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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Weise der Controle ersetzt in gewissem Maße die mangelnde Selbstregierung.
Außerdem aber erfreut sich der Chinese noch mancher praktischen Freiheiten. Er
kann, sagt Meadvws, Grundeigenthum leichter und sicherer erwerben, als selbst
ein britischer Staatsbürger. Pässe sind unbekannt, die Gewerbefreiheit, die
Freizügigkeit ist unbeschränkt, jeder hat das Recht auszuwandern und jeder
kann wieder heimkehren ohne Belästigung. Endlich gibt es in jedem Distrikt
eine Menge großer Dörfer, ja Städte, welche das ganze Jahr hindurch keinen
andern Beamten als den Steuereinnehmer zu sehen bekommen.

Bekannt ist, daß die jetzt herrschende Familie einem nicht chinesischen
Volksstamm, den Mandschutataren angehört. Obwol sie die chinesische Civili¬
sation angenommen hat, so ist ihr dieser fremde Ursprung von dem kräftigeren
Theile der Bevölkerung nie verziehen worden, und zwar um so weniger, als
der Anblick der Mandschugarnisonen in den Hauptstädten fortwährend daran
erinnerte, auf welche Weise die Dynastie den Thron erlangt hatte, und als
diese Fremden den Chinesen durch hochmüthiges Auftreten fühlen ließen, daß
sie die Eroberer seien. Dazu kam, baß man bei Besetzung der Regierungs¬
stellen die Mandschu bevorzugte, während, wie bemerkt, nach allem Gesetz und
Brauch nicht die Geburt, sondern die größere Fähigseil ein Anrecht aus An¬
stellung geben sollte. Dazu kam ferner, daß in Der Folge, um finanziellen
Verlegenheiten abzuhelfen, der Mißbrauch eingeführt wurde, einen Theil der
Aemter zu verkaufen, und daß die Käufer dann jede Gelegenheit benutzten,
um das für ihre Stelle ausgegebene Geld dem Volke wieder abzupressen.
Diese Uebelstände erreichten namentlich unter den beiden vorletzten Kaisern
Kia King und Tao Kwang eine unerträgliche Höhe. Der unglückliche Krieg
mil England nahm einerseits den Mandschuö den Nimbus der Unbesieg-
barkeit und vermehrte andererseits durch seine Kosten die finanziellen Schwierig¬
keiten, während er außerdem alö Zeichen galt, daß der Himmel der herrschen¬
den Dynastie sein Wohlwollen entzogen habe.

Zu diesen Ursachen des Mißvergnügens, aus denen sich 1850 die
Revolution entwickelte, kamen aber noch mehre andere. Als die Mandschus
den Widerstand der Chinesen gebrochen hatten, bildeten sich in den südöstlichen
Provinzen, welche von allen zuletzt bezwungen worden waren, geheime Gesell¬
schaften, die den Zweck hatten, die fremden Eroberer bei der ersten günstigen
Gelegenheit wieder zu vertreibe". Namentlich der sogenannte TriaSbund,
der sich sehr rasch verbreitete, hatte diese Tendenz. Seine Mitglieder nannten
sich Brüder, seine Häupter ältere Brüder. Sonst ist von der Organisation
dieser chinesischen Carbonari nur bekannt, daß ihre Regeln außer strenger
Geheimhaltung der Ordenszwecke vorzüglich Losreißung der Mitglieder von
socialen und Familien banden forderten. Unter dein Einfluß der Verhältnisse
sanken die Bundeoglieder zu bloßen Räubern herab, aber selbst in diejer


Weise der Controle ersetzt in gewissem Maße die mangelnde Selbstregierung.
Außerdem aber erfreut sich der Chinese noch mancher praktischen Freiheiten. Er
kann, sagt Meadvws, Grundeigenthum leichter und sicherer erwerben, als selbst
ein britischer Staatsbürger. Pässe sind unbekannt, die Gewerbefreiheit, die
Freizügigkeit ist unbeschränkt, jeder hat das Recht auszuwandern und jeder
kann wieder heimkehren ohne Belästigung. Endlich gibt es in jedem Distrikt
eine Menge großer Dörfer, ja Städte, welche das ganze Jahr hindurch keinen
andern Beamten als den Steuereinnehmer zu sehen bekommen.

Bekannt ist, daß die jetzt herrschende Familie einem nicht chinesischen
Volksstamm, den Mandschutataren angehört. Obwol sie die chinesische Civili¬
sation angenommen hat, so ist ihr dieser fremde Ursprung von dem kräftigeren
Theile der Bevölkerung nie verziehen worden, und zwar um so weniger, als
der Anblick der Mandschugarnisonen in den Hauptstädten fortwährend daran
erinnerte, auf welche Weise die Dynastie den Thron erlangt hatte, und als
diese Fremden den Chinesen durch hochmüthiges Auftreten fühlen ließen, daß
sie die Eroberer seien. Dazu kam, baß man bei Besetzung der Regierungs¬
stellen die Mandschu bevorzugte, während, wie bemerkt, nach allem Gesetz und
Brauch nicht die Geburt, sondern die größere Fähigseil ein Anrecht aus An¬
stellung geben sollte. Dazu kam ferner, daß in Der Folge, um finanziellen
Verlegenheiten abzuhelfen, der Mißbrauch eingeführt wurde, einen Theil der
Aemter zu verkaufen, und daß die Käufer dann jede Gelegenheit benutzten,
um das für ihre Stelle ausgegebene Geld dem Volke wieder abzupressen.
Diese Uebelstände erreichten namentlich unter den beiden vorletzten Kaisern
Kia King und Tao Kwang eine unerträgliche Höhe. Der unglückliche Krieg
mil England nahm einerseits den Mandschuö den Nimbus der Unbesieg-
barkeit und vermehrte andererseits durch seine Kosten die finanziellen Schwierig¬
keiten, während er außerdem alö Zeichen galt, daß der Himmel der herrschen¬
den Dynastie sein Wohlwollen entzogen habe.

Zu diesen Ursachen des Mißvergnügens, aus denen sich 1850 die
Revolution entwickelte, kamen aber noch mehre andere. Als die Mandschus
den Widerstand der Chinesen gebrochen hatten, bildeten sich in den südöstlichen
Provinzen, welche von allen zuletzt bezwungen worden waren, geheime Gesell¬
schaften, die den Zweck hatten, die fremden Eroberer bei der ersten günstigen
Gelegenheit wieder zu vertreibe». Namentlich der sogenannte TriaSbund,
der sich sehr rasch verbreitete, hatte diese Tendenz. Seine Mitglieder nannten
sich Brüder, seine Häupter ältere Brüder. Sonst ist von der Organisation
dieser chinesischen Carbonari nur bekannt, daß ihre Regeln außer strenger
Geheimhaltung der Ordenszwecke vorzüglich Losreißung der Mitglieder von
socialen und Familien banden forderten. Unter dein Einfluß der Verhältnisse
sanken die Bundeoglieder zu bloßen Räubern herab, aber selbst in diejer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/174>, abgerufen am 23.07.2024.