Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Das 35. niederrheimsche Musikfest.

Das diesjährige niederrheinische Musikfest wurde bekanntlich in Aachen
gefeiert. Beschäftigen wir uns zuvörderst einen Augenblick mit der Localität
und den daselbst waltenden musikalischen Verhältnissen.

Aachen hatte von jeher einen nicht geringen Vortheil vor den andern
niederrheinischen Vereinsstädten. Die Nähe des reichen Belgiens und seine
Eigenschaft als berühmter Kurort sicherten ihm ein zahlreiches Publicum
bei seinen Musikfesten, und das traurige Wort Deficit, welches zuweilen in
Köln und Düsseldorf sich vernehmen ließ, scheint in Aachen nie vorgekommen
ZU sein. Früher hatte man dort auch eine gewisse Vorliebe, nicht allein für
die belgischen Gäste, sondern auch für die belgischen Musiker, von welcher
man aber zurückgekommen zu sein scheint. Belgien hat treffliche Virtuosen,
aber seine Orchestermustker haben nicht die schnelle musikalische Auffassung und
die langjährige Vertrautheit mit den Meisterwerken unserer Schule, welche die
deutschen Musiker auszeichnet, und a'uf diese Eigenschaften kommt es doch
wesentlich mit an, wo in kürzester Zeit so viel geleistet werden soll. So war
denn dies Mal das höchst ausgezeichnete Orchester, etwa ein Dutzend Musiker
ausgenommen, aus Deutschen und seiner überwiegenden Majorität nach aus
Rheinländern gebildet. Was die Chöre betrifft, so waren sie von jeher in
Aachen vortrefflich und haben sich auch dies Mal wieder aufs glänzendste be¬
wahrt. Es hat damit eine eigene Bewandtniß. In dem häuslichen musikalischen
Leben der Rheinland?, wenn man so sagen darf, nimmt Aachen eigentlich eine
subalterne Stellung ein, und während die Aufführungen größerer Vocalwerke
in Köln, Bonn, Düsseldorf, Elberseld, Barmer, Crefeld :c. vielleicht zahl¬
reicher sind, als in irgend einem anderen Theile Deutschlands, hört man von
Aachen aus viel seltener von dergleichen. Der Männergesang hat sich dort
einer besonderen Pflege zu erfreuen und daS Interesse an demselben, ja sogar
an den damit verbundenen gesellschaftlichen Vereinigungen scheint allzusehr zu
dominiren. Zu den Musikfesten hingegen rafft man sich zusammen und stellt
einen Chor auf, welcher sowol durch Schönheit der Stimmen als durch große
Kraft und Festigkeit zu den besten gehört, welche in den in dieser Hinsicht so


Grenzboten. III. -I8S7. 6
Das 35. niederrheimsche Musikfest.

Das diesjährige niederrheinische Musikfest wurde bekanntlich in Aachen
gefeiert. Beschäftigen wir uns zuvörderst einen Augenblick mit der Localität
und den daselbst waltenden musikalischen Verhältnissen.

Aachen hatte von jeher einen nicht geringen Vortheil vor den andern
niederrheinischen Vereinsstädten. Die Nähe des reichen Belgiens und seine
Eigenschaft als berühmter Kurort sicherten ihm ein zahlreiches Publicum
bei seinen Musikfesten, und das traurige Wort Deficit, welches zuweilen in
Köln und Düsseldorf sich vernehmen ließ, scheint in Aachen nie vorgekommen
ZU sein. Früher hatte man dort auch eine gewisse Vorliebe, nicht allein für
die belgischen Gäste, sondern auch für die belgischen Musiker, von welcher
man aber zurückgekommen zu sein scheint. Belgien hat treffliche Virtuosen,
aber seine Orchestermustker haben nicht die schnelle musikalische Auffassung und
die langjährige Vertrautheit mit den Meisterwerken unserer Schule, welche die
deutschen Musiker auszeichnet, und a'uf diese Eigenschaften kommt es doch
wesentlich mit an, wo in kürzester Zeit so viel geleistet werden soll. So war
denn dies Mal das höchst ausgezeichnete Orchester, etwa ein Dutzend Musiker
ausgenommen, aus Deutschen und seiner überwiegenden Majorität nach aus
Rheinländern gebildet. Was die Chöre betrifft, so waren sie von jeher in
Aachen vortrefflich und haben sich auch dies Mal wieder aufs glänzendste be¬
wahrt. Es hat damit eine eigene Bewandtniß. In dem häuslichen musikalischen
Leben der Rheinland?, wenn man so sagen darf, nimmt Aachen eigentlich eine
subalterne Stellung ein, und während die Aufführungen größerer Vocalwerke
in Köln, Bonn, Düsseldorf, Elberseld, Barmer, Crefeld :c. vielleicht zahl¬
reicher sind, als in irgend einem anderen Theile Deutschlands, hört man von
Aachen aus viel seltener von dergleichen. Der Männergesang hat sich dort
einer besonderen Pflege zu erfreuen und daS Interesse an demselben, ja sogar
an den damit verbundenen gesellschaftlichen Vereinigungen scheint allzusehr zu
dominiren. Zu den Musikfesten hingegen rafft man sich zusammen und stellt
einen Chor auf, welcher sowol durch Schönheit der Stimmen als durch große
Kraft und Festigkeit zu den besten gehört, welche in den in dieser Hinsicht so


Grenzboten. III. -I8S7. 6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0049" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104250"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Das 35. niederrheimsche Musikfest.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_122"> Das diesjährige niederrheinische Musikfest wurde bekanntlich in Aachen<lb/>
gefeiert. Beschäftigen wir uns zuvörderst einen Augenblick mit der Localität<lb/>
und den daselbst waltenden musikalischen Verhältnissen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_123" next="#ID_124"> Aachen hatte von jeher einen nicht geringen Vortheil vor den andern<lb/>
niederrheinischen Vereinsstädten. Die Nähe des reichen Belgiens und seine<lb/>
Eigenschaft als berühmter Kurort sicherten ihm ein zahlreiches Publicum<lb/>
bei seinen Musikfesten, und das traurige Wort Deficit, welches zuweilen in<lb/>
Köln und Düsseldorf sich vernehmen ließ, scheint in Aachen nie vorgekommen<lb/>
ZU sein. Früher hatte man dort auch eine gewisse Vorliebe, nicht allein für<lb/>
die belgischen Gäste, sondern auch für die belgischen Musiker, von welcher<lb/>
man aber zurückgekommen zu sein scheint. Belgien hat treffliche Virtuosen,<lb/>
aber seine Orchestermustker haben nicht die schnelle musikalische Auffassung und<lb/>
die langjährige Vertrautheit mit den Meisterwerken unserer Schule, welche die<lb/>
deutschen Musiker auszeichnet, und a'uf diese Eigenschaften kommt es doch<lb/>
wesentlich mit an, wo in kürzester Zeit so viel geleistet werden soll. So war<lb/>
denn dies Mal das höchst ausgezeichnete Orchester, etwa ein Dutzend Musiker<lb/>
ausgenommen, aus Deutschen und seiner überwiegenden Majorität nach aus<lb/>
Rheinländern gebildet. Was die Chöre betrifft, so waren sie von jeher in<lb/>
Aachen vortrefflich und haben sich auch dies Mal wieder aufs glänzendste be¬<lb/>
wahrt. Es hat damit eine eigene Bewandtniß. In dem häuslichen musikalischen<lb/>
Leben der Rheinland?, wenn man so sagen darf, nimmt Aachen eigentlich eine<lb/>
subalterne Stellung ein, und während die Aufführungen größerer Vocalwerke<lb/>
in Köln, Bonn, Düsseldorf, Elberseld, Barmer, Crefeld :c. vielleicht zahl¬<lb/>
reicher sind, als in irgend einem anderen Theile Deutschlands, hört man von<lb/>
Aachen aus viel seltener von dergleichen. Der Männergesang hat sich dort<lb/>
einer besonderen Pflege zu erfreuen und daS Interesse an demselben, ja sogar<lb/>
an den damit verbundenen gesellschaftlichen Vereinigungen scheint allzusehr zu<lb/>
dominiren. Zu den Musikfesten hingegen rafft man sich zusammen und stellt<lb/>
einen Chor auf, welcher sowol durch Schönheit der Stimmen als durch große<lb/>
Kraft und Festigkeit zu den besten gehört, welche in den in dieser Hinsicht so</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. III. -I8S7. 6</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0049] Das 35. niederrheimsche Musikfest. Das diesjährige niederrheinische Musikfest wurde bekanntlich in Aachen gefeiert. Beschäftigen wir uns zuvörderst einen Augenblick mit der Localität und den daselbst waltenden musikalischen Verhältnissen. Aachen hatte von jeher einen nicht geringen Vortheil vor den andern niederrheinischen Vereinsstädten. Die Nähe des reichen Belgiens und seine Eigenschaft als berühmter Kurort sicherten ihm ein zahlreiches Publicum bei seinen Musikfesten, und das traurige Wort Deficit, welches zuweilen in Köln und Düsseldorf sich vernehmen ließ, scheint in Aachen nie vorgekommen ZU sein. Früher hatte man dort auch eine gewisse Vorliebe, nicht allein für die belgischen Gäste, sondern auch für die belgischen Musiker, von welcher man aber zurückgekommen zu sein scheint. Belgien hat treffliche Virtuosen, aber seine Orchestermustker haben nicht die schnelle musikalische Auffassung und die langjährige Vertrautheit mit den Meisterwerken unserer Schule, welche die deutschen Musiker auszeichnet, und a'uf diese Eigenschaften kommt es doch wesentlich mit an, wo in kürzester Zeit so viel geleistet werden soll. So war denn dies Mal das höchst ausgezeichnete Orchester, etwa ein Dutzend Musiker ausgenommen, aus Deutschen und seiner überwiegenden Majorität nach aus Rheinländern gebildet. Was die Chöre betrifft, so waren sie von jeher in Aachen vortrefflich und haben sich auch dies Mal wieder aufs glänzendste be¬ wahrt. Es hat damit eine eigene Bewandtniß. In dem häuslichen musikalischen Leben der Rheinland?, wenn man so sagen darf, nimmt Aachen eigentlich eine subalterne Stellung ein, und während die Aufführungen größerer Vocalwerke in Köln, Bonn, Düsseldorf, Elberseld, Barmer, Crefeld :c. vielleicht zahl¬ reicher sind, als in irgend einem anderen Theile Deutschlands, hört man von Aachen aus viel seltener von dergleichen. Der Männergesang hat sich dort einer besonderen Pflege zu erfreuen und daS Interesse an demselben, ja sogar an den damit verbundenen gesellschaftlichen Vereinigungen scheint allzusehr zu dominiren. Zu den Musikfesten hingegen rafft man sich zusammen und stellt einen Chor auf, welcher sowol durch Schönheit der Stimmen als durch große Kraft und Festigkeit zu den besten gehört, welche in den in dieser Hinsicht so Grenzboten. III. -I8S7. 6

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/49
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/49>, abgerufen am 25.08.2024.