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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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mit seltenem Fleiße ausgeführte Bildn iß, das Dürer von seinem alten Vater
gefertigt, entgegen. Trotz der Feinheit der Details macht das Werk dennoch
mit seinem warmen Goldtone einen mächtigen Eindruck, es zeigt uns in
gleichem Maße den ernsten Künstler, den tiefen Beobachter und den liebevollen
Sohn. Auch die kleinsten Züge, die den Vater charakterisiren und die nur
langjährige stille Betrachtung dem Auge offenbaren konnte, fehlen nicht, aber
ordnen sich anspruchslos der künstlerischen Einheit unter, die den Kopf eben als
Ganzes auffaßt. Das Bild konnte dem Publicum nicht den rechten Begriff
von Dürers geistigem Reichthum beibringen, lehrte aber mindestens den ein¬
fachen Ernst des Meisters, diese heutzutage fast ganz verloren gegangene
Künstlereigenschaft, verehren. Es war vorauszusehen, daß die altveutschen
Künstler keine genügende Vertretung auf der Manchesterausstellung finden
würden. Man tröstete sich dafür mit der Hoffnung, den jüngeren Holbein in
seinem vollen Glänze zu erblicken. Es ist ja bekannt, daß er viele Jahre
seines Lebens in England zubrachte und hier einen ausgedehnten Wirkungs¬
kreis sich erwarb. Seine religiösen Bilver stammen zwar aus seiner frühern,
deutschen Zeit, aber von Pvrträtoarstellungen schuf er die meisten und vollendetsten
erst in England. Wenn man in dieser Hinsicht getäuscht wird, so liegt die
Schuld einerseits in der allerdings mangelhaften Vertretung des Meisters,
andererseits in dem Umstände, daß seine Werke in zwei Abtheilungen der
Ausstellung zerstreut vorkommen. Einzelne Porträts sind der Galerie der
alten Meister, andere der historischen Porträtgalerie einverleibt. Gern
möchte man sich diese Spaltung gefallen lassen, wenn der Zweck, welcher bei
der Anordnung der historischen 'Galerie den Unternehmern vorschwebte, besser
verwirklicht worden wäre. ES sollte dieselbe als eine Illustration der englischen
Geschichte gelten, man glaubte, indem man die Reihe der historischen Bildnisse
auf- und abwandelte, die Schicksale des Landes in ihnen verkörpert lesen zu
können. Wäre es gelungen, alle Schätze, welche die englischen Privathäuser
in .FamilienporträtS besitzen, in Manchester anzusammeln, vielleicht hätte man
dann in der Porträtgalerie wie in einem historischen Lesebuche lesen, aus dem
Physiognomischen Charakter das Wesen des Zeitalters errathen, dem Einflüsse
der Sitten auf die äußere Bildung der Individuen nachspüren können. Bei
der Unvollständigkeit der Porträtgalerie in Manchester, bei der (wahrscheinlich
unverschuldeten) schlechten Anordnung, welche Repräsentanten der verschiedenen
Zeitalter durcheinanderwirft, ist an eine Ausbeutung im Interesse der Ge¬
schichte nicht zu denken. Wol üben einzelne Gestalten eine große Anziehungs¬
kraft und gern vertieft sich der historische Sinn in ihre Betrachtung. Gar
anschaulich machen die Bildnisse ver jungfräulichen Königin ihren Stolz und
'hre Eitelkeit. Die seltsamen Costüme, in welchen sie uns hier entgegen¬
eile, führen noch deutlicher aus, was das Buch der königlichen Garderobe


mit seltenem Fleiße ausgeführte Bildn iß, das Dürer von seinem alten Vater
gefertigt, entgegen. Trotz der Feinheit der Details macht das Werk dennoch
mit seinem warmen Goldtone einen mächtigen Eindruck, es zeigt uns in
gleichem Maße den ernsten Künstler, den tiefen Beobachter und den liebevollen
Sohn. Auch die kleinsten Züge, die den Vater charakterisiren und die nur
langjährige stille Betrachtung dem Auge offenbaren konnte, fehlen nicht, aber
ordnen sich anspruchslos der künstlerischen Einheit unter, die den Kopf eben als
Ganzes auffaßt. Das Bild konnte dem Publicum nicht den rechten Begriff
von Dürers geistigem Reichthum beibringen, lehrte aber mindestens den ein¬
fachen Ernst des Meisters, diese heutzutage fast ganz verloren gegangene
Künstlereigenschaft, verehren. Es war vorauszusehen, daß die altveutschen
Künstler keine genügende Vertretung auf der Manchesterausstellung finden
würden. Man tröstete sich dafür mit der Hoffnung, den jüngeren Holbein in
seinem vollen Glänze zu erblicken. Es ist ja bekannt, daß er viele Jahre
seines Lebens in England zubrachte und hier einen ausgedehnten Wirkungs¬
kreis sich erwarb. Seine religiösen Bilver stammen zwar aus seiner frühern,
deutschen Zeit, aber von Pvrträtoarstellungen schuf er die meisten und vollendetsten
erst in England. Wenn man in dieser Hinsicht getäuscht wird, so liegt die
Schuld einerseits in der allerdings mangelhaften Vertretung des Meisters,
andererseits in dem Umstände, daß seine Werke in zwei Abtheilungen der
Ausstellung zerstreut vorkommen. Einzelne Porträts sind der Galerie der
alten Meister, andere der historischen Porträtgalerie einverleibt. Gern
möchte man sich diese Spaltung gefallen lassen, wenn der Zweck, welcher bei
der Anordnung der historischen 'Galerie den Unternehmern vorschwebte, besser
verwirklicht worden wäre. ES sollte dieselbe als eine Illustration der englischen
Geschichte gelten, man glaubte, indem man die Reihe der historischen Bildnisse
auf- und abwandelte, die Schicksale des Landes in ihnen verkörpert lesen zu
können. Wäre es gelungen, alle Schätze, welche die englischen Privathäuser
in .FamilienporträtS besitzen, in Manchester anzusammeln, vielleicht hätte man
dann in der Porträtgalerie wie in einem historischen Lesebuche lesen, aus dem
Physiognomischen Charakter das Wesen des Zeitalters errathen, dem Einflüsse
der Sitten auf die äußere Bildung der Individuen nachspüren können. Bei
der Unvollständigkeit der Porträtgalerie in Manchester, bei der (wahrscheinlich
unverschuldeten) schlechten Anordnung, welche Repräsentanten der verschiedenen
Zeitalter durcheinanderwirft, ist an eine Ausbeutung im Interesse der Ge¬
schichte nicht zu denken. Wol üben einzelne Gestalten eine große Anziehungs¬
kraft und gern vertieft sich der historische Sinn in ihre Betrachtung. Gar
anschaulich machen die Bildnisse ver jungfräulichen Königin ihren Stolz und
'hre Eitelkeit. Die seltsamen Costüme, in welchen sie uns hier entgegen¬
eile, führen noch deutlicher aus, was das Buch der königlichen Garderobe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/293>, abgerufen am 23.07.2024.