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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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werden kann. -Mit Unrecht sieht MeadowS in diesen Erscheinungen buddhisti¬
sche Einflüsse, sie kamen, ganz abgesehen vom Christenthum, auch unter den
ersten Bekennern des Islam häufig vor. Einzelne und ganze Massen verfielen
in einen ekstatischen Zustand, sprachen Worte der Ermahnung, die theils ganz
unverständlich (Reden in Zungen), theils in Rythmen gefaßt waren, weissag¬
ten, sahen den "himmlischen Vater" und den "himmlischen älteren Bruder"
herabsteigen und mancherlei Wunder verrichten u. s. w.

Hung sin Thinen erkannte einen Theil der Aussprüche dieser Verzückten
als echt an. Andere erklärte er für Eingebungen und Vorspiegelungen des
Teufels. Für echt galten ihm namentlich die Visionen und Ermahnungen von
zweien unter den Sehern, die des Nang sin Tsing und die deS Siao
Tschao Hoey. Aus dem Munde des ersteren sprach der himmlische Vater,
aus dem des letzteren Jesus, der himmlische ältere Bruder. Beide werden wir
später, den einen als Fürsten des Ostens, den andern als Fürsten des Westens,
eine sehr wichtige Rolle spielen sehen.

Noch ein Jahr lang behielt die Gesellschaft der Gottesverehrer ihren aus¬
schließlich religiösen Charakter bei. Im Herbst aber erfolgte ein neuer
Zusammenstoß mit den Behörden, und jetzt nahm die Bewegung sofort einen
politischen Charakter an. Im Herbst zerstörte ein englisches Geschwader an
der Küste des südöstlichen China eine große Piratenflotte, und trieb dadurch
eine Schar von mehren tausend Seeräubern jener Gegenden von ihren Unter¬
nehmungen auf dem Wasser zu ähnlichen Expeditionen auf dem Lande. Sie
vereinigten sich mit bereits vorhandenen Banden, die sich in einer Fehde
zwischen den Kih Klas und den Puntis gebildet hatten und vorzüglich in dem
Districte der Provinz Kwangsi, wo die Gottesverehrer ihren Hauptsitz hatten,
ihr Wesen trieben. Die Räuber waren meist Kih Klas, die Gottesverehrer
ebenfalls. Der Kampf zwischen den Kih Klas und den Puntis brach im
October -1850 aus, und anfangs hatten jene die Oberhand. Bald aber wen¬
dete sich das Blatt, die weit zahlreicheren Puntis schlugen ihre Gegner und
verbrannten die Dörfer derselben, so daß sie sich genöthigt sahen, bei den
Gottesverehrern Obdach und Nahrung zu suchen. Beides wurde ihnen unter der
Bedingung gewährt, daß sie sich taufen ließen. Damit aber machten die An¬
hänger Hung sin Tsiuenö in den Augen der Mandarinen gemeinschaftliche
Sache mit den Räubern und Aufrührern, und jetzt schritten die in den letzten
beiden Jahren duldsam gewesenen Behörden gegen die Sekte ein.

Zuerst wurde ein Verwandter des Stifters als Zerstörer von Götzenbilder"
ins Gefängniß geworfen, wo er infolge von Hunger und übler Behandlung
starb. Dann versuchte man sich Hung sin Tsiuens und seines Hauptjüngerö
Fung Vult San zu bemächtigen. Sie flohen vom Hauptsitze der Gesellschaft,
dem Distelberge, in einen Schlupfwinkel des Gebirgs. Die Mandarinen lie-


werden kann. -Mit Unrecht sieht MeadowS in diesen Erscheinungen buddhisti¬
sche Einflüsse, sie kamen, ganz abgesehen vom Christenthum, auch unter den
ersten Bekennern des Islam häufig vor. Einzelne und ganze Massen verfielen
in einen ekstatischen Zustand, sprachen Worte der Ermahnung, die theils ganz
unverständlich (Reden in Zungen), theils in Rythmen gefaßt waren, weissag¬
ten, sahen den „himmlischen Vater" und den „himmlischen älteren Bruder"
herabsteigen und mancherlei Wunder verrichten u. s. w.

Hung sin Thinen erkannte einen Theil der Aussprüche dieser Verzückten
als echt an. Andere erklärte er für Eingebungen und Vorspiegelungen des
Teufels. Für echt galten ihm namentlich die Visionen und Ermahnungen von
zweien unter den Sehern, die des Nang sin Tsing und die deS Siao
Tschao Hoey. Aus dem Munde des ersteren sprach der himmlische Vater,
aus dem des letzteren Jesus, der himmlische ältere Bruder. Beide werden wir
später, den einen als Fürsten des Ostens, den andern als Fürsten des Westens,
eine sehr wichtige Rolle spielen sehen.

Noch ein Jahr lang behielt die Gesellschaft der Gottesverehrer ihren aus¬
schließlich religiösen Charakter bei. Im Herbst aber erfolgte ein neuer
Zusammenstoß mit den Behörden, und jetzt nahm die Bewegung sofort einen
politischen Charakter an. Im Herbst zerstörte ein englisches Geschwader an
der Küste des südöstlichen China eine große Piratenflotte, und trieb dadurch
eine Schar von mehren tausend Seeräubern jener Gegenden von ihren Unter¬
nehmungen auf dem Wasser zu ähnlichen Expeditionen auf dem Lande. Sie
vereinigten sich mit bereits vorhandenen Banden, die sich in einer Fehde
zwischen den Kih Klas und den Puntis gebildet hatten und vorzüglich in dem
Districte der Provinz Kwangsi, wo die Gottesverehrer ihren Hauptsitz hatten,
ihr Wesen trieben. Die Räuber waren meist Kih Klas, die Gottesverehrer
ebenfalls. Der Kampf zwischen den Kih Klas und den Puntis brach im
October -1850 aus, und anfangs hatten jene die Oberhand. Bald aber wen¬
dete sich das Blatt, die weit zahlreicheren Puntis schlugen ihre Gegner und
verbrannten die Dörfer derselben, so daß sie sich genöthigt sahen, bei den
Gottesverehrern Obdach und Nahrung zu suchen. Beides wurde ihnen unter der
Bedingung gewährt, daß sie sich taufen ließen. Damit aber machten die An¬
hänger Hung sin Tsiuenö in den Augen der Mandarinen gemeinschaftliche
Sache mit den Räubern und Aufrührern, und jetzt schritten die in den letzten
beiden Jahren duldsam gewesenen Behörden gegen die Sekte ein.

Zuerst wurde ein Verwandter des Stifters als Zerstörer von Götzenbilder»
ins Gefängniß geworfen, wo er infolge von Hunger und übler Behandlung
starb. Dann versuchte man sich Hung sin Tsiuens und seines Hauptjüngerö
Fung Vult San zu bemächtigen. Sie flohen vom Hauptsitze der Gesellschaft,
dem Distelberge, in einen Schlupfwinkel des Gebirgs. Die Mandarinen lie-


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[0224] werden kann. -Mit Unrecht sieht MeadowS in diesen Erscheinungen buddhisti¬ sche Einflüsse, sie kamen, ganz abgesehen vom Christenthum, auch unter den ersten Bekennern des Islam häufig vor. Einzelne und ganze Massen verfielen in einen ekstatischen Zustand, sprachen Worte der Ermahnung, die theils ganz unverständlich (Reden in Zungen), theils in Rythmen gefaßt waren, weissag¬ ten, sahen den „himmlischen Vater" und den „himmlischen älteren Bruder" herabsteigen und mancherlei Wunder verrichten u. s. w. Hung sin Thinen erkannte einen Theil der Aussprüche dieser Verzückten als echt an. Andere erklärte er für Eingebungen und Vorspiegelungen des Teufels. Für echt galten ihm namentlich die Visionen und Ermahnungen von zweien unter den Sehern, die des Nang sin Tsing und die deS Siao Tschao Hoey. Aus dem Munde des ersteren sprach der himmlische Vater, aus dem des letzteren Jesus, der himmlische ältere Bruder. Beide werden wir später, den einen als Fürsten des Ostens, den andern als Fürsten des Westens, eine sehr wichtige Rolle spielen sehen. Noch ein Jahr lang behielt die Gesellschaft der Gottesverehrer ihren aus¬ schließlich religiösen Charakter bei. Im Herbst aber erfolgte ein neuer Zusammenstoß mit den Behörden, und jetzt nahm die Bewegung sofort einen politischen Charakter an. Im Herbst zerstörte ein englisches Geschwader an der Küste des südöstlichen China eine große Piratenflotte, und trieb dadurch eine Schar von mehren tausend Seeräubern jener Gegenden von ihren Unter¬ nehmungen auf dem Wasser zu ähnlichen Expeditionen auf dem Lande. Sie vereinigten sich mit bereits vorhandenen Banden, die sich in einer Fehde zwischen den Kih Klas und den Puntis gebildet hatten und vorzüglich in dem Districte der Provinz Kwangsi, wo die Gottesverehrer ihren Hauptsitz hatten, ihr Wesen trieben. Die Räuber waren meist Kih Klas, die Gottesverehrer ebenfalls. Der Kampf zwischen den Kih Klas und den Puntis brach im October -1850 aus, und anfangs hatten jene die Oberhand. Bald aber wen¬ dete sich das Blatt, die weit zahlreicheren Puntis schlugen ihre Gegner und verbrannten die Dörfer derselben, so daß sie sich genöthigt sahen, bei den Gottesverehrern Obdach und Nahrung zu suchen. Beides wurde ihnen unter der Bedingung gewährt, daß sie sich taufen ließen. Damit aber machten die An¬ hänger Hung sin Tsiuenö in den Augen der Mandarinen gemeinschaftliche Sache mit den Räubern und Aufrührern, und jetzt schritten die in den letzten beiden Jahren duldsam gewesenen Behörden gegen die Sekte ein. Zuerst wurde ein Verwandter des Stifters als Zerstörer von Götzenbilder» ins Gefängniß geworfen, wo er infolge von Hunger und übler Behandlung starb. Dann versuchte man sich Hung sin Tsiuens und seines Hauptjüngerö Fung Vult San zu bemächtigen. Sie flohen vom Hauptsitze der Gesellschaft, dem Distelberge, in einen Schlupfwinkel des Gebirgs. Die Mandarinen lie-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/224>, abgerufen am 18.06.2024.