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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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schoben, der Nock -- im Winter Flausch, im Sommer von gelbem Nanking¬
zeuge, beide Hände in den Hosentaschen, mit nachlässigem Gange, stolpernd
und rechts und links umherschauend -- das waren die Umrisse zu Heines
äußerem Bilde, wenn er über das Straßenpflaster zu Bonn schlenderte, die
Mappe unter dem Arme, um inS Kollegium zu gehen, daS Gesicht fein -
weißer Teint, lichtbraunes Haar, ein kleines Bärtchen unter der Nase, die
Gesichtsfarbe feingcröthet. Die wenige Zeit, die ihm seine wissenschaftlichen
Arbeiten ließen, wurde der Poesie gewidmet. Selten war ein Dichter gewissen¬
hafter in der Feile. Zwei Artikel, die er damals schrieb, über das Nibelungen¬
lied und über die Romantik (mit dem schlegelschen Motto: Was Ohnmacht
nicht begreift, sind Träumereien), bezeichnen seine damaligen Sympathien.
Von dem echten Romantiker verlangt er plastische Gestaltungskraft und freie
Bildung. Gegen den jTroß der Romantiker spricht er sich sehr geringschätzig
aus, dagegen stellt er Schlegel als Dichter fast neben Goethe. Schlegel
wirkte damals hauptsächlich durch seine Vorlesungen über akademisches Leben
und Studium vortheilhaft auf die Jugend ein.

September 1820 ging Heine, und zwar zu Fuß, von Bonn nach Göt-
tingen, um ernsthafter seine Jurisprudenz zu treiben. Doch setzte er auch hier
seine altdeutschen Studien unter Benecke mit großem Eifer fort. Zu seinem
nächsten Umgang gehörte damals der nachmalige Oberlribunalsrath Waldeck,
>n dem er den künstigen großen Dichter zu erkennen glaubte. Februar 1821
erhielt er wegen Uebertretung der Duellgesetze das consilium abeunäi, machte
gleich darauf seine berühmte Harzreise und setzte seine Studien in Berlin fort.
Die beiden Tragödien waren in dieser Zeit fertig geworden; über den poetischen
Werth derselben hat Heine später wol minder günstig geurtheilt als damals,
doch sind im Almansor die poetischen Controversen über das Christenthum
vortrefflich. Der unverständige GoethecultuS, der damals in Berlin getrieben
wurde, und zwar von höchst unbedeutenden Leuten, regte ihn zu lebhafter
Opposition auf. Doch fand er in den geistreichen Cirkeln Berlins gern Zu¬
tritt. Er wurde von Rahel protegirt; ihre schöne Schwägerin Friederike Robert
war seine Muse (kurz vorher war seine erste Geliebte, seine Cousine Eveline
van Geldern, mit dem dümmsten der dummen Jungen verheirathet worden,
den Heine unsterblich gemacht hat). Bei Frau von Hohenhausen, wo sich auch
Chamisso, Gans, Helmine von Ch^zy und andere einfanden, las er seine
Gedichte vor. Eine besondere Verehrung empfand er vor Immermann. In
seinen Briefen spricht sich eine Begeisterung sür die preußische Königsfamilie
in ihren sämmtlichen Mitgliedern aus, die sich bei dem spätern Radicalen
wunderlich genug ausnimmt. Diese Briefe aus Berlin wurden im westphäli
schen Anzeiger 1822 abgedruckt. Auch von Fouquv wurde er einmal 1823
angesungen:


schoben, der Nock — im Winter Flausch, im Sommer von gelbem Nanking¬
zeuge, beide Hände in den Hosentaschen, mit nachlässigem Gange, stolpernd
und rechts und links umherschauend — das waren die Umrisse zu Heines
äußerem Bilde, wenn er über das Straßenpflaster zu Bonn schlenderte, die
Mappe unter dem Arme, um inS Kollegium zu gehen, daS Gesicht fein -
weißer Teint, lichtbraunes Haar, ein kleines Bärtchen unter der Nase, die
Gesichtsfarbe feingcröthet. Die wenige Zeit, die ihm seine wissenschaftlichen
Arbeiten ließen, wurde der Poesie gewidmet. Selten war ein Dichter gewissen¬
hafter in der Feile. Zwei Artikel, die er damals schrieb, über das Nibelungen¬
lied und über die Romantik (mit dem schlegelschen Motto: Was Ohnmacht
nicht begreift, sind Träumereien), bezeichnen seine damaligen Sympathien.
Von dem echten Romantiker verlangt er plastische Gestaltungskraft und freie
Bildung. Gegen den jTroß der Romantiker spricht er sich sehr geringschätzig
aus, dagegen stellt er Schlegel als Dichter fast neben Goethe. Schlegel
wirkte damals hauptsächlich durch seine Vorlesungen über akademisches Leben
und Studium vortheilhaft auf die Jugend ein.

September 1820 ging Heine, und zwar zu Fuß, von Bonn nach Göt-
tingen, um ernsthafter seine Jurisprudenz zu treiben. Doch setzte er auch hier
seine altdeutschen Studien unter Benecke mit großem Eifer fort. Zu seinem
nächsten Umgang gehörte damals der nachmalige Oberlribunalsrath Waldeck,
>n dem er den künstigen großen Dichter zu erkennen glaubte. Februar 1821
erhielt er wegen Uebertretung der Duellgesetze das consilium abeunäi, machte
gleich darauf seine berühmte Harzreise und setzte seine Studien in Berlin fort.
Die beiden Tragödien waren in dieser Zeit fertig geworden; über den poetischen
Werth derselben hat Heine später wol minder günstig geurtheilt als damals,
doch sind im Almansor die poetischen Controversen über das Christenthum
vortrefflich. Der unverständige GoethecultuS, der damals in Berlin getrieben
wurde, und zwar von höchst unbedeutenden Leuten, regte ihn zu lebhafter
Opposition auf. Doch fand er in den geistreichen Cirkeln Berlins gern Zu¬
tritt. Er wurde von Rahel protegirt; ihre schöne Schwägerin Friederike Robert
war seine Muse (kurz vorher war seine erste Geliebte, seine Cousine Eveline
van Geldern, mit dem dümmsten der dummen Jungen verheirathet worden,
den Heine unsterblich gemacht hat). Bei Frau von Hohenhausen, wo sich auch
Chamisso, Gans, Helmine von Ch^zy und andere einfanden, las er seine
Gedichte vor. Eine besondere Verehrung empfand er vor Immermann. In
seinen Briefen spricht sich eine Begeisterung sür die preußische Königsfamilie
in ihren sämmtlichen Mitgliedern aus, die sich bei dem spätern Radicalen
wunderlich genug ausnimmt. Diese Briefe aus Berlin wurden im westphäli
schen Anzeiger 1822 abgedruckt. Auch von Fouquv wurde er einmal 1823
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/47>, abgerufen am 22.07.2024.