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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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weilen auch mit einem Roman, der stückweise mitgetheilt wird. Ost bleibt
daher in einer amerikanischen Zeitung wenig Bedeutendes zu lesen übrig, und
ein englischer Schriftsteller hat mit Recht gesagt, daß alle Neuigkeiten der grö߬
ten amerikanischen Zeitungen eine einzige Spalte der Times oder Daily Neph
füllen würden.

Der geistige Einfluß der amerikanischen Presse ist sehr bedeutend. Sie
ist ein integrirender Theil des nationalen Lebens und die nothwendige Er¬
gänzung der politischen Institutionen des Landes. Die Presse allein beseelt
und belebt das ausgedehnte Wahlsystem Amerikas: sie allein ruft hervor und
unterhält die Mitbewerbungen, ohne welche die Wahlen oft in reine Formali¬
täten ausarten würden; sie allein ruft die Volksmassen zur Abstimmung, in¬
dem sie an die Personen, Namen eine Bedeuiung knüpft und eine Wahl
zum Siege einer Idee oder einer Partei macht. Andererseits ist die Zeitung,
welche von den arbeitenden Classen gelesen wird, die große Erzieherin des
Volkes; sie lehrt dem Arbeiter seine Rechte, leitet ihn in der Ausübung seiner
bürgerlichen Befugnisse, klärt ihn über die Menschen und die Dinge auf und
bekämpft oder nährt auch bisweilen seine Vorurtheile. In einem Lande, wo
allgemeines Stimmrecht besteht, ist derjenige, der über die Massen verfügt"
Meister der nationalen Geschicke. Wenn also die Majorität der Presse die
Nation nach irgend einem Ziele lenkt, zum Frieden oder zum Kriege, zur An¬
nexion von Teras oder zur Eroberung von Californien, und wenn nicht ein
anderes unvorhergesehenes Ereigniß die öffentliche Aufmerksamkeit in Anspruch
nimmt, so ist es schließlich die unausgesetzte Predigt der Zeitungen, welche
die öffentliche Meinung bestimmt. ES ist dies eine unermeßliche Macht, aber
die einzelne Zeitung besitzt nur einen sehr kleinen Theil derselben und die Leiter
der Zeitungen haben in Amerika keineswegs denselben Einfluß und dieselbe
Bedeutung als in Europa. Es sitzen zwar im Congreß zu Washington mehre
Publicisten -- man zählte deren 1831 sechs im Repräsentantenhause und vier
im Senat -- es ist aber zweifelhaft, ob sie grade wegen ihrer Eigenschaft als
Publicisten und nicht aus andern Rücksichten gewählt sind. Jedenfalls gibt in
Amerika die Kanzel oder die Advocatur mehr Ansehen und Einfluß als die
Revaction einer Zeitung. Dazu kommt, daß nur in den großen Städten des
Litorales die Zeitungsredactenre wissenschaftlich gebildete Männer sind. Zwei
Drittel der amerikanischen Blätter sind Wochenblätter, bei denen dieselbe Person
Redacteur, Setzer und Drucker ist. Diese Classe von Journalisten theilt die
Arbeiten, Gewohnheiten und Leidenschaften der Bevölkerung, unter der sie
lebt: sie ist daS getreue Echo der sie umgebenden Arbeiter und Pflanzer, dient
den localen Streitigkeiten, mischt in die politischen Kämpfe persönliche Feind¬
schaften und geht sehr bald zu Beleidigungen und Gewaltthätigkeiten über.
Daher wird denn der amerikanische Journalist mit geladenen Pistolen aus seinem


weilen auch mit einem Roman, der stückweise mitgetheilt wird. Ost bleibt
daher in einer amerikanischen Zeitung wenig Bedeutendes zu lesen übrig, und
ein englischer Schriftsteller hat mit Recht gesagt, daß alle Neuigkeiten der grö߬
ten amerikanischen Zeitungen eine einzige Spalte der Times oder Daily Neph
füllen würden.

Der geistige Einfluß der amerikanischen Presse ist sehr bedeutend. Sie
ist ein integrirender Theil des nationalen Lebens und die nothwendige Er¬
gänzung der politischen Institutionen des Landes. Die Presse allein beseelt
und belebt das ausgedehnte Wahlsystem Amerikas: sie allein ruft hervor und
unterhält die Mitbewerbungen, ohne welche die Wahlen oft in reine Formali¬
täten ausarten würden; sie allein ruft die Volksmassen zur Abstimmung, in¬
dem sie an die Personen, Namen eine Bedeuiung knüpft und eine Wahl
zum Siege einer Idee oder einer Partei macht. Andererseits ist die Zeitung,
welche von den arbeitenden Classen gelesen wird, die große Erzieherin des
Volkes; sie lehrt dem Arbeiter seine Rechte, leitet ihn in der Ausübung seiner
bürgerlichen Befugnisse, klärt ihn über die Menschen und die Dinge auf und
bekämpft oder nährt auch bisweilen seine Vorurtheile. In einem Lande, wo
allgemeines Stimmrecht besteht, ist derjenige, der über die Massen verfügt»
Meister der nationalen Geschicke. Wenn also die Majorität der Presse die
Nation nach irgend einem Ziele lenkt, zum Frieden oder zum Kriege, zur An¬
nexion von Teras oder zur Eroberung von Californien, und wenn nicht ein
anderes unvorhergesehenes Ereigniß die öffentliche Aufmerksamkeit in Anspruch
nimmt, so ist es schließlich die unausgesetzte Predigt der Zeitungen, welche
die öffentliche Meinung bestimmt. ES ist dies eine unermeßliche Macht, aber
die einzelne Zeitung besitzt nur einen sehr kleinen Theil derselben und die Leiter
der Zeitungen haben in Amerika keineswegs denselben Einfluß und dieselbe
Bedeutung als in Europa. Es sitzen zwar im Congreß zu Washington mehre
Publicisten — man zählte deren 1831 sechs im Repräsentantenhause und vier
im Senat — es ist aber zweifelhaft, ob sie grade wegen ihrer Eigenschaft als
Publicisten und nicht aus andern Rücksichten gewählt sind. Jedenfalls gibt in
Amerika die Kanzel oder die Advocatur mehr Ansehen und Einfluß als die
Revaction einer Zeitung. Dazu kommt, daß nur in den großen Städten des
Litorales die Zeitungsredactenre wissenschaftlich gebildete Männer sind. Zwei
Drittel der amerikanischen Blätter sind Wochenblätter, bei denen dieselbe Person
Redacteur, Setzer und Drucker ist. Diese Classe von Journalisten theilt die
Arbeiten, Gewohnheiten und Leidenschaften der Bevölkerung, unter der sie
lebt: sie ist daS getreue Echo der sie umgebenden Arbeiter und Pflanzer, dient
den localen Streitigkeiten, mischt in die politischen Kämpfe persönliche Feind¬
schaften und geht sehr bald zu Beleidigungen und Gewaltthätigkeiten über.
Daher wird denn der amerikanische Journalist mit geladenen Pistolen aus seinem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/167>, abgerufen am 26.08.2024.