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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Es befremdet, neben diesem Zusammenwerfen von ernster Kunst und faber
Possenreißerei, die gesammelte Stimmung, mit welcher z. B. in dem Tag¬
theater Malibran in Venedig Schillers Maria Stuart vorgeführt und ent¬
gegengenommen wurde. In diesem großen, 3 Range zu 37 Logen und 2
Galerien enthaltenden Theater, das sein Licht durch Fenster empfängt und
nur die letzten Acte bei Beleuchtung zu geben pflegt, wechseln gute und
schlechte Stücke auf die bunteste Weise durcheinander, doch gibt man all¬
abendlich nur ein Stück und läßt jedem daher daS Seine. Das Publicum
gehört wegen der unmodernen Lage deS Theaters und der unpassenden Zeit
der Darstellungen den untern Ständen an. Die Preise entsprechen diesem
StandeSverhäliniß. Sie sind ungläubig billig: im Parterre 6 Kreuzer, im
Parquet und Orchester 10 Kreuzer! Man sieht daher manchen durchlöcherten
Anzug und das Fischer- und Schiffcrviertel ist stark vertreten. Daß dies Pu¬
blicum einem Stücke wie Maria Stuart mit Andacht von Anfang bis zu Ende
folgt, ist eine gewiß anziehende Erscheinung und ein Beweis für die Treff¬
lichkeit der Schillerschen Arbeit, wie für die Empfänglichkeit der Zuschauer.
"Goldoni und seine 16 neuen Komödien" gingen an einem andern Abend
über die Breter. Auch "der ewige Jude", die Dumassche "Kameliendame",
die "Verbannten in Sibirien" kamen zur Aufführung; einmal gab man sogar
um in sieben Acte zerfallendes Stück, das zwei Abende ausfüllte. Die Gesell¬
schaft hieß Mozzi und spielte ungewöhnlich gut.

Natürlich herrscht auch in diesem Theater die schon erwähnte Zwang-
losigkeit, ohne indessen so aufzufallen, wie in den Theatern der "bessern" Ge¬
sellschaft. Im Theater Cocomero in Florenz, einem Haus für seine Lustspiele,
ieigt sich der Kapellmeister in grauem Hausrock und gestickten Käppchen. Im
prächtigen Carlo Felice in Genua und nicht minder im Theater Apollo in
Rom sieht man die Hälfte der Kapellmitglieder mit Mützen. Ihre Instru¬
mente schleppt man ihnen über die Bühne zu. Die Pauke im Apollo steht
u" Parquet. Der Kapellmeister des römischen Theaters Capranica sitzt bald
rechts, bald links, bald sogar auf dem Geländer, das sich zwischen Parquet
und Orchester hinzieht, und die dadurch skandalisirte Miß hinter ihm bringt
'du mit allem Nasenrümpfen nicht von seinem Lieblingssitze fort. Es kommt
"Ach wol vor, daß irgend ein guter Freund sich des rechtmäßigen Director-
stuhls in der Zwischenzeit bedient, sei es als Pult zu eiuer schriftlichen Nö-
sel es um seinen Hut ans der Hand zu setzen. Niemand findet die Stö¬
rung ungeeignet. Dem Director kommt der Vorwand erwünscht, um seine
schwarzen Augen etwas in den Logen auf die Weide zu führen, und beim
Grüßen die schönsten Zähne der Welt unter dem Schnurrbärte zur Schau zu
Gingen. Der Souffleur endlich hat viel zu sehr das Gefühl seiner Unent-
behrlichkeit, als daß er durch Anfechtbarkeit zu glänzen versucht wäre. Er


Es befremdet, neben diesem Zusammenwerfen von ernster Kunst und faber
Possenreißerei, die gesammelte Stimmung, mit welcher z. B. in dem Tag¬
theater Malibran in Venedig Schillers Maria Stuart vorgeführt und ent¬
gegengenommen wurde. In diesem großen, 3 Range zu 37 Logen und 2
Galerien enthaltenden Theater, das sein Licht durch Fenster empfängt und
nur die letzten Acte bei Beleuchtung zu geben pflegt, wechseln gute und
schlechte Stücke auf die bunteste Weise durcheinander, doch gibt man all¬
abendlich nur ein Stück und läßt jedem daher daS Seine. Das Publicum
gehört wegen der unmodernen Lage deS Theaters und der unpassenden Zeit
der Darstellungen den untern Ständen an. Die Preise entsprechen diesem
StandeSverhäliniß. Sie sind ungläubig billig: im Parterre 6 Kreuzer, im
Parquet und Orchester 10 Kreuzer! Man sieht daher manchen durchlöcherten
Anzug und das Fischer- und Schiffcrviertel ist stark vertreten. Daß dies Pu¬
blicum einem Stücke wie Maria Stuart mit Andacht von Anfang bis zu Ende
folgt, ist eine gewiß anziehende Erscheinung und ein Beweis für die Treff¬
lichkeit der Schillerschen Arbeit, wie für die Empfänglichkeit der Zuschauer.
„Goldoni und seine 16 neuen Komödien" gingen an einem andern Abend
über die Breter. Auch „der ewige Jude", die Dumassche „Kameliendame",
die „Verbannten in Sibirien" kamen zur Aufführung; einmal gab man sogar
um in sieben Acte zerfallendes Stück, das zwei Abende ausfüllte. Die Gesell¬
schaft hieß Mozzi und spielte ungewöhnlich gut.

Natürlich herrscht auch in diesem Theater die schon erwähnte Zwang-
losigkeit, ohne indessen so aufzufallen, wie in den Theatern der „bessern" Ge¬
sellschaft. Im Theater Cocomero in Florenz, einem Haus für seine Lustspiele,
ieigt sich der Kapellmeister in grauem Hausrock und gestickten Käppchen. Im
prächtigen Carlo Felice in Genua und nicht minder im Theater Apollo in
Rom sieht man die Hälfte der Kapellmitglieder mit Mützen. Ihre Instru¬
mente schleppt man ihnen über die Bühne zu. Die Pauke im Apollo steht
u» Parquet. Der Kapellmeister des römischen Theaters Capranica sitzt bald
rechts, bald links, bald sogar auf dem Geländer, das sich zwischen Parquet
und Orchester hinzieht, und die dadurch skandalisirte Miß hinter ihm bringt
'du mit allem Nasenrümpfen nicht von seinem Lieblingssitze fort. Es kommt
"Ach wol vor, daß irgend ein guter Freund sich des rechtmäßigen Director-
stuhls in der Zwischenzeit bedient, sei es als Pult zu eiuer schriftlichen Nö-
sel es um seinen Hut ans der Hand zu setzen. Niemand findet die Stö¬
rung ungeeignet. Dem Director kommt der Vorwand erwünscht, um seine
schwarzen Augen etwas in den Logen auf die Weide zu führen, und beim
Grüßen die schönsten Zähne der Welt unter dem Schnurrbärte zur Schau zu
Gingen. Der Souffleur endlich hat viel zu sehr das Gefühl seiner Unent-
behrlichkeit, als daß er durch Anfechtbarkeit zu glänzen versucht wäre. Er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/255>, abgerufen am 23.07.2024.