Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

durchgeführten Geschmack an verwilderte Naturwüchsigkeit. Er ist von bestem
Anstand und gewähltester Toilette, was seine Angebetete, Donna Florida,
nicht verhindert, ihn für ihre 24 Jahre, ihr edles Profil und ihren großen,
stattlichen Wuchs viel zu mager und alt zu finden. Sie neigt dem feinen Conte
Roberto d. h. dem Eign. Vitaliani zu, der, nur wenig älter als sie, den¬
noch besonnen genug empfindet, um seine Freundschaft zu ihrem Verlobten,
D. Flavio, nicht durch ein Abtrünnigmachen der Braut des letzteren Preis
geben zu wollen. Arme Giuli Bianchi! Zweimal geht die Zunge mit ihrem
Herzen durch und beide Male steht der Conte Roberto wie die Garde, die
da stirbt, aber sich nicht ergibt. Selbst als die Verzweiflung über seine Kälte
sie krank macht und er ihr sagen soll, was ihr fehle, fühlt er ihr umsonst den
Puls -- alle ihre Geständnisse bringen ihn nicht zu ihren Füßen, er versteht
sie nicht. So tobt ihre Leidenschaft an den kühlen Felsen seiner Nüchternheit
-- denn er selbst besteht keinerlei Kampf; so bricht sich an der nämlichen
feuerfestem Mauer die Eifersucht deö heimkehrenden Freundes, der ihn erschießen
will, weil er unfähig ist an diesen Mangel jedweden Brennstoffs zu glauben,
und sich hintergangen wähnt; so söhnt er endlich den Freund und dessen Ver¬
lobte aus und läßt sich, da der Vorhang fällt, als echter LavaUers all 8pirUo,
der weder Augen noch Herz, sondern einzig Spirito hat, beklatschen. So
sagen wir, nicht Goldoni. Er zeichnete dies Mal nicht nach der Natur und
brachte, statt einem Tugendideal, einen bloßen Schattenriß zu Stande, der
nicht lebt, noch liebt, den Italienern aber eben wegen seiner Unvergleichbar¬
keit imponirt.

Dem viel zu langen Stücke GoldoniS folgte eine Farfa aus dem Fran¬
zösische" "In Hemdsärmeln", worin Signora Elektra Patti als Angelina den
blauen Frack deS Eign. Ernesto Medi versetzt, in dessen Besitz eine Zimmer-
Verwechselung sie gebracht hat. Der vormalige Eigenthümer deS Fracks,
Während ihrer Abwesenheit heimkommend, findet statt des blauen Schwalben¬
schwanzes ein Damenkleid, dasjenige der Angelina, und da er den vermißten
Nock wegen eines Rendezvous dringend nöthig braucht, versetzt er das Kleid,
um dafür einen Frack einzutauschen. Infolge dessen: Verwickelungen,
Lösungen und schließlicher Beschluß Beider, dem Gotte Hymen zu opfern.
Diese Schlußwendung wird etwas anders ausgedrückt und zwar in solcher
Natürlichkeit daß wir sie hier nicht wiedergeben können. Sie schien übrigens
kein Ohr zu beleidigen, so wie niemand etwas Anstößiges dabei fand, daß
Signora Elektra Patti -- keine abgehärtete Schauspielerin von Profession,
sondern eine freie Kunstgcnossin des Fürsten Chigi -- zu zweien Malen ihr
Kattunkleid auszog und in weißem Unterrocke dastand. Die Erfindung war
freilich französisch, aber die Wahl deS Stückes doch im Geschmack römischer
Salonbildung. Sie deutet vielleicht darauf hin, baß die in den untern


32*

durchgeführten Geschmack an verwilderte Naturwüchsigkeit. Er ist von bestem
Anstand und gewähltester Toilette, was seine Angebetete, Donna Florida,
nicht verhindert, ihn für ihre 24 Jahre, ihr edles Profil und ihren großen,
stattlichen Wuchs viel zu mager und alt zu finden. Sie neigt dem feinen Conte
Roberto d. h. dem Eign. Vitaliani zu, der, nur wenig älter als sie, den¬
noch besonnen genug empfindet, um seine Freundschaft zu ihrem Verlobten,
D. Flavio, nicht durch ein Abtrünnigmachen der Braut des letzteren Preis
geben zu wollen. Arme Giuli Bianchi! Zweimal geht die Zunge mit ihrem
Herzen durch und beide Male steht der Conte Roberto wie die Garde, die
da stirbt, aber sich nicht ergibt. Selbst als die Verzweiflung über seine Kälte
sie krank macht und er ihr sagen soll, was ihr fehle, fühlt er ihr umsonst den
Puls — alle ihre Geständnisse bringen ihn nicht zu ihren Füßen, er versteht
sie nicht. So tobt ihre Leidenschaft an den kühlen Felsen seiner Nüchternheit
— denn er selbst besteht keinerlei Kampf; so bricht sich an der nämlichen
feuerfestem Mauer die Eifersucht deö heimkehrenden Freundes, der ihn erschießen
will, weil er unfähig ist an diesen Mangel jedweden Brennstoffs zu glauben,
und sich hintergangen wähnt; so söhnt er endlich den Freund und dessen Ver¬
lobte aus und läßt sich, da der Vorhang fällt, als echter LavaUers all 8pirUo,
der weder Augen noch Herz, sondern einzig Spirito hat, beklatschen. So
sagen wir, nicht Goldoni. Er zeichnete dies Mal nicht nach der Natur und
brachte, statt einem Tugendideal, einen bloßen Schattenriß zu Stande, der
nicht lebt, noch liebt, den Italienern aber eben wegen seiner Unvergleichbar¬
keit imponirt.

Dem viel zu langen Stücke GoldoniS folgte eine Farfa aus dem Fran¬
zösische» „In Hemdsärmeln", worin Signora Elektra Patti als Angelina den
blauen Frack deS Eign. Ernesto Medi versetzt, in dessen Besitz eine Zimmer-
Verwechselung sie gebracht hat. Der vormalige Eigenthümer deS Fracks,
Während ihrer Abwesenheit heimkommend, findet statt des blauen Schwalben¬
schwanzes ein Damenkleid, dasjenige der Angelina, und da er den vermißten
Nock wegen eines Rendezvous dringend nöthig braucht, versetzt er das Kleid,
um dafür einen Frack einzutauschen. Infolge dessen: Verwickelungen,
Lösungen und schließlicher Beschluß Beider, dem Gotte Hymen zu opfern.
Diese Schlußwendung wird etwas anders ausgedrückt und zwar in solcher
Natürlichkeit daß wir sie hier nicht wiedergeben können. Sie schien übrigens
kein Ohr zu beleidigen, so wie niemand etwas Anstößiges dabei fand, daß
Signora Elektra Patti — keine abgehärtete Schauspielerin von Profession,
sondern eine freie Kunstgcnossin des Fürsten Chigi — zu zweien Malen ihr
Kattunkleid auszog und in weißem Unterrocke dastand. Die Erfindung war
freilich französisch, aber die Wahl deS Stückes doch im Geschmack römischer
Salonbildung. Sie deutet vielleicht darauf hin, baß die in den untern


32*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0259" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104994"/>
          <p xml:id="ID_752" prev="#ID_751"> durchgeführten Geschmack an verwilderte Naturwüchsigkeit. Er ist von bestem<lb/>
Anstand und gewähltester Toilette, was seine Angebetete, Donna Florida,<lb/>
nicht verhindert, ihn für ihre 24 Jahre, ihr edles Profil und ihren großen,<lb/>
stattlichen Wuchs viel zu mager und alt zu finden. Sie neigt dem feinen Conte<lb/>
Roberto d. h. dem Eign. Vitaliani zu, der, nur wenig älter als sie, den¬<lb/>
noch besonnen genug empfindet, um seine Freundschaft zu ihrem Verlobten,<lb/>
D. Flavio, nicht durch ein Abtrünnigmachen der Braut des letzteren Preis<lb/>
geben zu wollen. Arme Giuli Bianchi! Zweimal geht die Zunge mit ihrem<lb/>
Herzen durch und beide Male steht der Conte Roberto wie die Garde, die<lb/>
da stirbt, aber sich nicht ergibt. Selbst als die Verzweiflung über seine Kälte<lb/>
sie krank macht und er ihr sagen soll, was ihr fehle, fühlt er ihr umsonst den<lb/>
Puls &#x2014; alle ihre Geständnisse bringen ihn nicht zu ihren Füßen, er versteht<lb/>
sie nicht. So tobt ihre Leidenschaft an den kühlen Felsen seiner Nüchternheit<lb/>
&#x2014; denn er selbst besteht keinerlei Kampf; so bricht sich an der nämlichen<lb/>
feuerfestem Mauer die Eifersucht deö heimkehrenden Freundes, der ihn erschießen<lb/>
will, weil er unfähig ist an diesen Mangel jedweden Brennstoffs zu glauben,<lb/>
und sich hintergangen wähnt; so söhnt er endlich den Freund und dessen Ver¬<lb/>
lobte aus und läßt sich, da der Vorhang fällt, als echter LavaUers all 8pirUo,<lb/>
der weder Augen noch Herz, sondern einzig Spirito hat, beklatschen. So<lb/>
sagen wir, nicht Goldoni. Er zeichnete dies Mal nicht nach der Natur und<lb/>
brachte, statt einem Tugendideal, einen bloßen Schattenriß zu Stande, der<lb/>
nicht lebt, noch liebt, den Italienern aber eben wegen seiner Unvergleichbar¬<lb/>
keit imponirt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_753" next="#ID_754"> Dem viel zu langen Stücke GoldoniS folgte eine Farfa aus dem Fran¬<lb/>
zösische» &#x201E;In Hemdsärmeln", worin Signora Elektra Patti als Angelina den<lb/>
blauen Frack deS Eign. Ernesto Medi versetzt, in dessen Besitz eine Zimmer-<lb/>
Verwechselung sie gebracht hat. Der vormalige Eigenthümer deS Fracks,<lb/>
Während ihrer Abwesenheit heimkommend, findet statt des blauen Schwalben¬<lb/>
schwanzes ein Damenkleid, dasjenige der Angelina, und da er den vermißten<lb/>
Nock wegen eines Rendezvous dringend nöthig braucht, versetzt er das Kleid,<lb/>
um dafür einen Frack einzutauschen. Infolge dessen: Verwickelungen,<lb/>
Lösungen und schließlicher Beschluß Beider, dem Gotte Hymen zu opfern.<lb/>
Diese Schlußwendung wird etwas anders ausgedrückt und zwar in solcher<lb/>
Natürlichkeit daß wir sie hier nicht wiedergeben können. Sie schien übrigens<lb/>
kein Ohr zu beleidigen, so wie niemand etwas Anstößiges dabei fand, daß<lb/>
Signora Elektra Patti &#x2014; keine abgehärtete Schauspielerin von Profession,<lb/>
sondern eine freie Kunstgcnossin des Fürsten Chigi &#x2014; zu zweien Malen ihr<lb/>
Kattunkleid auszog und in weißem Unterrocke dastand. Die Erfindung war<lb/>
freilich französisch, aber die Wahl deS Stückes doch im Geschmack römischer<lb/>
Salonbildung. Sie deutet vielleicht darauf hin, baß die in den untern</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 32*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0259] durchgeführten Geschmack an verwilderte Naturwüchsigkeit. Er ist von bestem Anstand und gewähltester Toilette, was seine Angebetete, Donna Florida, nicht verhindert, ihn für ihre 24 Jahre, ihr edles Profil und ihren großen, stattlichen Wuchs viel zu mager und alt zu finden. Sie neigt dem feinen Conte Roberto d. h. dem Eign. Vitaliani zu, der, nur wenig älter als sie, den¬ noch besonnen genug empfindet, um seine Freundschaft zu ihrem Verlobten, D. Flavio, nicht durch ein Abtrünnigmachen der Braut des letzteren Preis geben zu wollen. Arme Giuli Bianchi! Zweimal geht die Zunge mit ihrem Herzen durch und beide Male steht der Conte Roberto wie die Garde, die da stirbt, aber sich nicht ergibt. Selbst als die Verzweiflung über seine Kälte sie krank macht und er ihr sagen soll, was ihr fehle, fühlt er ihr umsonst den Puls — alle ihre Geständnisse bringen ihn nicht zu ihren Füßen, er versteht sie nicht. So tobt ihre Leidenschaft an den kühlen Felsen seiner Nüchternheit — denn er selbst besteht keinerlei Kampf; so bricht sich an der nämlichen feuerfestem Mauer die Eifersucht deö heimkehrenden Freundes, der ihn erschießen will, weil er unfähig ist an diesen Mangel jedweden Brennstoffs zu glauben, und sich hintergangen wähnt; so söhnt er endlich den Freund und dessen Ver¬ lobte aus und läßt sich, da der Vorhang fällt, als echter LavaUers all 8pirUo, der weder Augen noch Herz, sondern einzig Spirito hat, beklatschen. So sagen wir, nicht Goldoni. Er zeichnete dies Mal nicht nach der Natur und brachte, statt einem Tugendideal, einen bloßen Schattenriß zu Stande, der nicht lebt, noch liebt, den Italienern aber eben wegen seiner Unvergleichbar¬ keit imponirt. Dem viel zu langen Stücke GoldoniS folgte eine Farfa aus dem Fran¬ zösische» „In Hemdsärmeln", worin Signora Elektra Patti als Angelina den blauen Frack deS Eign. Ernesto Medi versetzt, in dessen Besitz eine Zimmer- Verwechselung sie gebracht hat. Der vormalige Eigenthümer deS Fracks, Während ihrer Abwesenheit heimkommend, findet statt des blauen Schwalben¬ schwanzes ein Damenkleid, dasjenige der Angelina, und da er den vermißten Nock wegen eines Rendezvous dringend nöthig braucht, versetzt er das Kleid, um dafür einen Frack einzutauschen. Infolge dessen: Verwickelungen, Lösungen und schließlicher Beschluß Beider, dem Gotte Hymen zu opfern. Diese Schlußwendung wird etwas anders ausgedrückt und zwar in solcher Natürlichkeit daß wir sie hier nicht wiedergeben können. Sie schien übrigens kein Ohr zu beleidigen, so wie niemand etwas Anstößiges dabei fand, daß Signora Elektra Patti — keine abgehärtete Schauspielerin von Profession, sondern eine freie Kunstgcnossin des Fürsten Chigi — zu zweien Malen ihr Kattunkleid auszog und in weißem Unterrocke dastand. Die Erfindung war freilich französisch, aber die Wahl deS Stückes doch im Geschmack römischer Salonbildung. Sie deutet vielleicht darauf hin, baß die in den untern 32*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/259
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/259>, abgerufen am 23.07.2024.