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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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gelassen und dafür andere Sätze eingeschoben hat, welche die fünf Fürsten ver¬
herrlichen, obenan den östlichen, als den heiligen Geist, den Tröster. Hung
sin Tsiuens, des "himmlischen Fürsten", geschieht dabei keine Erwähnung --
vielleicht, weil er sich nicht anbeten lassen wollte, vielleicht auch, weil er vor
der Bedeutung, welche namentlich der Fürst des Ostens erlangt hatte, zu sehr
in den Hintergrund getreten war.

Dieser Fürst des Ostens, Uang sin Tsing, ist der Hauptvertreter des im
vorigen Capitel angedeuteten prophetischen oder mystisch-fanatischen Elements
in der Entwicklung der Taipings. Er wird von Zeit zu Zeit von einem Zu¬
stande befallen, der, wenn er nicht Verstellung ist, große Ähnlichkeit mit dem
hat, was von unsern Somnambulen berichtet wird. Es spricht dann der in
seinen Leib herabgestiegene "himmlische Vater" aus ihm, ertheilt allerlei Be-'
fehle und offenbart neue Lehren. In ähnlicher Weise redet aus dem westlichen
Fürsten Siao Tschao Hoel bisweilen, aber weit seltener, der "himmlische äl¬
tere Bruder", während von dem Stifter der Sekte se,lbft derartige Dinge nicht
berichtet werden. Anfänglich mögen solche Verzückungen echt, d. h. unwill¬
kürlich, Hallucinationen, Erzeugnisse religiöser Erregtheit gewesen sein. Später
dürften sie dagegen in die Classe der Gaukelspiele gehört haben, wie sie die
Sektengeschichte gleichfalls häufig darbietet. Anfänglich dienten sie zu größe¬
rer Verherrlichung Hung sin Tsiuens, des Stifters der Taipings, indem in
einer Vision der himmlische Vater durch den Mund des in Schlaf gesunkenen
östlichen Fürsten erklärte, daß er Hung in die Welt gesandt, damit er der
Tim Wang, der himmlische Fürst werde, ein Ausspruch, den er einige
Monate später durch denselben Mund in Versen wiederholte. Später aber
muß der himmlische Vater in manchen Punkten seine Meinung über den Werth
Hungs geändert haben. Wenigstens kamen am 2S. December 1833 in Nan¬
king Dinge vor, die nach unsern Begriffen nichts weniger als eine Mehrung
des Ansehens Hungs zur Folge haben konnten, vielmehr sehr darnach aus¬
sahen, als sei dieser damals factisch nur noch der zweite oder dritte im Range
unter den Fürsten der TaipingS gewesen.

Wir geben diese Vorfälle ohne ausführlichen Commentar nach der Rela¬
tion MeadowS'.*) "Der östliche Fürst, kurze Zeit nachdem er den nördlichen
Fürsten und andere Würdenträger von einer Berathung über öffentliche An¬
gelegenheiten, die in seinem Palast gehalten worden, entlassen hatte, verfiel



*) Wir citiren nach I. Neumarks Bearbeitung des Meadowsschen Werkes, die wir allei
empfehlen, welche über den hier besprochenen Gegenstand sich näher zu unterrichten wünsche'-
Dieselbe ist keine bloße Ueberhebung, sondern eine ebenso verständige als geschmackvolle U"^
gestaltung des Originals, dessen Fehlschlusse "ut sonstige Mängel der Bearbeiter "ne n-)-
legen Urtheil vermeidet, und welche" durch diese Umformung und Kürzung für unser -l'N ^
cum erst genießbar wurde. Das letzte Capitel, welches die Revolution bis aus dle neues
Posten aus China verfolgt, gehört ganz dem deutschen Bearbeiter an.

gelassen und dafür andere Sätze eingeschoben hat, welche die fünf Fürsten ver¬
herrlichen, obenan den östlichen, als den heiligen Geist, den Tröster. Hung
sin Tsiuens, des „himmlischen Fürsten", geschieht dabei keine Erwähnung —
vielleicht, weil er sich nicht anbeten lassen wollte, vielleicht auch, weil er vor
der Bedeutung, welche namentlich der Fürst des Ostens erlangt hatte, zu sehr
in den Hintergrund getreten war.

Dieser Fürst des Ostens, Uang sin Tsing, ist der Hauptvertreter des im
vorigen Capitel angedeuteten prophetischen oder mystisch-fanatischen Elements
in der Entwicklung der Taipings. Er wird von Zeit zu Zeit von einem Zu¬
stande befallen, der, wenn er nicht Verstellung ist, große Ähnlichkeit mit dem
hat, was von unsern Somnambulen berichtet wird. Es spricht dann der in
seinen Leib herabgestiegene „himmlische Vater" aus ihm, ertheilt allerlei Be-'
fehle und offenbart neue Lehren. In ähnlicher Weise redet aus dem westlichen
Fürsten Siao Tschao Hoel bisweilen, aber weit seltener, der „himmlische äl¬
tere Bruder", während von dem Stifter der Sekte se,lbft derartige Dinge nicht
berichtet werden. Anfänglich mögen solche Verzückungen echt, d. h. unwill¬
kürlich, Hallucinationen, Erzeugnisse religiöser Erregtheit gewesen sein. Später
dürften sie dagegen in die Classe der Gaukelspiele gehört haben, wie sie die
Sektengeschichte gleichfalls häufig darbietet. Anfänglich dienten sie zu größe¬
rer Verherrlichung Hung sin Tsiuens, des Stifters der Taipings, indem in
einer Vision der himmlische Vater durch den Mund des in Schlaf gesunkenen
östlichen Fürsten erklärte, daß er Hung in die Welt gesandt, damit er der
Tim Wang, der himmlische Fürst werde, ein Ausspruch, den er einige
Monate später durch denselben Mund in Versen wiederholte. Später aber
muß der himmlische Vater in manchen Punkten seine Meinung über den Werth
Hungs geändert haben. Wenigstens kamen am 2S. December 1833 in Nan¬
king Dinge vor, die nach unsern Begriffen nichts weniger als eine Mehrung
des Ansehens Hungs zur Folge haben konnten, vielmehr sehr darnach aus¬
sahen, als sei dieser damals factisch nur noch der zweite oder dritte im Range
unter den Fürsten der TaipingS gewesen.

Wir geben diese Vorfälle ohne ausführlichen Commentar nach der Rela¬
tion MeadowS'.*) „Der östliche Fürst, kurze Zeit nachdem er den nördlichen
Fürsten und andere Würdenträger von einer Berathung über öffentliche An¬
gelegenheiten, die in seinem Palast gehalten worden, entlassen hatte, verfiel



*) Wir citiren nach I. Neumarks Bearbeitung des Meadowsschen Werkes, die wir allei
empfehlen, welche über den hier besprochenen Gegenstand sich näher zu unterrichten wünsche'-
Dieselbe ist keine bloße Ueberhebung, sondern eine ebenso verständige als geschmackvolle U»^
gestaltung des Originals, dessen Fehlschlusse »ut sonstige Mängel der Bearbeiter »ne n-)-
legen Urtheil vermeidet, und welche« durch diese Umformung und Kürzung für unser -l'N ^
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Posten aus China verfolgt, gehört ganz dem deutschen Bearbeiter an.
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[0274] gelassen und dafür andere Sätze eingeschoben hat, welche die fünf Fürsten ver¬ herrlichen, obenan den östlichen, als den heiligen Geist, den Tröster. Hung sin Tsiuens, des „himmlischen Fürsten", geschieht dabei keine Erwähnung — vielleicht, weil er sich nicht anbeten lassen wollte, vielleicht auch, weil er vor der Bedeutung, welche namentlich der Fürst des Ostens erlangt hatte, zu sehr in den Hintergrund getreten war. Dieser Fürst des Ostens, Uang sin Tsing, ist der Hauptvertreter des im vorigen Capitel angedeuteten prophetischen oder mystisch-fanatischen Elements in der Entwicklung der Taipings. Er wird von Zeit zu Zeit von einem Zu¬ stande befallen, der, wenn er nicht Verstellung ist, große Ähnlichkeit mit dem hat, was von unsern Somnambulen berichtet wird. Es spricht dann der in seinen Leib herabgestiegene „himmlische Vater" aus ihm, ertheilt allerlei Be-' fehle und offenbart neue Lehren. In ähnlicher Weise redet aus dem westlichen Fürsten Siao Tschao Hoel bisweilen, aber weit seltener, der „himmlische äl¬ tere Bruder", während von dem Stifter der Sekte se,lbft derartige Dinge nicht berichtet werden. Anfänglich mögen solche Verzückungen echt, d. h. unwill¬ kürlich, Hallucinationen, Erzeugnisse religiöser Erregtheit gewesen sein. Später dürften sie dagegen in die Classe der Gaukelspiele gehört haben, wie sie die Sektengeschichte gleichfalls häufig darbietet. Anfänglich dienten sie zu größe¬ rer Verherrlichung Hung sin Tsiuens, des Stifters der Taipings, indem in einer Vision der himmlische Vater durch den Mund des in Schlaf gesunkenen östlichen Fürsten erklärte, daß er Hung in die Welt gesandt, damit er der Tim Wang, der himmlische Fürst werde, ein Ausspruch, den er einige Monate später durch denselben Mund in Versen wiederholte. Später aber muß der himmlische Vater in manchen Punkten seine Meinung über den Werth Hungs geändert haben. Wenigstens kamen am 2S. December 1833 in Nan¬ king Dinge vor, die nach unsern Begriffen nichts weniger als eine Mehrung des Ansehens Hungs zur Folge haben konnten, vielmehr sehr darnach aus¬ sahen, als sei dieser damals factisch nur noch der zweite oder dritte im Range unter den Fürsten der TaipingS gewesen. Wir geben diese Vorfälle ohne ausführlichen Commentar nach der Rela¬ tion MeadowS'.*) „Der östliche Fürst, kurze Zeit nachdem er den nördlichen Fürsten und andere Würdenträger von einer Berathung über öffentliche An¬ gelegenheiten, die in seinem Palast gehalten worden, entlassen hatte, verfiel *) Wir citiren nach I. Neumarks Bearbeitung des Meadowsschen Werkes, die wir allei empfehlen, welche über den hier besprochenen Gegenstand sich näher zu unterrichten wünsche'- Dieselbe ist keine bloße Ueberhebung, sondern eine ebenso verständige als geschmackvolle U»^ gestaltung des Originals, dessen Fehlschlusse »ut sonstige Mängel der Bearbeiter »ne n-)- legen Urtheil vermeidet, und welche« durch diese Umformung und Kürzung für unser -l'N ^ cum erst genießbar wurde. Das letzte Capitel, welches die Revolution bis aus dle neues Posten aus China verfolgt, gehört ganz dem deutschen Bearbeiter an.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/274>, abgerufen am 23.07.2024.