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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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ßer sie hier von Soldaten umstellen, und sie würden aus Mangel an Lebens¬
mitteln umgekommen sein, wenn nicht jener schwärmerische Aang sin Tsing
Kunde von ihrer Lage bekommen hätte. Dieser Mann, der spätere Führer
der Bewegung nach ihrer militärischen und politischen Seite, gab jetzt den
ersten Anstoß zum Aufstand gegen die Regierung. Er fiel in eine Verzückung,
verkündete den Brüdern die Gefahr, in der ihr Prophet und sein erster Jün¬
ger schwebten, rief sie im Namen Gottes zum Kampfe gegen ihre Verfolger
aus, sammelte eine Schar von Bewaffneten, verjagte die Soldaten und führte
die bedrängten Häupter der Sekte im Triumph nach dem Distelberge zurück,
wo sich jetzt, von Hung sin Thinen aufgefordert, die gesammten Gottesver-
ehrer aus allen Gegenden der Provinz einfanden, um den Krieg gegell die
Negierung im großen Stile fortzusetzen. Sie kamen mit Weib und Kind, um
nicht wiederzukehren. Schon früher hatten sie ihre Häuser und Felder zu Geld
gemacht und dieses Geld in eine gemeinschaftliche Kasse abgeliefert, an der
nun alle gleichen Antheil hatten. Der Distelberg wurde zu einem Feldlager,
der Prophet nahm den Titel eines himmlischen Fürsten an, seine hervorra¬
gendsten Jünger nannten sich fortan Fürsten deS Nordens, Südens, Westens
Und Ostens, und offen wurde von jetzt ab in Edicten und Proclamationen als
der Zweck der Bewegung Ausrottung der abgöttischen und usurpato"
rischen MandschuS und Ausrichtung des Taiping, des FriedenS-
oder Himmelreichs, bekannt.

Die Negierung in Peking hatte bis dahin sich wenig um den Aufstand
gekümmert. Als aber jene Proclamationen an den kaiserlichen Hof gelangten,
erkannte sie die Nothwendigkeit, sich zu größerer Energie zusammenzuraffen,
Und es wurden sofort kräftige Maßregeln zur Unterdrückung der Revolution
getroffen. Der Befehlshaber der Mandschugarnison in Kanton wurde nach
dem Schauplatz der Unruhen beordert. Bald nachher folgte ihm mit einem
starken Heere als Generalissimus der erste Minister des Reichs, Sai Schang
Ah, der im Juli in Kwangsi einrückte.'

Keiner von diesen Generalen vermochte die Fortschritte der Insurgenten
aufzuhalten. Sie bemächtigten sich zuerst einer reichen Marktstadt, in der sie
beträchtliche Vorräthe von Kleidern und Lebensmitteln erbeuteten, und wo sie
sich befestigten. Die Kaiserlichen wagten nicht, sie hier anzugreifen, indeß
nöthigte endlich Mangel an Proviant zum Rückzug, den die Rebellen in so
guter Ordnung bewerkstelligten, daß ihre Gegner, als sie sie verfolgten, mit
großem Verlust zurückgeschlagen wurden. Diese ersten Bewegungen der Auf¬
ständischen und der Regierungslruppen geben ein Bild der Operationen int
ganzen folgende" Kriege. Die Insurgenten besetzen eine Position und befesti¬
gen sie mit Geschick und Eifer. Sobald sie damit fertig sind, ja nicht eher,
dicken die Kaiserlichen an, stellen sich zunächst in gebührender Entfernung auf


Grenzbote". IV. -ILö7. 28

ßer sie hier von Soldaten umstellen, und sie würden aus Mangel an Lebens¬
mitteln umgekommen sein, wenn nicht jener schwärmerische Aang sin Tsing
Kunde von ihrer Lage bekommen hätte. Dieser Mann, der spätere Führer
der Bewegung nach ihrer militärischen und politischen Seite, gab jetzt den
ersten Anstoß zum Aufstand gegen die Regierung. Er fiel in eine Verzückung,
verkündete den Brüdern die Gefahr, in der ihr Prophet und sein erster Jün¬
ger schwebten, rief sie im Namen Gottes zum Kampfe gegen ihre Verfolger
aus, sammelte eine Schar von Bewaffneten, verjagte die Soldaten und führte
die bedrängten Häupter der Sekte im Triumph nach dem Distelberge zurück,
wo sich jetzt, von Hung sin Thinen aufgefordert, die gesammten Gottesver-
ehrer aus allen Gegenden der Provinz einfanden, um den Krieg gegell die
Negierung im großen Stile fortzusetzen. Sie kamen mit Weib und Kind, um
nicht wiederzukehren. Schon früher hatten sie ihre Häuser und Felder zu Geld
gemacht und dieses Geld in eine gemeinschaftliche Kasse abgeliefert, an der
nun alle gleichen Antheil hatten. Der Distelberg wurde zu einem Feldlager,
der Prophet nahm den Titel eines himmlischen Fürsten an, seine hervorra¬
gendsten Jünger nannten sich fortan Fürsten deS Nordens, Südens, Westens
Und Ostens, und offen wurde von jetzt ab in Edicten und Proclamationen als
der Zweck der Bewegung Ausrottung der abgöttischen und usurpato»
rischen MandschuS und Ausrichtung des Taiping, des FriedenS-
oder Himmelreichs, bekannt.

Die Negierung in Peking hatte bis dahin sich wenig um den Aufstand
gekümmert. Als aber jene Proclamationen an den kaiserlichen Hof gelangten,
erkannte sie die Nothwendigkeit, sich zu größerer Energie zusammenzuraffen,
Und es wurden sofort kräftige Maßregeln zur Unterdrückung der Revolution
getroffen. Der Befehlshaber der Mandschugarnison in Kanton wurde nach
dem Schauplatz der Unruhen beordert. Bald nachher folgte ihm mit einem
starken Heere als Generalissimus der erste Minister des Reichs, Sai Schang
Ah, der im Juli in Kwangsi einrückte.'

Keiner von diesen Generalen vermochte die Fortschritte der Insurgenten
aufzuhalten. Sie bemächtigten sich zuerst einer reichen Marktstadt, in der sie
beträchtliche Vorräthe von Kleidern und Lebensmitteln erbeuteten, und wo sie
sich befestigten. Die Kaiserlichen wagten nicht, sie hier anzugreifen, indeß
nöthigte endlich Mangel an Proviant zum Rückzug, den die Rebellen in so
guter Ordnung bewerkstelligten, daß ihre Gegner, als sie sie verfolgten, mit
großem Verlust zurückgeschlagen wurden. Diese ersten Bewegungen der Auf¬
ständischen und der Regierungslruppen geben ein Bild der Operationen int
ganzen folgende» Kriege. Die Insurgenten besetzen eine Position und befesti¬
gen sie mit Geschick und Eifer. Sobald sie damit fertig sind, ja nicht eher,
dicken die Kaiserlichen an, stellen sich zunächst in gebührender Entfernung auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/225>, abgerufen am 26.06.2024.