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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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klimmt der Lichtspendcr über Baß und Fagott auf die Lampe der Bühne und
steckt von dort aus die Bühnenlampen an. Daß er dabei seinem Beiuklcide
den Ueberfluß an Oel mittheilt, der an seinen Fingern sitzen bleibt, mag dem
Director Verdruß bereiten, -- uns kümmert es schon nicht mehr, denn soeben
klappt der Souffleur seine Muschel auseinander und verräth dabei -- wir
sind im Februar -- daß er in Hemdsärmeln souffliren wird. Er hat eine
braune Mütze auf und macht sich, während das Stück beginnt, durch heftige
Armbewegungen bemerkbar, die den Zweck haben, die Stichwortsäumigen aus
den Coulissen hervorzulocken. Was niemanden stört, darf uns indessen auch
nicht ungeduldig machen. Wir hätten im Verlaufe deS Stücks bei dem Wahn¬
sinn des Königs Saul den Eign. Pezzano etwas weniger pathetisch gewünscht,
doch stimmen wir gern in die den übrigen Scenen gespendeten Bravi ein.
Auch die melodramatische Harfen- und Psalmenscene gelangt zu vollkommener
Wirkung, so wie das Zusammenspiel von Anfang bis zu Ende nichts zu
wünschen übrig läßt. Dennoch bleibt das Stück selbst langweilig. Und nun
-- sonderbar genug! dies langweilige Stück weiß von Anfang bis zu Ende
ein römischer Kanonier auswendig, der eben vor unserer Balustrade steht, nah
genug um uns die Wahl zu lassen, ob wir ihn oder den Souffleur oder gar
die Fumagalli hören wollen. Die Theilnahme deö übrigen Publicums ist
nicht geringer. Wir sind freilich uicht im Theater Apollo, wo man gähnt
oder plaudert, während der Trovatore zum zwölften Male mit seiner Mutter
Wiedererkennungsgefühle auswechselt. Wir sind in einem Theater, das Ab¬
wechselung bietet und für billiges Gelb Neues und Gutes bringt, eine Art
Volkstheater, daS nämliche übrigens, für welches Rossini einst während einer
freiwilligen Haft von -18 Tagen 'die Cenerentola schrieb. Das Puviicum
nimmt daher Theil, ermuntert durch Beifall, folgt mit Aufmerksamkeit. Aber
absonderlich äußert sich seine Theilnahme. Als die Soldaten den hohen
Priester bringen, verführt ein winziger Garderobemangel die Zuschauer mitten
im Trauerspiel zu lautem Lachen. Das Nämliche begegnet ihnen, wo das
Pathos einen zu hohen Ton anschlägt, wo der Verläumder mit Schande fort¬
geschickt wird, wo es irgend einem Bösewicht schlecht geht. Laut beklatscht
wird Saul, als er den David endlich anerkennt, nicht des Spiels, sondern
der Handlung wegen. Ausgepfissen wird plötzlich verdische Zwischenmusik,
nicht weil sie in der That zu dem Stücke gar nicht paßt, sondern weil sie
lange dauert. Auögepfiffeu wird der Schauspieler, welcher eine Erkrankung meldet.

Und kaum ist das hochtragische Stück zum Schlüsse gediehen, so schlüpfen
die Mimen in die bunten Gewänder deS Momus und die einfältigste "Farfa'
findet die nämliche Aufmerksamkeit, die nämliche dankbare Aufmunterung. See
ist dem französischen "^owment, eola Lnir^' nachgebildet und wird um nichts
besser durch die tolle Ausgelassenheit der Darstellung.


klimmt der Lichtspendcr über Baß und Fagott auf die Lampe der Bühne und
steckt von dort aus die Bühnenlampen an. Daß er dabei seinem Beiuklcide
den Ueberfluß an Oel mittheilt, der an seinen Fingern sitzen bleibt, mag dem
Director Verdruß bereiten, — uns kümmert es schon nicht mehr, denn soeben
klappt der Souffleur seine Muschel auseinander und verräth dabei — wir
sind im Februar — daß er in Hemdsärmeln souffliren wird. Er hat eine
braune Mütze auf und macht sich, während das Stück beginnt, durch heftige
Armbewegungen bemerkbar, die den Zweck haben, die Stichwortsäumigen aus
den Coulissen hervorzulocken. Was niemanden stört, darf uns indessen auch
nicht ungeduldig machen. Wir hätten im Verlaufe deS Stücks bei dem Wahn¬
sinn des Königs Saul den Eign. Pezzano etwas weniger pathetisch gewünscht,
doch stimmen wir gern in die den übrigen Scenen gespendeten Bravi ein.
Auch die melodramatische Harfen- und Psalmenscene gelangt zu vollkommener
Wirkung, so wie das Zusammenspiel von Anfang bis zu Ende nichts zu
wünschen übrig läßt. Dennoch bleibt das Stück selbst langweilig. Und nun
— sonderbar genug! dies langweilige Stück weiß von Anfang bis zu Ende
ein römischer Kanonier auswendig, der eben vor unserer Balustrade steht, nah
genug um uns die Wahl zu lassen, ob wir ihn oder den Souffleur oder gar
die Fumagalli hören wollen. Die Theilnahme deö übrigen Publicums ist
nicht geringer. Wir sind freilich uicht im Theater Apollo, wo man gähnt
oder plaudert, während der Trovatore zum zwölften Male mit seiner Mutter
Wiedererkennungsgefühle auswechselt. Wir sind in einem Theater, das Ab¬
wechselung bietet und für billiges Gelb Neues und Gutes bringt, eine Art
Volkstheater, daS nämliche übrigens, für welches Rossini einst während einer
freiwilligen Haft von -18 Tagen 'die Cenerentola schrieb. Das Puviicum
nimmt daher Theil, ermuntert durch Beifall, folgt mit Aufmerksamkeit. Aber
absonderlich äußert sich seine Theilnahme. Als die Soldaten den hohen
Priester bringen, verführt ein winziger Garderobemangel die Zuschauer mitten
im Trauerspiel zu lautem Lachen. Das Nämliche begegnet ihnen, wo das
Pathos einen zu hohen Ton anschlägt, wo der Verläumder mit Schande fort¬
geschickt wird, wo es irgend einem Bösewicht schlecht geht. Laut beklatscht
wird Saul, als er den David endlich anerkennt, nicht des Spiels, sondern
der Handlung wegen. Ausgepfissen wird plötzlich verdische Zwischenmusik,
nicht weil sie in der That zu dem Stücke gar nicht paßt, sondern weil sie
lange dauert. Auögepfiffeu wird der Schauspieler, welcher eine Erkrankung meldet.

Und kaum ist das hochtragische Stück zum Schlüsse gediehen, so schlüpfen
die Mimen in die bunten Gewänder deS Momus und die einfältigste „Farfa'
findet die nämliche Aufmerksamkeit, die nämliche dankbare Aufmunterung. See
ist dem französischen „^owment, eola Lnir^' nachgebildet und wird um nichts
besser durch die tolle Ausgelassenheit der Darstellung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/254>, abgerufen am 23.07.2024.