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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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historischer Situationen übersprang. Ein schlagendes Beispiel dafür ist sein
"Napoleon mit dem Papst", das einzige Erträgliche in diesem Bilde ist der
Kopf des Papstes, und dieser erscheint doch als eine steife Copie des Por¬
träts von Lawrence in Windsor, der Napoleon aber ist eine wahre Jammer¬
gestalt, der Schatten eines Schattens, keine Spur ist in dem Bilde von dem
großartigen Gegensatz des soldatischen Imperators und dem gewandten, aber
zähen Priester, wozu die Situation den natürlichen Vorwurf gibt. Hogarth
und Wilkie folgen als Genremaler Mulready, Leslie und Webster. Von
ersterem sah man schon 1833 auf der pariser Ausstellung eine Reihe trefflicher
Stücke, die wir in Manchester wiederfinden. Vorzüglich glücklich ist er in Dar¬
stellungen aus dem Kinderleben "der Wolf und das Lamm", ein größerer
Knabe, der einen kleinern bedroht, zu dessen Hilfe die Mutter heraneilt, "die
Barbierstube", wo ein alter geckiger Haarschneider einen ungeschlachten Bu¬
ben, den die noch häßlichere Mutter mit dem Ausdruck vollster mütterlicher
Befriedigung betrachtet, vorhat, sind voll von Humor und nur etwas hart
in der Farbe. Leslie ist der Maler der Romane des -18. Jahrhunderts, seine
Bilder sind die lebensvollsten Illustrationen zu Avdison, Goldsand und Sterne,
die Scenen aus dem Vikar von Wakefield, die Wittwe Wadman und Onkel
Toby gehören zu den besten englischen Genrestücken, die größern historischen
Bilder Leslies sind kalt und nnansprechend. Webster ercellirt vorzüglich in
Darstellungen aus dem Schutteben, seine "Damenschule" in der Veruon-
galerie ist ein Meisterwerk, die verschiedensten Situationen, der ungeschlachte
Tölpel, der seine Lection nicht weiß, der pfiffige Bursche, der ihm einen Zopf
austeckr, das kleine Mädchen, das sich vor Vergnügen darüber nicht zu lassen
weiß, die Alten mit gehobenem Lineal sind dem Leben abgelauscht. An die
Genremaler reiht sich dann der größte gegenwärtige Thiermaler nicht nur Eng¬
lands, sondern wol Europas: Sir Edwin Landseer. Seine Bilder sind durch
unzählige treffliche Kupferstiche bekannt und verlieren nicht, sondern gewinnen
im Original gesehen; einige 20 Stücke bietet die Ausstellung von ihm, die
hier begrieflicherweise nicht analvsirt werpen können. Wie kein anderer Maler
versteht er mit Thieren geistige Beziehungen, bald humoristischer bald melan¬
cholischer Natur zu vereinigen, ohne der Naturwahrheit Abbruch zu thun. Er¬
sterer Art sind z. B. Jack im Amte, die brasilianischen Affen u. a., letzterer der
sterbende Hirsch, die Kinder des Nebels in.; daneben wie vorzüglich behandelt
er das Stillleben z. B. im Pferdebeschlagen; nur Rose Bonheur kann sich
hierin mit ihm messen. Die Geschichte der englischen Landschaftsmalerei ist
nicht sehr reich, wenn man von den Wasserfarben, deren gleich gedacht
werden soll, absieht. Wilson ist ein schwacher Nachahmer von Claude, der
bedeutendste unter den lebenden ist ohne Zweifel Starfield, seine Ansicht
von Ischia, der Uebergang der französischen Armee über die Magra sind vor-


historischer Situationen übersprang. Ein schlagendes Beispiel dafür ist sein
„Napoleon mit dem Papst", das einzige Erträgliche in diesem Bilde ist der
Kopf des Papstes, und dieser erscheint doch als eine steife Copie des Por¬
träts von Lawrence in Windsor, der Napoleon aber ist eine wahre Jammer¬
gestalt, der Schatten eines Schattens, keine Spur ist in dem Bilde von dem
großartigen Gegensatz des soldatischen Imperators und dem gewandten, aber
zähen Priester, wozu die Situation den natürlichen Vorwurf gibt. Hogarth
und Wilkie folgen als Genremaler Mulready, Leslie und Webster. Von
ersterem sah man schon 1833 auf der pariser Ausstellung eine Reihe trefflicher
Stücke, die wir in Manchester wiederfinden. Vorzüglich glücklich ist er in Dar¬
stellungen aus dem Kinderleben „der Wolf und das Lamm", ein größerer
Knabe, der einen kleinern bedroht, zu dessen Hilfe die Mutter heraneilt, „die
Barbierstube", wo ein alter geckiger Haarschneider einen ungeschlachten Bu¬
ben, den die noch häßlichere Mutter mit dem Ausdruck vollster mütterlicher
Befriedigung betrachtet, vorhat, sind voll von Humor und nur etwas hart
in der Farbe. Leslie ist der Maler der Romane des -18. Jahrhunderts, seine
Bilder sind die lebensvollsten Illustrationen zu Avdison, Goldsand und Sterne,
die Scenen aus dem Vikar von Wakefield, die Wittwe Wadman und Onkel
Toby gehören zu den besten englischen Genrestücken, die größern historischen
Bilder Leslies sind kalt und nnansprechend. Webster ercellirt vorzüglich in
Darstellungen aus dem Schutteben, seine „Damenschule" in der Veruon-
galerie ist ein Meisterwerk, die verschiedensten Situationen, der ungeschlachte
Tölpel, der seine Lection nicht weiß, der pfiffige Bursche, der ihm einen Zopf
austeckr, das kleine Mädchen, das sich vor Vergnügen darüber nicht zu lassen
weiß, die Alten mit gehobenem Lineal sind dem Leben abgelauscht. An die
Genremaler reiht sich dann der größte gegenwärtige Thiermaler nicht nur Eng¬
lands, sondern wol Europas: Sir Edwin Landseer. Seine Bilder sind durch
unzählige treffliche Kupferstiche bekannt und verlieren nicht, sondern gewinnen
im Original gesehen; einige 20 Stücke bietet die Ausstellung von ihm, die
hier begrieflicherweise nicht analvsirt werpen können. Wie kein anderer Maler
versteht er mit Thieren geistige Beziehungen, bald humoristischer bald melan¬
cholischer Natur zu vereinigen, ohne der Naturwahrheit Abbruch zu thun. Er¬
sterer Art sind z. B. Jack im Amte, die brasilianischen Affen u. a., letzterer der
sterbende Hirsch, die Kinder des Nebels in.; daneben wie vorzüglich behandelt
er das Stillleben z. B. im Pferdebeschlagen; nur Rose Bonheur kann sich
hierin mit ihm messen. Die Geschichte der englischen Landschaftsmalerei ist
nicht sehr reich, wenn man von den Wasserfarben, deren gleich gedacht
werden soll, absieht. Wilson ist ein schwacher Nachahmer von Claude, der
bedeutendste unter den lebenden ist ohne Zweifel Starfield, seine Ansicht
von Ischia, der Uebergang der französischen Armee über die Magra sind vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/494>, abgerufen am 22.07.2024.