte und sie in eine fremdartige
Stoffwelt führte, fesselte die allgemeine Aufmerksamkeit in höherem Grade.

Wer mit der ältern italienischen Kunstgeschichte auch nur einigermaßen
vertraut ist, weiß, daß einige wenige, zufällig zusammengeraffte Temperabildchen
durchaus nicht genügen, das Wesen des vorraphaelischen Zeitalters zu charak-
teristrcn. Die Kraft der alten Schulen lie^ge in der Frescomalerei und nur im
Angesicht der ausgedehnten Wandschildereien von Florenz u. s. w. ist man
im Stande, das Streben und die Richtung derselben zu verstehen. Hatte man
nicht schon von anderwärts eine Kenntniß 'der unterscheidenden Merkmale der
sienensischen Schule und jener Giottos mitgebracht, in Manchester konnte man
dieselbe nicht gewinnen, ebensowenig aus den hier vorhandenen wenigen Por¬
träts und Madonnenbildchen verstehen, weshalb Masaccios und seiner Schüler
Wirksamkeit von den Geschichtschreibern als epochemachend geschildert wird.
Der Kunstgelehrte fand auch hier mannigfache Anregungen, er hatte hier eine
seltene Gelegenheit, den Einfluß Mantcgnas auf die alten Venetianer zu
schauen, indem der glückliche Zufall es wollte, daß zwei Bilder gleichen In¬
haltes von Mantegna und Giovanni Bellini nebeneinander gestellt wurden,
er sach schon bei Filippo Lippi mythologische Motive in die Malerei eingeführt
U- f. w. Für die Laien jedoch begann der eigentliche Kunstgenuß, als sie sich
den, raphaelischen Zeitalter gegenüber fanden. Zwar was Raphael selbst an¬
belangt, so mußten sie sich damit begnügen, die Proben seiner Jugendentwick¬
lung zu betrachten. Was aus seiner spätern Periode herrührt, ist entweder in
einem argen Zustande oder unecht. Aber reichlicher Ersatz wird geboten durch
e>ne halbfertige heilige Familie mit Engeln, deren wunderbare Formenvollendung
u»r Michelangelo schaffen konnte, auf welchen Meister sie auch jetzt allgemein
Zurückgeführt wird, durch eine heilige Familie von Sebastian del Piombo, durch
das Duplicat der Magdalena von Correggio, das einzelne Kenner noch über das
dresdner Exemplar stellen, während andere darin nur das betrügerische Werk
ewes spätern Malers erkennen. Wer Recht hat, hier zu entscheiden, würde zu
^eit führen. Das größere Publicum sah natürlich von dieser Streitsrage ab
"ut ließ sich in dem Eindrucke, den Correggios Technik auf das Gemüth aus¬
übt, nicht stören. Den Preis freilich trugen weder Correggio, noch die anmu-
^)>g reizenden Jugendbilder Raphaels, sondern, wie es ja unsere derbe Em-
pfindungsweise nothwendig mit sich bringt, Carracis pathetische „drei Marien
am Grabe Christi" davon. Ueber dem warmen Farbenton, der eleganten Zeich¬
nung und dem fast übertrieben ergreifenden Ausdruck vergaß man das Absicht¬
liche in der Komposition, das blos Effectvolle in der Schilderung. Die Wagschale
^'r allgemeinen Gunst hätte sich vielleicht andern Bildern zugeneigt, wenn nicht
auffallenderweise sowol die venetianische Schule, wie die italienischen Meister


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[0295] Abtheilungen den Vorzug. Selbst die Galerie der alten Meister, wenn sich auch kein nationales Interesse an dieselbe knüpfte und sie in eine fremdartige Stoffwelt führte, fesselte die allgemeine Aufmerksamkeit in höherem Grade. Wer mit der ältern italienischen Kunstgeschichte auch nur einigermaßen vertraut ist, weiß, daß einige wenige, zufällig zusammengeraffte Temperabildchen durchaus nicht genügen, das Wesen des vorraphaelischen Zeitalters zu charak- teristrcn. Die Kraft der alten Schulen lie^ge in der Frescomalerei und nur im Angesicht der ausgedehnten Wandschildereien von Florenz u. s. w. ist man im Stande, das Streben und die Richtung derselben zu verstehen. Hatte man nicht schon von anderwärts eine Kenntniß 'der unterscheidenden Merkmale der sienensischen Schule und jener Giottos mitgebracht, in Manchester konnte man dieselbe nicht gewinnen, ebensowenig aus den hier vorhandenen wenigen Por¬ träts und Madonnenbildchen verstehen, weshalb Masaccios und seiner Schüler Wirksamkeit von den Geschichtschreibern als epochemachend geschildert wird. Der Kunstgelehrte fand auch hier mannigfache Anregungen, er hatte hier eine seltene Gelegenheit, den Einfluß Mantcgnas auf die alten Venetianer zu schauen, indem der glückliche Zufall es wollte, daß zwei Bilder gleichen In¬ haltes von Mantegna und Giovanni Bellini nebeneinander gestellt wurden, er sach schon bei Filippo Lippi mythologische Motive in die Malerei eingeführt U- f. w. Für die Laien jedoch begann der eigentliche Kunstgenuß, als sie sich den, raphaelischen Zeitalter gegenüber fanden. Zwar was Raphael selbst an¬ belangt, so mußten sie sich damit begnügen, die Proben seiner Jugendentwick¬ lung zu betrachten. Was aus seiner spätern Periode herrührt, ist entweder in einem argen Zustande oder unecht. Aber reichlicher Ersatz wird geboten durch e>ne halbfertige heilige Familie mit Engeln, deren wunderbare Formenvollendung u»r Michelangelo schaffen konnte, auf welchen Meister sie auch jetzt allgemein Zurückgeführt wird, durch eine heilige Familie von Sebastian del Piombo, durch das Duplicat der Magdalena von Correggio, das einzelne Kenner noch über das dresdner Exemplar stellen, während andere darin nur das betrügerische Werk ewes spätern Malers erkennen. Wer Recht hat, hier zu entscheiden, würde zu ^eit führen. Das größere Publicum sah natürlich von dieser Streitsrage ab "ut ließ sich in dem Eindrucke, den Correggios Technik auf das Gemüth aus¬ übt, nicht stören. Den Preis freilich trugen weder Correggio, noch die anmu- ^)>g reizenden Jugendbilder Raphaels, sondern, wie es ja unsere derbe Em- pfindungsweise nothwendig mit sich bringt, Carracis pathetische „drei Marien am Grabe Christi" davon. Ueber dem warmen Farbenton, der eleganten Zeich¬ nung und dem fast übertrieben ergreifenden Ausdruck vergaß man das Absicht¬ liche in der Komposition, das blos Effectvolle in der Schilderung. Die Wagschale ^'r allgemeinen Gunst hätte sich vielleicht andern Bildern zugeneigt, wenn nicht auffallenderweise sowol die venetianische Schule, wie die italienischen Meister

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/295>, abgerufen am 23.07.2024.