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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Mittelclassen herrschende, harmlos gemeinte Ungcnirtheit in solchen Dingen
auch den höheren Ständen natürlich ist. Ein italienischer Lustspieldichter hätte
daS Nämliche, aber weit naiver vorgebracht. Aus dieser pariser Schale
kredenzt, zieht es den Mund zusammen.

Das Theater selbst war freundlich, obschon für die Zuschauermenge etwas
zu klein. Zu den auf 2 Range vertheilten 32 Logen gesellten sich noch
8 ProSceniumSlogen und das Parterre füllten etwa 12 Reihen Stühle.
Während der Zwischenacte sangen Damen und Herren mehrstimmig Opernsätze
von Rossini und Donizetti; auch eine junge Pianistin that ihr Möglichstes
zur Erbauung des Publicums. Viele Damen aus letzterem sah man in
Phantastecostümen, in Trachten aus der Puderzeit, in nationaler Volks¬
kleidung. Rom, in seinen elegantesten Adelötöchtern vertreten, nahm mit
italienischer Zwangslosigkeil die Bewunderung entgegen, welche die Fremden
nicht minder ihrer Schönheit als der hier von Neuem bekundeten dramatischen
Nationalbegabung darbrachten. Man hatte in der Darstellung auch nicht den
kleinsten Schimmer dilettantischer Unsicherheit bemerken können.

Wir dürfen mit dieser Liebhaberbühue die Aufzählung der italienischen
Theater füglich schließen. Was sie von unsern Bühnen wesentlich unter¬
scheidet, deuteten wir schon an. Es ist das Nomadenleben der einzelnen
Gesellschaften, die langen Pausen im Jahre, die unglaubliche Menge der
Theater, die an einigen Orten kaum begreifliche Wohlfeilheit, die späte Stunde
der Darstellungen, die reiche Auswahl an einigen, die endlose Wiederholung
an andern Bühnen, die große Menge von Talenten, die Seltenheit vollendeter
Meister, die Freude an Cor krähten, an Possen neben Trauerspielen, an Pirouet¬
ten und Entrechats als selbstständige Ballctfarce mitten in die upsria 8<;ris
eingeschoben, die Selbststcindigkeit endlich der italienischen modernen Oper, die
Herrschaft des fremden Elements auf dem Gebiete der übrigen dramatischen
Leistungen.

An den wenigsten Orten befaßt sich der Staat oder die Stadt mit Be¬
streitung der Theaterdeficite. Die Direktoren der Gesellschaften pachten für
die Saison die ihnen dienlichst scheinenden Theater, welche wiederum Privat¬
besitz sind und wovon z. B. in Rom die größere Anzahl dem Banquier
Torlonia gehört. Als ein Hauptspeculant in Thcaternnternehmungen galt
früher und gilt vielleicht noch der römische Fischhändler Giacovacci.

Als Goldoni in der Mitte des vorigen Jahrhunderts in Rom als Jüng¬
ling die Breter betrat, durfte noch kein Weiberfuß dein Podium nahen.
Der junge Venetianer spielte deshalb in weiblichen Rollen. Noch Goethe sah
Jünglinge als Soubretten und fand sich wunderbarerweise pures diese Un¬
natur angenehm berührt. Seitdem ist auch dem weiblichen Talente in Italien
allenthalben Bahn gebrochen worden, und man kann im Allgemeinen nicht be-


Mittelclassen herrschende, harmlos gemeinte Ungcnirtheit in solchen Dingen
auch den höheren Ständen natürlich ist. Ein italienischer Lustspieldichter hätte
daS Nämliche, aber weit naiver vorgebracht. Aus dieser pariser Schale
kredenzt, zieht es den Mund zusammen.

Das Theater selbst war freundlich, obschon für die Zuschauermenge etwas
zu klein. Zu den auf 2 Range vertheilten 32 Logen gesellten sich noch
8 ProSceniumSlogen und das Parterre füllten etwa 12 Reihen Stühle.
Während der Zwischenacte sangen Damen und Herren mehrstimmig Opernsätze
von Rossini und Donizetti; auch eine junge Pianistin that ihr Möglichstes
zur Erbauung des Publicums. Viele Damen aus letzterem sah man in
Phantastecostümen, in Trachten aus der Puderzeit, in nationaler Volks¬
kleidung. Rom, in seinen elegantesten Adelötöchtern vertreten, nahm mit
italienischer Zwangslosigkeil die Bewunderung entgegen, welche die Fremden
nicht minder ihrer Schönheit als der hier von Neuem bekundeten dramatischen
Nationalbegabung darbrachten. Man hatte in der Darstellung auch nicht den
kleinsten Schimmer dilettantischer Unsicherheit bemerken können.

Wir dürfen mit dieser Liebhaberbühue die Aufzählung der italienischen
Theater füglich schließen. Was sie von unsern Bühnen wesentlich unter¬
scheidet, deuteten wir schon an. Es ist das Nomadenleben der einzelnen
Gesellschaften, die langen Pausen im Jahre, die unglaubliche Menge der
Theater, die an einigen Orten kaum begreifliche Wohlfeilheit, die späte Stunde
der Darstellungen, die reiche Auswahl an einigen, die endlose Wiederholung
an andern Bühnen, die große Menge von Talenten, die Seltenheit vollendeter
Meister, die Freude an Cor krähten, an Possen neben Trauerspielen, an Pirouet¬
ten und Entrechats als selbstständige Ballctfarce mitten in die upsria 8<;ris
eingeschoben, die Selbststcindigkeit endlich der italienischen modernen Oper, die
Herrschaft des fremden Elements auf dem Gebiete der übrigen dramatischen
Leistungen.

An den wenigsten Orten befaßt sich der Staat oder die Stadt mit Be¬
streitung der Theaterdeficite. Die Direktoren der Gesellschaften pachten für
die Saison die ihnen dienlichst scheinenden Theater, welche wiederum Privat¬
besitz sind und wovon z. B. in Rom die größere Anzahl dem Banquier
Torlonia gehört. Als ein Hauptspeculant in Thcaternnternehmungen galt
früher und gilt vielleicht noch der römische Fischhändler Giacovacci.

Als Goldoni in der Mitte des vorigen Jahrhunderts in Rom als Jüng¬
ling die Breter betrat, durfte noch kein Weiberfuß dein Podium nahen.
Der junge Venetianer spielte deshalb in weiblichen Rollen. Noch Goethe sah
Jünglinge als Soubretten und fand sich wunderbarerweise pures diese Un¬
natur angenehm berührt. Seitdem ist auch dem weiblichen Talente in Italien
allenthalben Bahn gebrochen worden, und man kann im Allgemeinen nicht be-


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[0260] Mittelclassen herrschende, harmlos gemeinte Ungcnirtheit in solchen Dingen auch den höheren Ständen natürlich ist. Ein italienischer Lustspieldichter hätte daS Nämliche, aber weit naiver vorgebracht. Aus dieser pariser Schale kredenzt, zieht es den Mund zusammen. Das Theater selbst war freundlich, obschon für die Zuschauermenge etwas zu klein. Zu den auf 2 Range vertheilten 32 Logen gesellten sich noch 8 ProSceniumSlogen und das Parterre füllten etwa 12 Reihen Stühle. Während der Zwischenacte sangen Damen und Herren mehrstimmig Opernsätze von Rossini und Donizetti; auch eine junge Pianistin that ihr Möglichstes zur Erbauung des Publicums. Viele Damen aus letzterem sah man in Phantastecostümen, in Trachten aus der Puderzeit, in nationaler Volks¬ kleidung. Rom, in seinen elegantesten Adelötöchtern vertreten, nahm mit italienischer Zwangslosigkeil die Bewunderung entgegen, welche die Fremden nicht minder ihrer Schönheit als der hier von Neuem bekundeten dramatischen Nationalbegabung darbrachten. Man hatte in der Darstellung auch nicht den kleinsten Schimmer dilettantischer Unsicherheit bemerken können. Wir dürfen mit dieser Liebhaberbühue die Aufzählung der italienischen Theater füglich schließen. Was sie von unsern Bühnen wesentlich unter¬ scheidet, deuteten wir schon an. Es ist das Nomadenleben der einzelnen Gesellschaften, die langen Pausen im Jahre, die unglaubliche Menge der Theater, die an einigen Orten kaum begreifliche Wohlfeilheit, die späte Stunde der Darstellungen, die reiche Auswahl an einigen, die endlose Wiederholung an andern Bühnen, die große Menge von Talenten, die Seltenheit vollendeter Meister, die Freude an Cor krähten, an Possen neben Trauerspielen, an Pirouet¬ ten und Entrechats als selbstständige Ballctfarce mitten in die upsria 8<;ris eingeschoben, die Selbststcindigkeit endlich der italienischen modernen Oper, die Herrschaft des fremden Elements auf dem Gebiete der übrigen dramatischen Leistungen. An den wenigsten Orten befaßt sich der Staat oder die Stadt mit Be¬ streitung der Theaterdeficite. Die Direktoren der Gesellschaften pachten für die Saison die ihnen dienlichst scheinenden Theater, welche wiederum Privat¬ besitz sind und wovon z. B. in Rom die größere Anzahl dem Banquier Torlonia gehört. Als ein Hauptspeculant in Thcaternnternehmungen galt früher und gilt vielleicht noch der römische Fischhändler Giacovacci. Als Goldoni in der Mitte des vorigen Jahrhunderts in Rom als Jüng¬ ling die Breter betrat, durfte noch kein Weiberfuß dein Podium nahen. Der junge Venetianer spielte deshalb in weiblichen Rollen. Noch Goethe sah Jünglinge als Soubretten und fand sich wunderbarerweise pures diese Un¬ natur angenehm berührt. Seitdem ist auch dem weiblichen Talente in Italien allenthalben Bahn gebrochen worden, und man kann im Allgemeinen nicht be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/260>, abgerufen am 23.07.2024.