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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Grade auf. So machten namentlich in Mailand und im Veltlin viele Priester
eine überaus traurige Figur.

Hierzu kommt nun ein andrer Umstand, der um so wichtiger und folgen¬
reicher sein muß, je allgemeiner er ist. Der jetzige katholische Klerus in Oest¬
reich, aber auch in Frankreich und anderwärts, rekrutirt sich schon seit vie¬
len Jahren, sehr merklich besonders seit 1848, fast nur noch aus den niederen
Ständen, aus dem Stande der armen Handwerker, Bauern und Tagelöhner.
Daher die auffallend vielen bäuerischen Gesichter, daher die oft sehr ungebil¬
dete Sprache bei diesen Leuten. Auch sieht man sie, wie in Frankreich und
Belgien, meist in Gesellschaft von Leuten niederer Volksclassen. Sie reisen
auf den Eisenbahnen uno Dampfschiffen nur in den letzten Plätzen. Im Ver¬
kehr mit mir fand ich an ihnen stets bescheidene, ruhig überlegende und mit
Vorsicht sprechende Leute, denen eine gewisse Scheu eigen ist, weshalb sie sich
nirgend vordrängen, die aber auch vor den Norddeutschen, namentlich wenn sie
vermuthen, einen Gelehrten vor sich zu sehen, einen heiligen Respect haben. Ich
gehöre keiner gelehrten Facultät an, aber wenn ich auf ein gelehrtes oder wissen¬
schaftliches Thema einging, wurde mir dies öfter durch eine Rangerhöhung zum
"Professor" belohnt. "Die Preußen sind ein gebildetes Volk," bekam ich wieder¬
holt zu hören. Die Studien der östreichischen Theologen sind freilich nicht der
Art, daß sie gelehrte Leute schaffen oder den Geist zu wissenschaftlicher Freiheit
erheben. Auf der Eisenbahn zwischen Olmütz und Wien fuhr ich mit zwei Theo¬
logie Studirenden aus ersterer Stadt. Während der eine ein mehr rescrvirteö
Wesen beobachtete, erpectorirte sich der andere in sehr freier Weise über seine
Studien. Er klagte über die drückende Beaufsichtigung, von der sie nicht eine
halbe Stunde loskämen; selbst ihr Mittagsbrod könnten sie nicht con amore ver¬
zehren, indem sie dabei dem Vorleser zuhören und dann von dem Gehörten Rechen¬
schaft geben müßten. Beide fühlten sich übrigens in ihrer momentanen Freiheit
so wohl wie die Fische im frischen Wasser. Als ich am 21. August zu Bor¬
mio (Lombardei) in dem Albergo della Posta, dem besten Gasthause, einkehrte,
und das Bedürfniß fühlte, mich mit den anwesenden Gästen zu unterhalte",
ohne der italienischen Sprache, welche ausschließlich von den Wirthsleuten
gesprochen wurde, hinlänglich mächtig zu sein, wandte ich mich an meine Tisch¬
genossen zunächst in französischer Sprache, und als ich von allen zur Envl-
derung ein Kopfschütteln und ein "no eorwseci" erhielt, versuchte ich eS "i
deutscher Zunge. Aber die verstand man ebensowenig. Da erblickte ich end¬
lich einen ältlichen, recht gut gekleideten katholischen Geistlichen, und redete
ihn lateinisch an: "Kovereriäo vcunine, sine äudlo '1'u> buen vlewo owneuw
<zsse, miZLum liUine convöisaberis" u. s. w., ohne zu zweifeln, daß ich durch
ihn aus der Verdammniß des Schweigens für einen ganzen Abend erlöst wer-
den würde. Allein der Mann schien nie lateinisch reden gelernt zu haben,


Grade auf. So machten namentlich in Mailand und im Veltlin viele Priester
eine überaus traurige Figur.

Hierzu kommt nun ein andrer Umstand, der um so wichtiger und folgen¬
reicher sein muß, je allgemeiner er ist. Der jetzige katholische Klerus in Oest¬
reich, aber auch in Frankreich und anderwärts, rekrutirt sich schon seit vie¬
len Jahren, sehr merklich besonders seit 1848, fast nur noch aus den niederen
Ständen, aus dem Stande der armen Handwerker, Bauern und Tagelöhner.
Daher die auffallend vielen bäuerischen Gesichter, daher die oft sehr ungebil¬
dete Sprache bei diesen Leuten. Auch sieht man sie, wie in Frankreich und
Belgien, meist in Gesellschaft von Leuten niederer Volksclassen. Sie reisen
auf den Eisenbahnen uno Dampfschiffen nur in den letzten Plätzen. Im Ver¬
kehr mit mir fand ich an ihnen stets bescheidene, ruhig überlegende und mit
Vorsicht sprechende Leute, denen eine gewisse Scheu eigen ist, weshalb sie sich
nirgend vordrängen, die aber auch vor den Norddeutschen, namentlich wenn sie
vermuthen, einen Gelehrten vor sich zu sehen, einen heiligen Respect haben. Ich
gehöre keiner gelehrten Facultät an, aber wenn ich auf ein gelehrtes oder wissen¬
schaftliches Thema einging, wurde mir dies öfter durch eine Rangerhöhung zum
„Professor" belohnt. „Die Preußen sind ein gebildetes Volk," bekam ich wieder¬
holt zu hören. Die Studien der östreichischen Theologen sind freilich nicht der
Art, daß sie gelehrte Leute schaffen oder den Geist zu wissenschaftlicher Freiheit
erheben. Auf der Eisenbahn zwischen Olmütz und Wien fuhr ich mit zwei Theo¬
logie Studirenden aus ersterer Stadt. Während der eine ein mehr rescrvirteö
Wesen beobachtete, erpectorirte sich der andere in sehr freier Weise über seine
Studien. Er klagte über die drückende Beaufsichtigung, von der sie nicht eine
halbe Stunde loskämen; selbst ihr Mittagsbrod könnten sie nicht con amore ver¬
zehren, indem sie dabei dem Vorleser zuhören und dann von dem Gehörten Rechen¬
schaft geben müßten. Beide fühlten sich übrigens in ihrer momentanen Freiheit
so wohl wie die Fische im frischen Wasser. Als ich am 21. August zu Bor¬
mio (Lombardei) in dem Albergo della Posta, dem besten Gasthause, einkehrte,
und das Bedürfniß fühlte, mich mit den anwesenden Gästen zu unterhalte»,
ohne der italienischen Sprache, welche ausschließlich von den Wirthsleuten
gesprochen wurde, hinlänglich mächtig zu sein, wandte ich mich an meine Tisch¬
genossen zunächst in französischer Sprache, und als ich von allen zur Envl-
derung ein Kopfschütteln und ein „no eorwseci" erhielt, versuchte ich eS »i
deutscher Zunge. Aber die verstand man ebensowenig. Da erblickte ich end¬
lich einen ältlichen, recht gut gekleideten katholischen Geistlichen, und redete
ihn lateinisch an: „Kovereriäo vcunine, sine äudlo '1'u> buen vlewo owneuw
<zsse, miZLum liUine convöisaberis" u. s. w., ohne zu zweifeln, daß ich durch
ihn aus der Verdammniß des Schweigens für einen ganzen Abend erlöst wer-
den würde. Allein der Mann schien nie lateinisch reden gelernt zu haben,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/266>, abgerufen am 23.07.2024.