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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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sten Orten Südamerikas und aus Europa bezogen werden. Die englischen
Zeitungen begnügen sich in der Regel mir Nachrichten aus dem europäischen
Continent, eine amerikanische Zeitung ist gleichsam ein Panorama der ganzen
Welt, sie berichtet ebenso genau und ausführlich die Ereignisse in Brasilien,
Peru und Chili als die Vorgänge in Paris und London und ein Brief aus
China folgt nicht selten einem Briefe aus Konstantinopel. Das "Delta" und
die andern großen Zeitungen von Neuorleans bringen täglich Nachrichten
aus Kalifornien und Südamerika, welche sie mit enormen Kosten sich ver¬
schaffen, indem sie nöthigenfalls Erpresse abschicken, welche sich besondere Schiffe
miethen müssen, wenn die gewöhnlichen Transportmittel fehlen, oder zu lang¬
sam sind. Die.transatlantischen Nachrichten bringen sie regelmäßig vor der
Ankunft der Posten, sie erhalten dieselben durch den Telegraphen aus Halifar,
Boston, Neuyork oder Philadelphia, aus jedem Orte, wo ein aus Europa kom¬
mendes Schiff landet.

Diese Menge von Korrespondenzen und Depeschen verleiht den amerika¬
nischen Blättern eine überaus merkwürdige Gestalt. Der europäische Leser kann
sich in ihnen kaum zurecht finden. Die Materien sind nicht methodisch ge¬
ordnet, die verschiedenen Artikel nicht durch Schnstzeichen gesondert, die wichti¬
geren Partien der Zeitung nicht von den unwichtigeren getrennt. Annoncen zu
Anfang, Annoncen in der Mitte und Annoncen zum Schluß: das ist die
erste Erscheinung. Artikel, welche denselben Gegenstand behandeln, finden sich
an den verschiedensten Orten zerstreut. Der Redactionsarlikel ist stets sehr
kurz und nimmt höchstens eine halbe Spalte ein. Es folgen ihm eine Menge
kleiner Aufsätze über die verschiedenartigsten Gegenstände und wieder über den¬
selben Gegenstand drei bis vier Artikel, welche man nicht Zeit gehabt hat, zu
einem einzigen Artikel zu verarbeiten. Die localen Nachrichten werden mit
einer Ausführlichkeit gegeben, die einen europäischen Leser ermüden würde.
Dann folgen zwei oder drei Kandidatenlisten, denn die Wahlen hören nie¬
mals aus; eS gibt Wahlen sür den Kongreß, für den Staat, für die Graf¬
schaft, für die Slave; Wahlen von Deputirten, Stadträthen, Richtern,
Steuereinnehmern, Straßenaufsehern. Ein eifriger amerikanischer Bürger hat
fast jeden Tag zu wählen und die Zeitung muß ihm die Kandidaten nennen,
welche für die erledigte Stelle sich gemeldet haben. Eine Hauptstelle nehmen
die Hanvelsnachrichten ein, die mit besonderer Gründlichkeit und Klarheit ab¬
gefaßt sind. Die Fondscvurse und die Preise der Lebensmittel auf allen Plätzen
der Welt werden mit vorzüglicher Genauigkeit registrirt, sie nehmen zwei bis
drei Spalten ein und werden fast alle durch Ver Telegraphen mit außeror¬
dentlichen Kosten bezogen. Reichen die genannten Materien nicht hin, das
Blatt zu füllen, so "stopft der Herausgeber das Loch" mit allem, was ihm
in die Hand kommt, mit Versen, mit Citaten aus guten Schriftstellern, zu-


sten Orten Südamerikas und aus Europa bezogen werden. Die englischen
Zeitungen begnügen sich in der Regel mir Nachrichten aus dem europäischen
Continent, eine amerikanische Zeitung ist gleichsam ein Panorama der ganzen
Welt, sie berichtet ebenso genau und ausführlich die Ereignisse in Brasilien,
Peru und Chili als die Vorgänge in Paris und London und ein Brief aus
China folgt nicht selten einem Briefe aus Konstantinopel. Das „Delta" und
die andern großen Zeitungen von Neuorleans bringen täglich Nachrichten
aus Kalifornien und Südamerika, welche sie mit enormen Kosten sich ver¬
schaffen, indem sie nöthigenfalls Erpresse abschicken, welche sich besondere Schiffe
miethen müssen, wenn die gewöhnlichen Transportmittel fehlen, oder zu lang¬
sam sind. Die.transatlantischen Nachrichten bringen sie regelmäßig vor der
Ankunft der Posten, sie erhalten dieselben durch den Telegraphen aus Halifar,
Boston, Neuyork oder Philadelphia, aus jedem Orte, wo ein aus Europa kom¬
mendes Schiff landet.

Diese Menge von Korrespondenzen und Depeschen verleiht den amerika¬
nischen Blättern eine überaus merkwürdige Gestalt. Der europäische Leser kann
sich in ihnen kaum zurecht finden. Die Materien sind nicht methodisch ge¬
ordnet, die verschiedenen Artikel nicht durch Schnstzeichen gesondert, die wichti¬
geren Partien der Zeitung nicht von den unwichtigeren getrennt. Annoncen zu
Anfang, Annoncen in der Mitte und Annoncen zum Schluß: das ist die
erste Erscheinung. Artikel, welche denselben Gegenstand behandeln, finden sich
an den verschiedensten Orten zerstreut. Der Redactionsarlikel ist stets sehr
kurz und nimmt höchstens eine halbe Spalte ein. Es folgen ihm eine Menge
kleiner Aufsätze über die verschiedenartigsten Gegenstände und wieder über den¬
selben Gegenstand drei bis vier Artikel, welche man nicht Zeit gehabt hat, zu
einem einzigen Artikel zu verarbeiten. Die localen Nachrichten werden mit
einer Ausführlichkeit gegeben, die einen europäischen Leser ermüden würde.
Dann folgen zwei oder drei Kandidatenlisten, denn die Wahlen hören nie¬
mals aus; eS gibt Wahlen sür den Kongreß, für den Staat, für die Graf¬
schaft, für die Slave; Wahlen von Deputirten, Stadträthen, Richtern,
Steuereinnehmern, Straßenaufsehern. Ein eifriger amerikanischer Bürger hat
fast jeden Tag zu wählen und die Zeitung muß ihm die Kandidaten nennen,
welche für die erledigte Stelle sich gemeldet haben. Eine Hauptstelle nehmen
die Hanvelsnachrichten ein, die mit besonderer Gründlichkeit und Klarheit ab¬
gefaßt sind. Die Fondscvurse und die Preise der Lebensmittel auf allen Plätzen
der Welt werden mit vorzüglicher Genauigkeit registrirt, sie nehmen zwei bis
drei Spalten ein und werden fast alle durch Ver Telegraphen mit außeror¬
dentlichen Kosten bezogen. Reichen die genannten Materien nicht hin, das
Blatt zu füllen, so „stopft der Herausgeber das Loch" mit allem, was ihm
in die Hand kommt, mit Versen, mit Citaten aus guten Schriftstellern, zu-


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[0166] sten Orten Südamerikas und aus Europa bezogen werden. Die englischen Zeitungen begnügen sich in der Regel mir Nachrichten aus dem europäischen Continent, eine amerikanische Zeitung ist gleichsam ein Panorama der ganzen Welt, sie berichtet ebenso genau und ausführlich die Ereignisse in Brasilien, Peru und Chili als die Vorgänge in Paris und London und ein Brief aus China folgt nicht selten einem Briefe aus Konstantinopel. Das „Delta" und die andern großen Zeitungen von Neuorleans bringen täglich Nachrichten aus Kalifornien und Südamerika, welche sie mit enormen Kosten sich ver¬ schaffen, indem sie nöthigenfalls Erpresse abschicken, welche sich besondere Schiffe miethen müssen, wenn die gewöhnlichen Transportmittel fehlen, oder zu lang¬ sam sind. Die.transatlantischen Nachrichten bringen sie regelmäßig vor der Ankunft der Posten, sie erhalten dieselben durch den Telegraphen aus Halifar, Boston, Neuyork oder Philadelphia, aus jedem Orte, wo ein aus Europa kom¬ mendes Schiff landet. Diese Menge von Korrespondenzen und Depeschen verleiht den amerika¬ nischen Blättern eine überaus merkwürdige Gestalt. Der europäische Leser kann sich in ihnen kaum zurecht finden. Die Materien sind nicht methodisch ge¬ ordnet, die verschiedenen Artikel nicht durch Schnstzeichen gesondert, die wichti¬ geren Partien der Zeitung nicht von den unwichtigeren getrennt. Annoncen zu Anfang, Annoncen in der Mitte und Annoncen zum Schluß: das ist die erste Erscheinung. Artikel, welche denselben Gegenstand behandeln, finden sich an den verschiedensten Orten zerstreut. Der Redactionsarlikel ist stets sehr kurz und nimmt höchstens eine halbe Spalte ein. Es folgen ihm eine Menge kleiner Aufsätze über die verschiedenartigsten Gegenstände und wieder über den¬ selben Gegenstand drei bis vier Artikel, welche man nicht Zeit gehabt hat, zu einem einzigen Artikel zu verarbeiten. Die localen Nachrichten werden mit einer Ausführlichkeit gegeben, die einen europäischen Leser ermüden würde. Dann folgen zwei oder drei Kandidatenlisten, denn die Wahlen hören nie¬ mals aus; eS gibt Wahlen sür den Kongreß, für den Staat, für die Graf¬ schaft, für die Slave; Wahlen von Deputirten, Stadträthen, Richtern, Steuereinnehmern, Straßenaufsehern. Ein eifriger amerikanischer Bürger hat fast jeden Tag zu wählen und die Zeitung muß ihm die Kandidaten nennen, welche für die erledigte Stelle sich gemeldet haben. Eine Hauptstelle nehmen die Hanvelsnachrichten ein, die mit besonderer Gründlichkeit und Klarheit ab¬ gefaßt sind. Die Fondscvurse und die Preise der Lebensmittel auf allen Plätzen der Welt werden mit vorzüglicher Genauigkeit registrirt, sie nehmen zwei bis drei Spalten ein und werden fast alle durch Ver Telegraphen mit außeror¬ dentlichen Kosten bezogen. Reichen die genannten Materien nicht hin, das Blatt zu füllen, so „stopft der Herausgeber das Loch" mit allem, was ihm in die Hand kommt, mit Versen, mit Citaten aus guten Schriftstellern, zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/166>, abgerufen am 23.07.2024.