Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und beobachten, wagen dann, verstärkt bis zur entschiedensten Uebermacht, einige
Stürme, die regelmäßig zurückgeschlagen werden, und beschränken sich schlie߬
lich darauf, dem Feinde die Zufuhr abzuschneiden. Dies nöthigt die Rebellen
endlich zum Abzug, sie durchbrechen immer siegreich die kaiserlichen Linien,
werden von einem Theil der Negierungstruppen verfolgt und vernichten ihre
Verfolger. Die Pekinger Hofzeitungen bezeichnen ein solches Hervorbrechen
der Insurgenten als einen Fluchtversuch und ihren Zug nach einer andern
Position als Fortsetzung der Flucht. Allein mit jedem derartigen "Fluchtver¬
such" kamen die Rebellen aus einer minder guten Stellung in eine bessere,
und jede solche "Fortsetzung der Flucht" brachte sie der Hauptstadt Peking
näher. Ihre ersten befestigten Positionen waren Landstädtchen, dann Kreis¬
städte, dann Departementshauptstädtc. Dann belagerten sie einen Monat
hindurch die Hauptstadt der Provinz Hunan, und endlich nahmen sie den wich¬
tigsten militärischen Punkt von ganz China, Nanking, die einstige Residenz
der Kaiser, und Tschin Kiang, die Hafenstadt Nankings ein, welche zugleich
den großen Aangtsestrom und den Kaiserkanal beherrscht.

Nachdem Hung sin Thinen seine erste Position verlassen, bemächtigte e.r
sich eines großes Dorfes, wo er wieder reichliche Vorräthe für seine'Leute
fand. Hier schlössen sich ihm zwei Führerinnen von Rebellenscharen, jede
mit zweitausend Streitern an. Ein Räuberhauptmann mit einer starken Bande,
der dasselbe beabsichtigte, wurde, bevor er sich mit den Taipings vereinigen
konnte, von den Kaiserlichen gefangen genommen. Acht Bandenführer ferner,
die den geheimen Gesellschaften angehörten, gaben den Wunsch zu erkennen,
mit ihren Leuten zu den Taipings zu stoßen. Sie wurden, nachdem sie die
neue Religion angenommen und die Taufe empfangen, zugelassen; indeß zogen
sich sieben von ihnen, welchen die strenge Disciplin Hungs nicht gefiel, bald
nachher nicht nur wieder zurück, sondern gingen sogar zu den Kaiserlichen über.
In den späteren Gefechten benahmen sich nur die irregulären Truppen der
Regierung tapfer, die reguläre Armee zeigte fast allenthalben die Schimpflichste
Feigheit. Von Disciplin war kaum die Rede, man betrachtete, wie jetzt selbst
die Hofzeitungen eingestanden, "den Rückzug am Vorabend einer Schlacht als
alte Gewohnheit, das Verlassen von Stellen, die man vertheidigen sollte, als
etwas Hergebrachtes." Außerdem waren ihre Generale unfähig, unschlüssig
und untereinander uneins. Hung dagegen und seine Unterfeldherrn offen¬
barten von Tage zu Tage ein größeres Feldherrntalent, und dem Maß ihrer
Fähigkeit entsprach das Maß der Tapferkeit ihrer Leute, welches, im Verein
mit ihrer Mannszucht, den Mangel, den sie an Schießgewehren litten, reich¬
lich ersetzte. Jene Führer der Taipings verstanden ebenso gut zu organistren,
als zu kämpfen. "Erst verbirgt er seine Streitkräfte", sagt ein General der
Negierung von dem erstern, "dann zieht er sie ein wenig hervor, dann in


und beobachten, wagen dann, verstärkt bis zur entschiedensten Uebermacht, einige
Stürme, die regelmäßig zurückgeschlagen werden, und beschränken sich schlie߬
lich darauf, dem Feinde die Zufuhr abzuschneiden. Dies nöthigt die Rebellen
endlich zum Abzug, sie durchbrechen immer siegreich die kaiserlichen Linien,
werden von einem Theil der Negierungstruppen verfolgt und vernichten ihre
Verfolger. Die Pekinger Hofzeitungen bezeichnen ein solches Hervorbrechen
der Insurgenten als einen Fluchtversuch und ihren Zug nach einer andern
Position als Fortsetzung der Flucht. Allein mit jedem derartigen „Fluchtver¬
such" kamen die Rebellen aus einer minder guten Stellung in eine bessere,
und jede solche „Fortsetzung der Flucht" brachte sie der Hauptstadt Peking
näher. Ihre ersten befestigten Positionen waren Landstädtchen, dann Kreis¬
städte, dann Departementshauptstädtc. Dann belagerten sie einen Monat
hindurch die Hauptstadt der Provinz Hunan, und endlich nahmen sie den wich¬
tigsten militärischen Punkt von ganz China, Nanking, die einstige Residenz
der Kaiser, und Tschin Kiang, die Hafenstadt Nankings ein, welche zugleich
den großen Aangtsestrom und den Kaiserkanal beherrscht.

Nachdem Hung sin Thinen seine erste Position verlassen, bemächtigte e.r
sich eines großes Dorfes, wo er wieder reichliche Vorräthe für seine'Leute
fand. Hier schlössen sich ihm zwei Führerinnen von Rebellenscharen, jede
mit zweitausend Streitern an. Ein Räuberhauptmann mit einer starken Bande,
der dasselbe beabsichtigte, wurde, bevor er sich mit den Taipings vereinigen
konnte, von den Kaiserlichen gefangen genommen. Acht Bandenführer ferner,
die den geheimen Gesellschaften angehörten, gaben den Wunsch zu erkennen,
mit ihren Leuten zu den Taipings zu stoßen. Sie wurden, nachdem sie die
neue Religion angenommen und die Taufe empfangen, zugelassen; indeß zogen
sich sieben von ihnen, welchen die strenge Disciplin Hungs nicht gefiel, bald
nachher nicht nur wieder zurück, sondern gingen sogar zu den Kaiserlichen über.
In den späteren Gefechten benahmen sich nur die irregulären Truppen der
Regierung tapfer, die reguläre Armee zeigte fast allenthalben die Schimpflichste
Feigheit. Von Disciplin war kaum die Rede, man betrachtete, wie jetzt selbst
die Hofzeitungen eingestanden, „den Rückzug am Vorabend einer Schlacht als
alte Gewohnheit, das Verlassen von Stellen, die man vertheidigen sollte, als
etwas Hergebrachtes." Außerdem waren ihre Generale unfähig, unschlüssig
und untereinander uneins. Hung dagegen und seine Unterfeldherrn offen¬
barten von Tage zu Tage ein größeres Feldherrntalent, und dem Maß ihrer
Fähigkeit entsprach das Maß der Tapferkeit ihrer Leute, welches, im Verein
mit ihrer Mannszucht, den Mangel, den sie an Schießgewehren litten, reich¬
lich ersetzte. Jene Führer der Taipings verstanden ebenso gut zu organistren,
als zu kämpfen. „Erst verbirgt er seine Streitkräfte", sagt ein General der
Negierung von dem erstern, „dann zieht er sie ein wenig hervor, dann in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0226" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104961"/>
            <p xml:id="ID_645" prev="#ID_644"> und beobachten, wagen dann, verstärkt bis zur entschiedensten Uebermacht, einige<lb/>
Stürme, die regelmäßig zurückgeschlagen werden, und beschränken sich schlie߬<lb/>
lich darauf, dem Feinde die Zufuhr abzuschneiden. Dies nöthigt die Rebellen<lb/>
endlich zum Abzug, sie durchbrechen immer siegreich die kaiserlichen Linien,<lb/>
werden von einem Theil der Negierungstruppen verfolgt und vernichten ihre<lb/>
Verfolger. Die Pekinger Hofzeitungen bezeichnen ein solches Hervorbrechen<lb/>
der Insurgenten als einen Fluchtversuch und ihren Zug nach einer andern<lb/>
Position als Fortsetzung der Flucht. Allein mit jedem derartigen &#x201E;Fluchtver¬<lb/>
such" kamen die Rebellen aus einer minder guten Stellung in eine bessere,<lb/>
und jede solche &#x201E;Fortsetzung der Flucht" brachte sie der Hauptstadt Peking<lb/>
näher. Ihre ersten befestigten Positionen waren Landstädtchen, dann Kreis¬<lb/>
städte, dann Departementshauptstädtc. Dann belagerten sie einen Monat<lb/>
hindurch die Hauptstadt der Provinz Hunan, und endlich nahmen sie den wich¬<lb/>
tigsten militärischen Punkt von ganz China, Nanking, die einstige Residenz<lb/>
der Kaiser, und Tschin Kiang, die Hafenstadt Nankings ein, welche zugleich<lb/>
den großen Aangtsestrom und den Kaiserkanal beherrscht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_646" next="#ID_647"> Nachdem Hung sin Thinen seine erste Position verlassen, bemächtigte e.r<lb/>
sich eines großes Dorfes, wo er wieder reichliche Vorräthe für seine'Leute<lb/>
fand. Hier schlössen sich ihm zwei Führerinnen von Rebellenscharen, jede<lb/>
mit zweitausend Streitern an. Ein Räuberhauptmann mit einer starken Bande,<lb/>
der dasselbe beabsichtigte, wurde, bevor er sich mit den Taipings vereinigen<lb/>
konnte, von den Kaiserlichen gefangen genommen. Acht Bandenführer ferner,<lb/>
die den geheimen Gesellschaften angehörten, gaben den Wunsch zu erkennen,<lb/>
mit ihren Leuten zu den Taipings zu stoßen. Sie wurden, nachdem sie die<lb/>
neue Religion angenommen und die Taufe empfangen, zugelassen; indeß zogen<lb/>
sich sieben von ihnen, welchen die strenge Disciplin Hungs nicht gefiel, bald<lb/>
nachher nicht nur wieder zurück, sondern gingen sogar zu den Kaiserlichen über.<lb/>
In den späteren Gefechten benahmen sich nur die irregulären Truppen der<lb/>
Regierung tapfer, die reguläre Armee zeigte fast allenthalben die Schimpflichste<lb/>
Feigheit. Von Disciplin war kaum die Rede, man betrachtete, wie jetzt selbst<lb/>
die Hofzeitungen eingestanden, &#x201E;den Rückzug am Vorabend einer Schlacht als<lb/>
alte Gewohnheit, das Verlassen von Stellen, die man vertheidigen sollte, als<lb/>
etwas Hergebrachtes." Außerdem waren ihre Generale unfähig, unschlüssig<lb/>
und untereinander uneins. Hung dagegen und seine Unterfeldherrn offen¬<lb/>
barten von Tage zu Tage ein größeres Feldherrntalent, und dem Maß ihrer<lb/>
Fähigkeit entsprach das Maß der Tapferkeit ihrer Leute, welches, im Verein<lb/>
mit ihrer Mannszucht, den Mangel, den sie an Schießgewehren litten, reich¬<lb/>
lich ersetzte. Jene Führer der Taipings verstanden ebenso gut zu organistren,<lb/>
als zu kämpfen. &#x201E;Erst verbirgt er seine Streitkräfte", sagt ein General der<lb/>
Negierung von dem erstern, &#x201E;dann zieht er sie ein wenig hervor, dann in</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0226] und beobachten, wagen dann, verstärkt bis zur entschiedensten Uebermacht, einige Stürme, die regelmäßig zurückgeschlagen werden, und beschränken sich schlie߬ lich darauf, dem Feinde die Zufuhr abzuschneiden. Dies nöthigt die Rebellen endlich zum Abzug, sie durchbrechen immer siegreich die kaiserlichen Linien, werden von einem Theil der Negierungstruppen verfolgt und vernichten ihre Verfolger. Die Pekinger Hofzeitungen bezeichnen ein solches Hervorbrechen der Insurgenten als einen Fluchtversuch und ihren Zug nach einer andern Position als Fortsetzung der Flucht. Allein mit jedem derartigen „Fluchtver¬ such" kamen die Rebellen aus einer minder guten Stellung in eine bessere, und jede solche „Fortsetzung der Flucht" brachte sie der Hauptstadt Peking näher. Ihre ersten befestigten Positionen waren Landstädtchen, dann Kreis¬ städte, dann Departementshauptstädtc. Dann belagerten sie einen Monat hindurch die Hauptstadt der Provinz Hunan, und endlich nahmen sie den wich¬ tigsten militärischen Punkt von ganz China, Nanking, die einstige Residenz der Kaiser, und Tschin Kiang, die Hafenstadt Nankings ein, welche zugleich den großen Aangtsestrom und den Kaiserkanal beherrscht. Nachdem Hung sin Thinen seine erste Position verlassen, bemächtigte e.r sich eines großes Dorfes, wo er wieder reichliche Vorräthe für seine'Leute fand. Hier schlössen sich ihm zwei Führerinnen von Rebellenscharen, jede mit zweitausend Streitern an. Ein Räuberhauptmann mit einer starken Bande, der dasselbe beabsichtigte, wurde, bevor er sich mit den Taipings vereinigen konnte, von den Kaiserlichen gefangen genommen. Acht Bandenführer ferner, die den geheimen Gesellschaften angehörten, gaben den Wunsch zu erkennen, mit ihren Leuten zu den Taipings zu stoßen. Sie wurden, nachdem sie die neue Religion angenommen und die Taufe empfangen, zugelassen; indeß zogen sich sieben von ihnen, welchen die strenge Disciplin Hungs nicht gefiel, bald nachher nicht nur wieder zurück, sondern gingen sogar zu den Kaiserlichen über. In den späteren Gefechten benahmen sich nur die irregulären Truppen der Regierung tapfer, die reguläre Armee zeigte fast allenthalben die Schimpflichste Feigheit. Von Disciplin war kaum die Rede, man betrachtete, wie jetzt selbst die Hofzeitungen eingestanden, „den Rückzug am Vorabend einer Schlacht als alte Gewohnheit, das Verlassen von Stellen, die man vertheidigen sollte, als etwas Hergebrachtes." Außerdem waren ihre Generale unfähig, unschlüssig und untereinander uneins. Hung dagegen und seine Unterfeldherrn offen¬ barten von Tage zu Tage ein größeres Feldherrntalent, und dem Maß ihrer Fähigkeit entsprach das Maß der Tapferkeit ihrer Leute, welches, im Verein mit ihrer Mannszucht, den Mangel, den sie an Schießgewehren litten, reich¬ lich ersetzte. Jene Führer der Taipings verstanden ebenso gut zu organistren, als zu kämpfen. „Erst verbirgt er seine Streitkräfte", sagt ein General der Negierung von dem erstern, „dann zieht er sie ein wenig hervor, dann in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/226
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/226>, abgerufen am 29.06.2024.