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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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auch er schüttelte mit dem Kopfe und sagte, daS verstände er nicht. Als hierauf
die Anwesenden die Köpfe zusammensteckten und mit einander italienisch par-
>>reen, hörte ich die Worte heraus: "prokö8hors leäksoo".

Trotzdem, daß seit den letzten Jahren mehre Priesterseminare errichtet
worden sind, welchen man mit aller Mühe junge Leute zuzuführen gesucht hat,
kommt die katholische Kirche Oestreichs in immer größere Verlegenheit, wie sie
ihre Aemter besetzen solle. Katholische Geistliche bekannten mir ohne Rückhalt,
daß das theologische Studium außerordentlich abnehme. Ich
fragte, ob man nicht mehre von den so ungeheuer vielen geistlichen Functionen
auf eine Person concentriren könne; sie antworteten, daß dies unmöglich sei.
Bei der wachsenden Strenge der Bischöfe gegen die Geistlichen und den Wir¬
kungen des ConcvrdatS darf man sich nicht wundern, wenn eben nur noch der
Bauerjunge eines TirolerdorfeS in seinem Pfarrer das Ideal seines Lebens¬
zieles erblickt und die höhern Stände ihre Kinder einem anderen Lebensberufe
Zuführen. Ja wenn Einer gleich Bischof werden könnte! Wie streng die
Geistlichkeit gehalten wird, gehl unter andern, auch daraus hervor, daß ich nie
n'nen Geistlichen oder Mönch öffentlich rauchen gesehen habe, während der jährliche
Cigarrenverbrauch Wiens in wenigen Jahren von 28 auf 100 Millionen ge¬
legen ist. Nur einmal fand ich einen Mönch mit einer Cigarre, und zwar
in dem Winkel einer halbdunklen Schiffokajüte. Das Schnupfen treiben zwar
die Geistlichen um so stärker; aber der Schnupftabak ersetzt der genußsüchtigen
Welt die Wonne der Cigarre nicht. Was in Frankreich eine stehende Sitte
^r Geistlichen ist, nämlich daß sie, sofort nachdem sie im Winhöhause, im
Eisenbahnwagen u. s. w. ihre Plätze eingenommen haben, ein Gebetbuch aus
^'r Tasche nehmen und ununterbrochen darin lesen, oder zu lesen scheinen,
habe ich in Oestreich nicht beobachtet.

Auch die neuere Blüte des Mönchs me sens in Oestreich hat doch noch
vielfach den alten Wurm in sich. Ich bin oft ganze Tage lang in eingehen¬
de", Gespräch mit Mönchen gereist, eS hat mir keiner etwas zu Leide gethan;
'es fand auch in ihnen meist bescheidene, besonnen urtheilende Männer, welche
lich nie fanatische Aeußerungen gegen Ketzer erlaubten, obwol sie wußten, daß
^ ein solcher war; aber wenn auch nicht jeder einzelne Mönch, das Mönchs-
^eher hat auf mich einen abstoßenden Eindruck gemacht. Was soll doch, fragte
ich mich stets, diese von der Welt künstlich abgeschlossene Pflanze? Ist sie für
die Dauer gegen den Einfluß der modernen Welt zu halten? Zunächst einmal
die Bettelmönche, die Dominicaner, die Franziscaner, die Capuciner u. s. w.
U'it den geschornen Köpfen, mit den nackten Füßen, an welchen Schweiß und
Siaub zu Schmuz sich mischen, mit den dicken wollenen Kutten mitten im heißesten
Sommer, aus deren Tasche am "linken Aermel sie oft die Tabaksdose hervor¬
gehen, mit den fetten Bäuchen u. f. s. Unter Hunderten fand ich mindestens


33"°

auch er schüttelte mit dem Kopfe und sagte, daS verstände er nicht. Als hierauf
die Anwesenden die Köpfe zusammensteckten und mit einander italienisch par-
>>reen, hörte ich die Worte heraus: „prokö8hors leäksoo".

Trotzdem, daß seit den letzten Jahren mehre Priesterseminare errichtet
worden sind, welchen man mit aller Mühe junge Leute zuzuführen gesucht hat,
kommt die katholische Kirche Oestreichs in immer größere Verlegenheit, wie sie
ihre Aemter besetzen solle. Katholische Geistliche bekannten mir ohne Rückhalt,
daß das theologische Studium außerordentlich abnehme. Ich
fragte, ob man nicht mehre von den so ungeheuer vielen geistlichen Functionen
auf eine Person concentriren könne; sie antworteten, daß dies unmöglich sei.
Bei der wachsenden Strenge der Bischöfe gegen die Geistlichen und den Wir¬
kungen des ConcvrdatS darf man sich nicht wundern, wenn eben nur noch der
Bauerjunge eines TirolerdorfeS in seinem Pfarrer das Ideal seines Lebens¬
zieles erblickt und die höhern Stände ihre Kinder einem anderen Lebensberufe
Zuführen. Ja wenn Einer gleich Bischof werden könnte! Wie streng die
Geistlichkeit gehalten wird, gehl unter andern, auch daraus hervor, daß ich nie
n'nen Geistlichen oder Mönch öffentlich rauchen gesehen habe, während der jährliche
Cigarrenverbrauch Wiens in wenigen Jahren von 28 auf 100 Millionen ge¬
legen ist. Nur einmal fand ich einen Mönch mit einer Cigarre, und zwar
in dem Winkel einer halbdunklen Schiffokajüte. Das Schnupfen treiben zwar
die Geistlichen um so stärker; aber der Schnupftabak ersetzt der genußsüchtigen
Welt die Wonne der Cigarre nicht. Was in Frankreich eine stehende Sitte
^r Geistlichen ist, nämlich daß sie, sofort nachdem sie im Winhöhause, im
Eisenbahnwagen u. s. w. ihre Plätze eingenommen haben, ein Gebetbuch aus
^'r Tasche nehmen und ununterbrochen darin lesen, oder zu lesen scheinen,
habe ich in Oestreich nicht beobachtet.

Auch die neuere Blüte des Mönchs me sens in Oestreich hat doch noch
vielfach den alten Wurm in sich. Ich bin oft ganze Tage lang in eingehen¬
de», Gespräch mit Mönchen gereist, eS hat mir keiner etwas zu Leide gethan;
'es fand auch in ihnen meist bescheidene, besonnen urtheilende Männer, welche
lich nie fanatische Aeußerungen gegen Ketzer erlaubten, obwol sie wußten, daß
^ ein solcher war; aber wenn auch nicht jeder einzelne Mönch, das Mönchs-
^eher hat auf mich einen abstoßenden Eindruck gemacht. Was soll doch, fragte
ich mich stets, diese von der Welt künstlich abgeschlossene Pflanze? Ist sie für
die Dauer gegen den Einfluß der modernen Welt zu halten? Zunächst einmal
die Bettelmönche, die Dominicaner, die Franziscaner, die Capuciner u. s. w.
U'it den geschornen Köpfen, mit den nackten Füßen, an welchen Schweiß und
Siaub zu Schmuz sich mischen, mit den dicken wollenen Kutten mitten im heißesten
Sommer, aus deren Tasche am "linken Aermel sie oft die Tabaksdose hervor¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/267>, abgerufen am 23.07.2024.