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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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ausgezeichneten westlichen Provinzen Deutschlands gefunden werden. Enthält
auch die Namenliste der Choristen eine ziemliche Anzahl Auswärtiger, so
bilden diese doch immer den bei weitem geringeren Theil der Classe, abgesehen
davon, daß viele derselben stets nur auf dem Papiere zu sehen sind. Beim
diesjährigen Feste fanden sich i17 Sänger und Sängerinnen verzeichnet, wo¬
von etwa ISO Auswärtige. Da hierunter auch wieder ziemlich viele den
nächsten Umgebungen Aachens angehören, so kann man süglich annehmen,
daß drei Viertel des ganzen Chores Aachen zuzuschreiben sind, was der Vocalen
Befähigung der Stadt gewiß zur größten Ehre gereicht. Die Wirkung der
Musik im Theater ist eine vortreffliche, und wenn letzteres auch hinsichtlich
des Zuhörerraums an Größe zu wünschen übrig läßt, so ist die Aufstellung
der Vocal- und Jnstrumentalkräfte eine um so bessere. Dieselben sind auf der
geschlossenen Bühne hochaussteigend sehr gut vertheilt und es ist dabei höchstens
der Mißstand zu bemerken, daß die Blechinstrumente von der höchsten Höhe
herab die übrigen allzugcwaltig beherrschen.

Alles in allem genommen bietet Aachen mit seinen freundlichen Straßen,
seinen hübschen Spaziergängen, seinen guten Hotels einen trefflichen Platz sür
ein Musikfest, wenn ihm auch Düsseldorf mit seinen heiteren und concentrirtern
Legalitäten den Rang abläuft.

Im Jahre -1825 feierte Aachen zum ersten Male ein Musikfest in seinen
Mauern. Dieses und die drei darauf folgenden dirigirte Ferd. Nies, der da¬
mals längere Zeit über die rheinischen Musikfeste gleichsam regierte. Nach
dem Tode von Nies berief man Spohr und Neißiger nach Aachen. Erst im
Jahre 1847 dirigirte Mendelssohn daselbst -- eS war ihm nicht vergönnt, ein
folgendes Fest zu erleben. Die beiden vorletzten Musikfeste in Aachen leitete
Lindpaintner, der auch seitdem verschieden; die Leitung des diesjährigen Festes
hatte man bekanntlich Liszt anvertraut. Es ist nicht zu leugnen, daß die Berufung
des berühmten weimarischen Kapellmeisters in der ganzen Rheinprovinz eine
eigenthümliche Sensation hervorbrachte. Vom Beethovenfeste her, für welches
Liszt in vieler Hinsicht Außerordentliches geleistet, waren seine Fähigkeiten
als Dirigent nicht in glänzender Erinnerung geblieben, und was man vom
Musikfeste in Karlsruhe, vom Mozartsche in Wien gehört hatte, war ebenfalls
nicht dazu gemacht, das schwankende Vertrauen in sein Dirigententalent zu
befestigen. Aus der anderen Seite hielt man die Richtung, zu welcher sich
Liszt bekennt, man mochte außerdem davon denken, was man wollte, für keine
für ein Musikfest passende, da die von den sogenannten Zukunftömusikern als
abgethan betrachteten oder gering gehaltenen Werke (worunter nicht allein die
haendelschen, havdnschen, sondern auch die mendelsohnschen zu verstehen sind)
grade bei solchen Festen um so nothwendiger werden, als die an der Spitze
der Partei stehenden Komponisten so viel wie nichts für ähnliche Zwecke geleistet


ausgezeichneten westlichen Provinzen Deutschlands gefunden werden. Enthält
auch die Namenliste der Choristen eine ziemliche Anzahl Auswärtiger, so
bilden diese doch immer den bei weitem geringeren Theil der Classe, abgesehen
davon, daß viele derselben stets nur auf dem Papiere zu sehen sind. Beim
diesjährigen Feste fanden sich i17 Sänger und Sängerinnen verzeichnet, wo¬
von etwa ISO Auswärtige. Da hierunter auch wieder ziemlich viele den
nächsten Umgebungen Aachens angehören, so kann man süglich annehmen,
daß drei Viertel des ganzen Chores Aachen zuzuschreiben sind, was der Vocalen
Befähigung der Stadt gewiß zur größten Ehre gereicht. Die Wirkung der
Musik im Theater ist eine vortreffliche, und wenn letzteres auch hinsichtlich
des Zuhörerraums an Größe zu wünschen übrig läßt, so ist die Aufstellung
der Vocal- und Jnstrumentalkräfte eine um so bessere. Dieselben sind auf der
geschlossenen Bühne hochaussteigend sehr gut vertheilt und es ist dabei höchstens
der Mißstand zu bemerken, daß die Blechinstrumente von der höchsten Höhe
herab die übrigen allzugcwaltig beherrschen.

Alles in allem genommen bietet Aachen mit seinen freundlichen Straßen,
seinen hübschen Spaziergängen, seinen guten Hotels einen trefflichen Platz sür
ein Musikfest, wenn ihm auch Düsseldorf mit seinen heiteren und concentrirtern
Legalitäten den Rang abläuft.

Im Jahre -1825 feierte Aachen zum ersten Male ein Musikfest in seinen
Mauern. Dieses und die drei darauf folgenden dirigirte Ferd. Nies, der da¬
mals längere Zeit über die rheinischen Musikfeste gleichsam regierte. Nach
dem Tode von Nies berief man Spohr und Neißiger nach Aachen. Erst im
Jahre 1847 dirigirte Mendelssohn daselbst — eS war ihm nicht vergönnt, ein
folgendes Fest zu erleben. Die beiden vorletzten Musikfeste in Aachen leitete
Lindpaintner, der auch seitdem verschieden; die Leitung des diesjährigen Festes
hatte man bekanntlich Liszt anvertraut. Es ist nicht zu leugnen, daß die Berufung
des berühmten weimarischen Kapellmeisters in der ganzen Rheinprovinz eine
eigenthümliche Sensation hervorbrachte. Vom Beethovenfeste her, für welches
Liszt in vieler Hinsicht Außerordentliches geleistet, waren seine Fähigkeiten
als Dirigent nicht in glänzender Erinnerung geblieben, und was man vom
Musikfeste in Karlsruhe, vom Mozartsche in Wien gehört hatte, war ebenfalls
nicht dazu gemacht, das schwankende Vertrauen in sein Dirigententalent zu
befestigen. Aus der anderen Seite hielt man die Richtung, zu welcher sich
Liszt bekennt, man mochte außerdem davon denken, was man wollte, für keine
für ein Musikfest passende, da die von den sogenannten Zukunftömusikern als
abgethan betrachteten oder gering gehaltenen Werke (worunter nicht allein die
haendelschen, havdnschen, sondern auch die mendelsohnschen zu verstehen sind)
grade bei solchen Festen um so nothwendiger werden, als die an der Spitze
der Partei stehenden Komponisten so viel wie nichts für ähnliche Zwecke geleistet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/50>, abgerufen am 25.08.2024.