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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Lande gemacht habe und es beherrsche. Er soll Melik d. i. König heißen, an
Würde und Macht der zweite nach Mohammed sein, jede Ungebühr, welche
auf den Schiffen vorkommt, die seinen Fluß befahren, namentlich geschlecht¬
liche Sünden mit dem Untergange des Fahrzeugs bestrafen, am siebenten
Katarakt ein Schloß haben, u, s. w. Eine oft gehörte Ansicht ist die, daß
boshafte oder über eine Beleidigung erzürnte Geister sich in Kairo auf die
Dächer setzen und mit Ziegeln oder Steinen nach den Vorübergehenden wer¬
fen. Während des Ramadan werden alle diese Wesen gefangen gehalten, am
Vorabend des großen Festes aber, welches diesem Fastenmonat zunächst folgt,
kommen sie wieder los, weshalb die Frauen in den Häusern überall Salz
streuen, um sie fern zu halten. Sie fügen den Menschen mancherlei Schaden
zu, entführen schöne Frauen, stehlen Lebensmittel n. a. in.

Manche der Girr sind unter besonderem Namen bekannt. So erzählte
Hassan von einem Gespenst, welches Kahns heißen sollte und der Beschreibung
nach ein Vetter unseres Nachtmahr ist. ES schleicht des Nachts in den Stu¬
ben umher, setzt sich den Schlafenden auf die Brust, würgt und erstickt sie,
hat aber zugleich an der Stirne ein goldenes Horn, welches dem, der so
glücklich ist, es zu fassen, die Gabe verleiht, sich allerlei gute Dinge, schöne
Pferde, Frauen, Kleider, Geld wünschen zu können, womit sich die noch an¬
genehmere Einrichtung verbindet, daß die Wünsche sofort erfüllt werden. Ein
anderes dieser Wehe!> ist die Gul, ein überaus gräßliches Scheusal, welches
allerlei Gestalten annehmen kann, auf Begräbnißplätzen wohnt und Leichen
verzehrt, in der Wüste die Wanderer vom Wege abführt und dann tödtet,
u. s. f. Wieder ein anderer böser Girr ist der Salad, ein Waldgeist, der,
wenn er einen Menschen gefangen hat, mit ihm wie die Katze mit der Maus
spielt. Er lockt die Menschen aber an sich, indem er mit kläglicher Stimme
ausruft, man solle ihm zu Hilfe kommen, da der Wolf ihn fressen wolle. Ein
nicht weniger schrecklicher Unhold ist der Dalhan, ein Seegespenst, welches
auf den Eilanden im südlichen Meere wohnt und Menschengestalt hat. Er
pflegt auf einem Vogel zu reiten und lebt von dem Fleisch und Blut der
Schiffbrüchigen. Wehren diese sich gegen ihn und sind sie ihm zu stark, so
stößt er ein Geschrei aus, welches sie betäubt, worauf er sich über die Ohn¬
mächtigen hermacht und sie aussaugt. Wiederum ein Waldgeist scheint endlich
der Nasnas zu sein, welcher nach Hassan in den Ländern jenseits des rothen
Meeres sich aufhält und eine seltsame Verwandtschaft mit dem Einbein der
nordschleswigschen Zwergensage hat. Er gleicht nämlich der einen Hälfte eines
der Länge nach gespaltenen Menschen, hat einen halben Kopf, einen halben
Leib, ein Bein, einen Arm, weiß sich aber trotzdem mit außerordentlicher
Schnelligkeit zu bewegen. Er dürfte zu den niedrigsten Classen der Girr ge¬
hören; denn obwol mit Sprache begabt, wird er von den Bewohnern jener


Lande gemacht habe und es beherrsche. Er soll Melik d. i. König heißen, an
Würde und Macht der zweite nach Mohammed sein, jede Ungebühr, welche
auf den Schiffen vorkommt, die seinen Fluß befahren, namentlich geschlecht¬
liche Sünden mit dem Untergange des Fahrzeugs bestrafen, am siebenten
Katarakt ein Schloß haben, u, s. w. Eine oft gehörte Ansicht ist die, daß
boshafte oder über eine Beleidigung erzürnte Geister sich in Kairo auf die
Dächer setzen und mit Ziegeln oder Steinen nach den Vorübergehenden wer¬
fen. Während des Ramadan werden alle diese Wesen gefangen gehalten, am
Vorabend des großen Festes aber, welches diesem Fastenmonat zunächst folgt,
kommen sie wieder los, weshalb die Frauen in den Häusern überall Salz
streuen, um sie fern zu halten. Sie fügen den Menschen mancherlei Schaden
zu, entführen schöne Frauen, stehlen Lebensmittel n. a. in.

Manche der Girr sind unter besonderem Namen bekannt. So erzählte
Hassan von einem Gespenst, welches Kahns heißen sollte und der Beschreibung
nach ein Vetter unseres Nachtmahr ist. ES schleicht des Nachts in den Stu¬
ben umher, setzt sich den Schlafenden auf die Brust, würgt und erstickt sie,
hat aber zugleich an der Stirne ein goldenes Horn, welches dem, der so
glücklich ist, es zu fassen, die Gabe verleiht, sich allerlei gute Dinge, schöne
Pferde, Frauen, Kleider, Geld wünschen zu können, womit sich die noch an¬
genehmere Einrichtung verbindet, daß die Wünsche sofort erfüllt werden. Ein
anderes dieser Wehe!> ist die Gul, ein überaus gräßliches Scheusal, welches
allerlei Gestalten annehmen kann, auf Begräbnißplätzen wohnt und Leichen
verzehrt, in der Wüste die Wanderer vom Wege abführt und dann tödtet,
u. s. f. Wieder ein anderer böser Girr ist der Salad, ein Waldgeist, der,
wenn er einen Menschen gefangen hat, mit ihm wie die Katze mit der Maus
spielt. Er lockt die Menschen aber an sich, indem er mit kläglicher Stimme
ausruft, man solle ihm zu Hilfe kommen, da der Wolf ihn fressen wolle. Ein
nicht weniger schrecklicher Unhold ist der Dalhan, ein Seegespenst, welches
auf den Eilanden im südlichen Meere wohnt und Menschengestalt hat. Er
pflegt auf einem Vogel zu reiten und lebt von dem Fleisch und Blut der
Schiffbrüchigen. Wehren diese sich gegen ihn und sind sie ihm zu stark, so
stößt er ein Geschrei aus, welches sie betäubt, worauf er sich über die Ohn¬
mächtigen hermacht und sie aussaugt. Wiederum ein Waldgeist scheint endlich
der Nasnas zu sein, welcher nach Hassan in den Ländern jenseits des rothen
Meeres sich aufhält und eine seltsame Verwandtschaft mit dem Einbein der
nordschleswigschen Zwergensage hat. Er gleicht nämlich der einen Hälfte eines
der Länge nach gespaltenen Menschen, hat einen halben Kopf, einen halben
Leib, ein Bein, einen Arm, weiß sich aber trotzdem mit außerordentlicher
Schnelligkeit zu bewegen. Er dürfte zu den niedrigsten Classen der Girr ge¬
hören; denn obwol mit Sprache begabt, wird er von den Bewohnern jener


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[0474] Lande gemacht habe und es beherrsche. Er soll Melik d. i. König heißen, an Würde und Macht der zweite nach Mohammed sein, jede Ungebühr, welche auf den Schiffen vorkommt, die seinen Fluß befahren, namentlich geschlecht¬ liche Sünden mit dem Untergange des Fahrzeugs bestrafen, am siebenten Katarakt ein Schloß haben, u, s. w. Eine oft gehörte Ansicht ist die, daß boshafte oder über eine Beleidigung erzürnte Geister sich in Kairo auf die Dächer setzen und mit Ziegeln oder Steinen nach den Vorübergehenden wer¬ fen. Während des Ramadan werden alle diese Wesen gefangen gehalten, am Vorabend des großen Festes aber, welches diesem Fastenmonat zunächst folgt, kommen sie wieder los, weshalb die Frauen in den Häusern überall Salz streuen, um sie fern zu halten. Sie fügen den Menschen mancherlei Schaden zu, entführen schöne Frauen, stehlen Lebensmittel n. a. in. Manche der Girr sind unter besonderem Namen bekannt. So erzählte Hassan von einem Gespenst, welches Kahns heißen sollte und der Beschreibung nach ein Vetter unseres Nachtmahr ist. ES schleicht des Nachts in den Stu¬ ben umher, setzt sich den Schlafenden auf die Brust, würgt und erstickt sie, hat aber zugleich an der Stirne ein goldenes Horn, welches dem, der so glücklich ist, es zu fassen, die Gabe verleiht, sich allerlei gute Dinge, schöne Pferde, Frauen, Kleider, Geld wünschen zu können, womit sich die noch an¬ genehmere Einrichtung verbindet, daß die Wünsche sofort erfüllt werden. Ein anderes dieser Wehe!> ist die Gul, ein überaus gräßliches Scheusal, welches allerlei Gestalten annehmen kann, auf Begräbnißplätzen wohnt und Leichen verzehrt, in der Wüste die Wanderer vom Wege abführt und dann tödtet, u. s. f. Wieder ein anderer böser Girr ist der Salad, ein Waldgeist, der, wenn er einen Menschen gefangen hat, mit ihm wie die Katze mit der Maus spielt. Er lockt die Menschen aber an sich, indem er mit kläglicher Stimme ausruft, man solle ihm zu Hilfe kommen, da der Wolf ihn fressen wolle. Ein nicht weniger schrecklicher Unhold ist der Dalhan, ein Seegespenst, welches auf den Eilanden im südlichen Meere wohnt und Menschengestalt hat. Er pflegt auf einem Vogel zu reiten und lebt von dem Fleisch und Blut der Schiffbrüchigen. Wehren diese sich gegen ihn und sind sie ihm zu stark, so stößt er ein Geschrei aus, welches sie betäubt, worauf er sich über die Ohn¬ mächtigen hermacht und sie aussaugt. Wiederum ein Waldgeist scheint endlich der Nasnas zu sein, welcher nach Hassan in den Ländern jenseits des rothen Meeres sich aufhält und eine seltsame Verwandtschaft mit dem Einbein der nordschleswigschen Zwergensage hat. Er gleicht nämlich der einen Hälfte eines der Länge nach gespaltenen Menschen, hat einen halben Kopf, einen halben Leib, ein Bein, einen Arm, weiß sich aber trotzdem mit außerordentlicher Schnelligkeit zu bewegen. Er dürfte zu den niedrigsten Classen der Girr ge¬ hören; denn obwol mit Sprache begabt, wird er von den Bewohnern jener

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/474>, abgerufen am 25.08.2024.