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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Entartung haben sie ihr ursprüngliches Ziel, den Sturz der MandschuS und
die Zurückführung der altchinesischen Dynastie der Mings festgehalten und
wiederholt zu erreichen versucht.

Dies führt weiter auf die Bedeutung des Näubcrwcsens in China über¬
haupt, welches bei allen Aufständen und so auch bei der jetzigen Revolution
eine wichtige Rolle spielt. Bei der autokratischen Verfassung deö Landes
gibt es für die Bewohner desselben kein gesetzmäßiges friedliches Mittel, mit
dem man tyrannischen Regierungömaßregeln Einhalt thun konnte. Erlaubt
sich' eine Behörde ungebührliche Forderungen, so antwortet allerdings bisweilen
das Volk mit passivem Widerstände, indem es die betreffenden Forderungen
nicht erfüllt. Der tyrannische Beamte schrickt dann entweder von der Erzwin¬
gung seines Willens zurück oder die von ihm angewendeten Gewaltschritte
selbst vereiteln den Zweck, ans dessen Erreichung sie gerichtet sind, indem dann
der ganze Kreis, der von den Maßregeln betroffen wird, die Arbeit einstellt.
Die Kaufleute schließen ihre Läden, die Handwerker feiern, die Flnßkähne
hören auf zu fahren. Die Behörde aber wird als Ursache dieses Zustandes Gegen¬
stand allgemeinen Abscheus. Derartige Arbeitseinstellungen sind wegen der damit
verbundenen Verluste nicht häufig, wo sie aber angewendet werden, verfehlen sie
selten ihren Zweck. Dagegen bessert eine Appellation an die höhere Instanz die
Sachlage fast nie, indem die reine Autokratie sich in der Nothwendigkeit
befindet, alle Opposition von vornherein für ungehörig zu halten und Erzwin¬
gung des Gehorsams als allgemeine Regel hinzustellen.

Sind alle diese Mittel des Widerstandes erschöpft, wird der ungerechte
Beamte von den höhern Behörden in Schutz genommen, so nimmt man zur
Gewalt seine Zuflucht. Einige angesehene Leute opfern sich buchstäblich dem
allgemeinen Besten. Sie organistren einen Aufstand, tödten den tyrannischen
Beamten und setzen den Kampf mit der Behörde so lange fort, bis dieselbe
Abstellung der Beschwerden zusagt. Dann aber fliehen sie nicht, sondern
liefern sich der Regierung aus, um mit ihrem Leben jenes Sühnopfer darzu¬
bringen, auf welchem die Autokratie bestehen muß, ehe sind den Kampf aufgibt.
Solche mit freiwilligem Märtyrerthum verbundene Localaufstände sind in Ehina
häufig. Werden sie aber zu oft nothwendig, so organisirt sich der gewaltsame
Widerstand aus eine andere Art und ohne jenes Opfer. Die Leiter des Auf¬
standes werden dann Räuber und bilden mit Gleichgesinnten Banden, welche,
sobald sie sich stark genug wissen, die Behörden angreifen^ die Localkassen
plündern, reicheren Einwohnern eine Steuer auferlegen, sich aber hüten, die
große Masse zu beschädigen, die ihnen immer als Geißeln ihrer Unterdrücker
Sympathien bewahrt und Vorschub leistet. Wächst die Schaar eines solchen
Räuberhauptmannö auf Tausende an, so verwandelt er sich in einen Thronpräten-
denten und erklärt den Kaiser für einen Usurpator, und die chinesische Ge-


Entartung haben sie ihr ursprüngliches Ziel, den Sturz der MandschuS und
die Zurückführung der altchinesischen Dynastie der Mings festgehalten und
wiederholt zu erreichen versucht.

Dies führt weiter auf die Bedeutung des Näubcrwcsens in China über¬
haupt, welches bei allen Aufständen und so auch bei der jetzigen Revolution
eine wichtige Rolle spielt. Bei der autokratischen Verfassung deö Landes
gibt es für die Bewohner desselben kein gesetzmäßiges friedliches Mittel, mit
dem man tyrannischen Regierungömaßregeln Einhalt thun konnte. Erlaubt
sich' eine Behörde ungebührliche Forderungen, so antwortet allerdings bisweilen
das Volk mit passivem Widerstände, indem es die betreffenden Forderungen
nicht erfüllt. Der tyrannische Beamte schrickt dann entweder von der Erzwin¬
gung seines Willens zurück oder die von ihm angewendeten Gewaltschritte
selbst vereiteln den Zweck, ans dessen Erreichung sie gerichtet sind, indem dann
der ganze Kreis, der von den Maßregeln betroffen wird, die Arbeit einstellt.
Die Kaufleute schließen ihre Läden, die Handwerker feiern, die Flnßkähne
hören auf zu fahren. Die Behörde aber wird als Ursache dieses Zustandes Gegen¬
stand allgemeinen Abscheus. Derartige Arbeitseinstellungen sind wegen der damit
verbundenen Verluste nicht häufig, wo sie aber angewendet werden, verfehlen sie
selten ihren Zweck. Dagegen bessert eine Appellation an die höhere Instanz die
Sachlage fast nie, indem die reine Autokratie sich in der Nothwendigkeit
befindet, alle Opposition von vornherein für ungehörig zu halten und Erzwin¬
gung des Gehorsams als allgemeine Regel hinzustellen.

Sind alle diese Mittel des Widerstandes erschöpft, wird der ungerechte
Beamte von den höhern Behörden in Schutz genommen, so nimmt man zur
Gewalt seine Zuflucht. Einige angesehene Leute opfern sich buchstäblich dem
allgemeinen Besten. Sie organistren einen Aufstand, tödten den tyrannischen
Beamten und setzen den Kampf mit der Behörde so lange fort, bis dieselbe
Abstellung der Beschwerden zusagt. Dann aber fliehen sie nicht, sondern
liefern sich der Regierung aus, um mit ihrem Leben jenes Sühnopfer darzu¬
bringen, auf welchem die Autokratie bestehen muß, ehe sind den Kampf aufgibt.
Solche mit freiwilligem Märtyrerthum verbundene Localaufstände sind in Ehina
häufig. Werden sie aber zu oft nothwendig, so organisirt sich der gewaltsame
Widerstand aus eine andere Art und ohne jenes Opfer. Die Leiter des Auf¬
standes werden dann Räuber und bilden mit Gleichgesinnten Banden, welche,
sobald sie sich stark genug wissen, die Behörden angreifen^ die Localkassen
plündern, reicheren Einwohnern eine Steuer auferlegen, sich aber hüten, die
große Masse zu beschädigen, die ihnen immer als Geißeln ihrer Unterdrücker
Sympathien bewahrt und Vorschub leistet. Wächst die Schaar eines solchen
Räuberhauptmannö auf Tausende an, so verwandelt er sich in einen Thronpräten-
denten und erklärt den Kaiser für einen Usurpator, und die chinesische Ge-


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[0175] Entartung haben sie ihr ursprüngliches Ziel, den Sturz der MandschuS und die Zurückführung der altchinesischen Dynastie der Mings festgehalten und wiederholt zu erreichen versucht. Dies führt weiter auf die Bedeutung des Näubcrwcsens in China über¬ haupt, welches bei allen Aufständen und so auch bei der jetzigen Revolution eine wichtige Rolle spielt. Bei der autokratischen Verfassung deö Landes gibt es für die Bewohner desselben kein gesetzmäßiges friedliches Mittel, mit dem man tyrannischen Regierungömaßregeln Einhalt thun konnte. Erlaubt sich' eine Behörde ungebührliche Forderungen, so antwortet allerdings bisweilen das Volk mit passivem Widerstände, indem es die betreffenden Forderungen nicht erfüllt. Der tyrannische Beamte schrickt dann entweder von der Erzwin¬ gung seines Willens zurück oder die von ihm angewendeten Gewaltschritte selbst vereiteln den Zweck, ans dessen Erreichung sie gerichtet sind, indem dann der ganze Kreis, der von den Maßregeln betroffen wird, die Arbeit einstellt. Die Kaufleute schließen ihre Läden, die Handwerker feiern, die Flnßkähne hören auf zu fahren. Die Behörde aber wird als Ursache dieses Zustandes Gegen¬ stand allgemeinen Abscheus. Derartige Arbeitseinstellungen sind wegen der damit verbundenen Verluste nicht häufig, wo sie aber angewendet werden, verfehlen sie selten ihren Zweck. Dagegen bessert eine Appellation an die höhere Instanz die Sachlage fast nie, indem die reine Autokratie sich in der Nothwendigkeit befindet, alle Opposition von vornherein für ungehörig zu halten und Erzwin¬ gung des Gehorsams als allgemeine Regel hinzustellen. Sind alle diese Mittel des Widerstandes erschöpft, wird der ungerechte Beamte von den höhern Behörden in Schutz genommen, so nimmt man zur Gewalt seine Zuflucht. Einige angesehene Leute opfern sich buchstäblich dem allgemeinen Besten. Sie organistren einen Aufstand, tödten den tyrannischen Beamten und setzen den Kampf mit der Behörde so lange fort, bis dieselbe Abstellung der Beschwerden zusagt. Dann aber fliehen sie nicht, sondern liefern sich der Regierung aus, um mit ihrem Leben jenes Sühnopfer darzu¬ bringen, auf welchem die Autokratie bestehen muß, ehe sind den Kampf aufgibt. Solche mit freiwilligem Märtyrerthum verbundene Localaufstände sind in Ehina häufig. Werden sie aber zu oft nothwendig, so organisirt sich der gewaltsame Widerstand aus eine andere Art und ohne jenes Opfer. Die Leiter des Auf¬ standes werden dann Räuber und bilden mit Gleichgesinnten Banden, welche, sobald sie sich stark genug wissen, die Behörden angreifen^ die Localkassen plündern, reicheren Einwohnern eine Steuer auferlegen, sich aber hüten, die große Masse zu beschädigen, die ihnen immer als Geißeln ihrer Unterdrücker Sympathien bewahrt und Vorschub leistet. Wächst die Schaar eines solchen Räuberhauptmannö auf Tausende an, so verwandelt er sich in einen Thronpräten- denten und erklärt den Kaiser für einen Usurpator, und die chinesische Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/175>, abgerufen am 23.07.2024.