Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Stellung vollständiger und reicher gewesen, sie hätte diese Thatsachen noch kräftiger
bewiesen, aber keineswegs zu anderen Resultaten geführt. Es ist natürlich,
daß sywol die älteren nordischen wie die italienischen Malerschulen keine aus¬
reichende Vertretung finden. Alle Achtung vor den altdeutschen Kupferstichen
und Holzschnitten. Sie beweisen, daß poetischer Gedankenreichthum und ein
unbeschränkter erfinderischer Sinn bei unseren Vorfahren eine heimathliche
Stätte gefunden haben. Nur kurzsichtiger Patriotismus aber kann nament¬
lich von Fremden die bewundernde Anerkennung altdeutscher, formhäßlicher
Oelgemälde verlangen. Feinsinniger, im Ausdrucke maßvoll, in den Farben
ebenso glänzend aber harmonischer sind schon die altflanderischen Bilder ange¬
legt, aber auch für die Werkstattproductionen so sehr über die Schöpfungen
der durch ihre Persönlichkeit hervorragenden Meister überwiegend, des Treff¬
licher überdies soviel zerstört und verdorben, daß auch diese Schule selten
außerhalb Belgiens einen weiten Raum in Privatgalerien einnimmt. Doch
war sie in der Manchesterauöstellung nicht ohne alle Vertretung geblieben.
Ob eine alte Copie des berühmten genter Altarbildes hier an ihrer rechten
Stelle war und die beabsichtigte Wirkung hervorrief, läßt sich bezweifeln-
Man konnte aus derselben nur das Aeußerliche der Composition errathen,
grade dafür aber, wie für das Verständniß deS symbolischen überhaupt ging
den meisten Besuchern der Ausstellung der Sinn ab. Bedeutende Original¬
werke der Brüder van Eyck und ihrer Schüler waren nicht vorhanden. Doch
erfreute sich das Auge an dem tiefen Glänze hemlingschcr Gestalten und
wurde die Aufmerksamkeit durch ein seltenes Genrebild von Lucas van Leoben:
die Kartenspieler gefesselt. Der kunstgeschichtliche Hauptgewinn ist die Be¬
kanntschaft mit einem neuen flanderischen Meister, für dessen Namen vorläufig
die Anfangsbuchstaben, die man auf einem seiner Bilder bemerkt: ^. W. gelten
müssen. Nach dem kühleren Farbenton und dem leisen pathetischen Anfluge
im Ausdrucke zu schließen, fällt der Meister in den Anfang des sechzehnten
Jahrhunderts, nimmt aber unter den letzten Ausläufern der cyckschen Schule
unbedingt eine der hervorragendsten Stellen ein. Eine große Beliebtheit er¬
rangen hier wie überall Quintin Messys' beide Geizhalse, in dem bekannten
Windsoreremplare, ein neuer Beweis, wenn es noch eines solchen bedürfte,
daß die Laien sich zunächst von stofflichen Interessen bei der Kuustbetrachtung
leiten lassen. Die Identität des FarbentoneS in den beiden Köpfen, der
Mangel an Abtönung und Farbenperspective in diesem Bilde ist für das
Auge keineswegs angenehm, weil aber das Bild den Verstand beschäftigt, viel
zu rathen und zu meinen gibt, eine ganze Geschichte in sich birgt, bewährt
es eine viel größere Anziehungskraft, als andere, ungleich bedeutendere, niber
stofflich minder interessante Bilder.

Aus der Ruhe der altdeutschen Bilder strahlt uns sofort das treffliche,


Stellung vollständiger und reicher gewesen, sie hätte diese Thatsachen noch kräftiger
bewiesen, aber keineswegs zu anderen Resultaten geführt. Es ist natürlich,
daß sywol die älteren nordischen wie die italienischen Malerschulen keine aus¬
reichende Vertretung finden. Alle Achtung vor den altdeutschen Kupferstichen
und Holzschnitten. Sie beweisen, daß poetischer Gedankenreichthum und ein
unbeschränkter erfinderischer Sinn bei unseren Vorfahren eine heimathliche
Stätte gefunden haben. Nur kurzsichtiger Patriotismus aber kann nament¬
lich von Fremden die bewundernde Anerkennung altdeutscher, formhäßlicher
Oelgemälde verlangen. Feinsinniger, im Ausdrucke maßvoll, in den Farben
ebenso glänzend aber harmonischer sind schon die altflanderischen Bilder ange¬
legt, aber auch für die Werkstattproductionen so sehr über die Schöpfungen
der durch ihre Persönlichkeit hervorragenden Meister überwiegend, des Treff¬
licher überdies soviel zerstört und verdorben, daß auch diese Schule selten
außerhalb Belgiens einen weiten Raum in Privatgalerien einnimmt. Doch
war sie in der Manchesterauöstellung nicht ohne alle Vertretung geblieben.
Ob eine alte Copie des berühmten genter Altarbildes hier an ihrer rechten
Stelle war und die beabsichtigte Wirkung hervorrief, läßt sich bezweifeln-
Man konnte aus derselben nur das Aeußerliche der Composition errathen,
grade dafür aber, wie für das Verständniß deS symbolischen überhaupt ging
den meisten Besuchern der Ausstellung der Sinn ab. Bedeutende Original¬
werke der Brüder van Eyck und ihrer Schüler waren nicht vorhanden. Doch
erfreute sich das Auge an dem tiefen Glänze hemlingschcr Gestalten und
wurde die Aufmerksamkeit durch ein seltenes Genrebild von Lucas van Leoben:
die Kartenspieler gefesselt. Der kunstgeschichtliche Hauptgewinn ist die Be¬
kanntschaft mit einem neuen flanderischen Meister, für dessen Namen vorläufig
die Anfangsbuchstaben, die man auf einem seiner Bilder bemerkt: ^. W. gelten
müssen. Nach dem kühleren Farbenton und dem leisen pathetischen Anfluge
im Ausdrucke zu schließen, fällt der Meister in den Anfang des sechzehnten
Jahrhunderts, nimmt aber unter den letzten Ausläufern der cyckschen Schule
unbedingt eine der hervorragendsten Stellen ein. Eine große Beliebtheit er¬
rangen hier wie überall Quintin Messys' beide Geizhalse, in dem bekannten
Windsoreremplare, ein neuer Beweis, wenn es noch eines solchen bedürfte,
daß die Laien sich zunächst von stofflichen Interessen bei der Kuustbetrachtung
leiten lassen. Die Identität des FarbentoneS in den beiden Köpfen, der
Mangel an Abtönung und Farbenperspective in diesem Bilde ist für das
Auge keineswegs angenehm, weil aber das Bild den Verstand beschäftigt, viel
zu rathen und zu meinen gibt, eine ganze Geschichte in sich birgt, bewährt
es eine viel größere Anziehungskraft, als andere, ungleich bedeutendere, niber
stofflich minder interessante Bilder.

Aus der Ruhe der altdeutschen Bilder strahlt uns sofort das treffliche,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0292" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105027"/>
          <p xml:id="ID_837" prev="#ID_836"> Stellung vollständiger und reicher gewesen, sie hätte diese Thatsachen noch kräftiger<lb/>
bewiesen, aber keineswegs zu anderen Resultaten geführt. Es ist natürlich,<lb/>
daß sywol die älteren nordischen wie die italienischen Malerschulen keine aus¬<lb/>
reichende Vertretung finden. Alle Achtung vor den altdeutschen Kupferstichen<lb/>
und Holzschnitten. Sie beweisen, daß poetischer Gedankenreichthum und ein<lb/>
unbeschränkter erfinderischer Sinn bei unseren Vorfahren eine heimathliche<lb/>
Stätte gefunden haben. Nur kurzsichtiger Patriotismus aber kann nament¬<lb/>
lich von Fremden die bewundernde Anerkennung altdeutscher, formhäßlicher<lb/>
Oelgemälde verlangen. Feinsinniger, im Ausdrucke maßvoll, in den Farben<lb/>
ebenso glänzend aber harmonischer sind schon die altflanderischen Bilder ange¬<lb/>
legt, aber auch für die Werkstattproductionen so sehr über die Schöpfungen<lb/>
der durch ihre Persönlichkeit hervorragenden Meister überwiegend, des Treff¬<lb/>
licher überdies soviel zerstört und verdorben, daß auch diese Schule selten<lb/>
außerhalb Belgiens einen weiten Raum in Privatgalerien einnimmt. Doch<lb/>
war sie in der Manchesterauöstellung nicht ohne alle Vertretung geblieben.<lb/>
Ob eine alte Copie des berühmten genter Altarbildes hier an ihrer rechten<lb/>
Stelle war und die beabsichtigte Wirkung hervorrief, läßt sich bezweifeln-<lb/>
Man konnte aus derselben nur das Aeußerliche der Composition errathen,<lb/>
grade dafür aber, wie für das Verständniß deS symbolischen überhaupt ging<lb/>
den meisten Besuchern der Ausstellung der Sinn ab. Bedeutende Original¬<lb/>
werke der Brüder van Eyck und ihrer Schüler waren nicht vorhanden. Doch<lb/>
erfreute sich das Auge an dem tiefen Glänze hemlingschcr Gestalten und<lb/>
wurde die Aufmerksamkeit durch ein seltenes Genrebild von Lucas van Leoben:<lb/>
die Kartenspieler gefesselt. Der kunstgeschichtliche Hauptgewinn ist die Be¬<lb/>
kanntschaft mit einem neuen flanderischen Meister, für dessen Namen vorläufig<lb/>
die Anfangsbuchstaben, die man auf einem seiner Bilder bemerkt: ^. W. gelten<lb/>
müssen. Nach dem kühleren Farbenton und dem leisen pathetischen Anfluge<lb/>
im Ausdrucke zu schließen, fällt der Meister in den Anfang des sechzehnten<lb/>
Jahrhunderts, nimmt aber unter den letzten Ausläufern der cyckschen Schule<lb/>
unbedingt eine der hervorragendsten Stellen ein. Eine große Beliebtheit er¬<lb/>
rangen hier wie überall Quintin Messys' beide Geizhalse, in dem bekannten<lb/>
Windsoreremplare, ein neuer Beweis, wenn es noch eines solchen bedürfte,<lb/>
daß die Laien sich zunächst von stofflichen Interessen bei der Kuustbetrachtung<lb/>
leiten lassen. Die Identität des FarbentoneS in den beiden Köpfen, der<lb/>
Mangel an Abtönung und Farbenperspective in diesem Bilde ist für das<lb/>
Auge keineswegs angenehm, weil aber das Bild den Verstand beschäftigt, viel<lb/>
zu rathen und zu meinen gibt, eine ganze Geschichte in sich birgt, bewährt<lb/>
es eine viel größere Anziehungskraft, als andere, ungleich bedeutendere, niber<lb/>
stofflich minder interessante Bilder.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_838" next="#ID_839"> Aus der Ruhe der altdeutschen Bilder strahlt uns sofort das treffliche,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0292] Stellung vollständiger und reicher gewesen, sie hätte diese Thatsachen noch kräftiger bewiesen, aber keineswegs zu anderen Resultaten geführt. Es ist natürlich, daß sywol die älteren nordischen wie die italienischen Malerschulen keine aus¬ reichende Vertretung finden. Alle Achtung vor den altdeutschen Kupferstichen und Holzschnitten. Sie beweisen, daß poetischer Gedankenreichthum und ein unbeschränkter erfinderischer Sinn bei unseren Vorfahren eine heimathliche Stätte gefunden haben. Nur kurzsichtiger Patriotismus aber kann nament¬ lich von Fremden die bewundernde Anerkennung altdeutscher, formhäßlicher Oelgemälde verlangen. Feinsinniger, im Ausdrucke maßvoll, in den Farben ebenso glänzend aber harmonischer sind schon die altflanderischen Bilder ange¬ legt, aber auch für die Werkstattproductionen so sehr über die Schöpfungen der durch ihre Persönlichkeit hervorragenden Meister überwiegend, des Treff¬ licher überdies soviel zerstört und verdorben, daß auch diese Schule selten außerhalb Belgiens einen weiten Raum in Privatgalerien einnimmt. Doch war sie in der Manchesterauöstellung nicht ohne alle Vertretung geblieben. Ob eine alte Copie des berühmten genter Altarbildes hier an ihrer rechten Stelle war und die beabsichtigte Wirkung hervorrief, läßt sich bezweifeln- Man konnte aus derselben nur das Aeußerliche der Composition errathen, grade dafür aber, wie für das Verständniß deS symbolischen überhaupt ging den meisten Besuchern der Ausstellung der Sinn ab. Bedeutende Original¬ werke der Brüder van Eyck und ihrer Schüler waren nicht vorhanden. Doch erfreute sich das Auge an dem tiefen Glänze hemlingschcr Gestalten und wurde die Aufmerksamkeit durch ein seltenes Genrebild von Lucas van Leoben: die Kartenspieler gefesselt. Der kunstgeschichtliche Hauptgewinn ist die Be¬ kanntschaft mit einem neuen flanderischen Meister, für dessen Namen vorläufig die Anfangsbuchstaben, die man auf einem seiner Bilder bemerkt: ^. W. gelten müssen. Nach dem kühleren Farbenton und dem leisen pathetischen Anfluge im Ausdrucke zu schließen, fällt der Meister in den Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, nimmt aber unter den letzten Ausläufern der cyckschen Schule unbedingt eine der hervorragendsten Stellen ein. Eine große Beliebtheit er¬ rangen hier wie überall Quintin Messys' beide Geizhalse, in dem bekannten Windsoreremplare, ein neuer Beweis, wenn es noch eines solchen bedürfte, daß die Laien sich zunächst von stofflichen Interessen bei der Kuustbetrachtung leiten lassen. Die Identität des FarbentoneS in den beiden Köpfen, der Mangel an Abtönung und Farbenperspective in diesem Bilde ist für das Auge keineswegs angenehm, weil aber das Bild den Verstand beschäftigt, viel zu rathen und zu meinen gibt, eine ganze Geschichte in sich birgt, bewährt es eine viel größere Anziehungskraft, als andere, ungleich bedeutendere, niber stofflich minder interessante Bilder. Aus der Ruhe der altdeutschen Bilder strahlt uns sofort das treffliche,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/292
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/292>, abgerufen am 23.07.2024.