Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

so verschwimmt der eben erwähnte Bestandtheil der Mittelclasse mit dem
niederen Beamtenstande, so daß gar keine Grenze zu bezeichnen ist. Kleine
Gutsbesitzer und Pächter kehren von dem Pflug zum Schreibtisch und von
diesem zu jenem zurück, je nachdem das Glück ihnen wohl will. Es entsteht
dadurch ein ewiges Rennen und Jagen nach einem Dienst. Oft geschieht eS
auch, daß nicht einmal der dreijährige Termin eingehalten wird, denn auch
die Minister wechseln sehr oft, und ein jeder neue Machthaber sucht seine
eigenen Ereaturen anzustellen. Ohne Zweifel wird die Reorganisations-
commission diesem Unfug ein Ende machen, denn was alle Zweige der Ad¬
ministration bei diesem unaufhörlichen Wechsel leiden, bedarf wol keiner Aus¬
einandersetzung.

Bei Erwähnung deS Beamtenstandes müssen wir ein Uebel näher be¬
leuchten, daS der Moldau fortwährend zum Vorwurfe und leider zum wohl¬
verdienten Vorwurf gemacht wird: die Bestechlichkeit der Angestellten. Wir
haben es uns nicht zur Aufgabe gemacht, rosenrot!) zu übertünchen, waS
schwarz ist, und sagen daher -- ja, die Bestechlichkeit ist sehr groß. Und
was noch schlimmer ist: wer im Dienst als ehrlicher Mann dasteht, muß mit
großer moralischer Kraft begabt sein, denn die öffentliche Meinung kommt ihm
nur sehr unvollkommen zu Hilfe, um seine Grundsätze aufrecht zu halten. Ein
Charakter, der sich schon fest ausgebildet in den Strudel des Lebens wirft,
bleibt unerschütterlich dastehn, und es gibt solcher viele in der Moldau, vor
denen wir freudig den Hut ziehen. Ein Mann aber, dem die Principien noch
nicht ganz fest ins Herz gegraben stehn, tritt in den Dienst, vielleicht mit den
ehrlichsten Absichten; -- siehe! da steckt einer seiner Kollegen einige Ducaten
ein; die Leute wissen es, da muß es doch Geschrei geben, meint der Jüngling,
mein College wird sich vor Schande nicht mehr zu bergen wissen. Bewahre der
Himmel! Die Leute wissen es und drücken ihm die Hand wie früher, und sagen
ihm de>r> ^our wie früher, und er erwidert bon,je>ur ohne zu erröthen. Die
Ducaten hat er aber eingesteckt und sie haben ihm wohl gethan: er hat sich
ein paar Pferde angeschafft. Ich gehe auch nicht gern zu Fuß, sagt der
Jüngling, und nimmt nun auch Ducaten. So stumpft sich sein Sinn all-
mälig ab, und er weiß am Ende nicht mehr deutlich zu unterscheiden, was
Recht und was Unrecht ist! Und gehört er vielleicht zu der privilegirten Classe, die
Theil hat an der Wahl der Individuen zur Besetzung der höchsten geistlichen
Aemter, so läßt er sich seine Stimme theuer bezahlen, indem er sein Gewissen
damit beschwichtigt, daß ihm der eine der Kandidaten so lieb war wie der
andere, daß er also mit dem Geldnehmen keine Unehrlichkeit begangen!

DaS Publicum ist so gewöhnt daran, dem Beamten fast jede kleine Dienst¬


längeren Dienstzeit bekannt. Es steht dem Verabschiedeten übrigens frei, gleich einen anderen
Posten zu suchen.'''

so verschwimmt der eben erwähnte Bestandtheil der Mittelclasse mit dem
niederen Beamtenstande, so daß gar keine Grenze zu bezeichnen ist. Kleine
Gutsbesitzer und Pächter kehren von dem Pflug zum Schreibtisch und von
diesem zu jenem zurück, je nachdem das Glück ihnen wohl will. Es entsteht
dadurch ein ewiges Rennen und Jagen nach einem Dienst. Oft geschieht eS
auch, daß nicht einmal der dreijährige Termin eingehalten wird, denn auch
die Minister wechseln sehr oft, und ein jeder neue Machthaber sucht seine
eigenen Ereaturen anzustellen. Ohne Zweifel wird die Reorganisations-
commission diesem Unfug ein Ende machen, denn was alle Zweige der Ad¬
ministration bei diesem unaufhörlichen Wechsel leiden, bedarf wol keiner Aus¬
einandersetzung.

Bei Erwähnung deS Beamtenstandes müssen wir ein Uebel näher be¬
leuchten, daS der Moldau fortwährend zum Vorwurfe und leider zum wohl¬
verdienten Vorwurf gemacht wird: die Bestechlichkeit der Angestellten. Wir
haben es uns nicht zur Aufgabe gemacht, rosenrot!) zu übertünchen, waS
schwarz ist, und sagen daher — ja, die Bestechlichkeit ist sehr groß. Und
was noch schlimmer ist: wer im Dienst als ehrlicher Mann dasteht, muß mit
großer moralischer Kraft begabt sein, denn die öffentliche Meinung kommt ihm
nur sehr unvollkommen zu Hilfe, um seine Grundsätze aufrecht zu halten. Ein
Charakter, der sich schon fest ausgebildet in den Strudel des Lebens wirft,
bleibt unerschütterlich dastehn, und es gibt solcher viele in der Moldau, vor
denen wir freudig den Hut ziehen. Ein Mann aber, dem die Principien noch
nicht ganz fest ins Herz gegraben stehn, tritt in den Dienst, vielleicht mit den
ehrlichsten Absichten; — siehe! da steckt einer seiner Kollegen einige Ducaten
ein; die Leute wissen es, da muß es doch Geschrei geben, meint der Jüngling,
mein College wird sich vor Schande nicht mehr zu bergen wissen. Bewahre der
Himmel! Die Leute wissen es und drücken ihm die Hand wie früher, und sagen
ihm de>r> ^our wie früher, und er erwidert bon,je>ur ohne zu erröthen. Die
Ducaten hat er aber eingesteckt und sie haben ihm wohl gethan: er hat sich
ein paar Pferde angeschafft. Ich gehe auch nicht gern zu Fuß, sagt der
Jüngling, und nimmt nun auch Ducaten. So stumpft sich sein Sinn all-
mälig ab, und er weiß am Ende nicht mehr deutlich zu unterscheiden, was
Recht und was Unrecht ist! Und gehört er vielleicht zu der privilegirten Classe, die
Theil hat an der Wahl der Individuen zur Besetzung der höchsten geistlichen
Aemter, so läßt er sich seine Stimme theuer bezahlen, indem er sein Gewissen
damit beschwichtigt, daß ihm der eine der Kandidaten so lieb war wie der
andere, daß er also mit dem Geldnehmen keine Unehrlichkeit begangen!

DaS Publicum ist so gewöhnt daran, dem Beamten fast jede kleine Dienst¬


längeren Dienstzeit bekannt. Es steht dem Verabschiedeten übrigens frei, gleich einen anderen
Posten zu suchen.'''
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0042" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104243"/>
            <p xml:id="ID_106" prev="#ID_105"> so verschwimmt der eben erwähnte Bestandtheil der Mittelclasse mit dem<lb/>
niederen Beamtenstande, so daß gar keine Grenze zu bezeichnen ist. Kleine<lb/>
Gutsbesitzer und Pächter kehren von dem Pflug zum Schreibtisch und von<lb/>
diesem zu jenem zurück, je nachdem das Glück ihnen wohl will. Es entsteht<lb/>
dadurch ein ewiges Rennen und Jagen nach einem Dienst. Oft geschieht eS<lb/>
auch, daß nicht einmal der dreijährige Termin eingehalten wird, denn auch<lb/>
die Minister wechseln sehr oft, und ein jeder neue Machthaber sucht seine<lb/>
eigenen Ereaturen anzustellen. Ohne Zweifel wird die Reorganisations-<lb/>
commission diesem Unfug ein Ende machen, denn was alle Zweige der Ad¬<lb/>
ministration bei diesem unaufhörlichen Wechsel leiden, bedarf wol keiner Aus¬<lb/>
einandersetzung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_107"> Bei Erwähnung deS Beamtenstandes müssen wir ein Uebel näher be¬<lb/>
leuchten, daS der Moldau fortwährend zum Vorwurfe und leider zum wohl¬<lb/>
verdienten Vorwurf gemacht wird: die Bestechlichkeit der Angestellten. Wir<lb/>
haben es uns nicht zur Aufgabe gemacht, rosenrot!) zu übertünchen, waS<lb/>
schwarz ist, und sagen daher &#x2014; ja, die Bestechlichkeit ist sehr groß. Und<lb/>
was noch schlimmer ist: wer im Dienst als ehrlicher Mann dasteht, muß mit<lb/>
großer moralischer Kraft begabt sein, denn die öffentliche Meinung kommt ihm<lb/>
nur sehr unvollkommen zu Hilfe, um seine Grundsätze aufrecht zu halten. Ein<lb/>
Charakter, der sich schon fest ausgebildet in den Strudel des Lebens wirft,<lb/>
bleibt unerschütterlich dastehn, und es gibt solcher viele in der Moldau, vor<lb/>
denen wir freudig den Hut ziehen. Ein Mann aber, dem die Principien noch<lb/>
nicht ganz fest ins Herz gegraben stehn, tritt in den Dienst, vielleicht mit den<lb/>
ehrlichsten Absichten; &#x2014; siehe! da steckt einer seiner Kollegen einige Ducaten<lb/>
ein; die Leute wissen es, da muß es doch Geschrei geben, meint der Jüngling,<lb/>
mein College wird sich vor Schande nicht mehr zu bergen wissen. Bewahre der<lb/>
Himmel! Die Leute wissen es und drücken ihm die Hand wie früher, und sagen<lb/>
ihm de&gt;r&gt; ^our wie früher, und er erwidert bon,je&gt;ur ohne zu erröthen. Die<lb/>
Ducaten hat er aber eingesteckt und sie haben ihm wohl gethan: er hat sich<lb/>
ein paar Pferde angeschafft. Ich gehe auch nicht gern zu Fuß, sagt der<lb/>
Jüngling, und nimmt nun auch Ducaten. So stumpft sich sein Sinn all-<lb/>
mälig ab, und er weiß am Ende nicht mehr deutlich zu unterscheiden, was<lb/>
Recht und was Unrecht ist! Und gehört er vielleicht zu der privilegirten Classe, die<lb/>
Theil hat an der Wahl der Individuen zur Besetzung der höchsten geistlichen<lb/>
Aemter, so läßt er sich seine Stimme theuer bezahlen, indem er sein Gewissen<lb/>
damit beschwichtigt, daß ihm der eine der Kandidaten so lieb war wie der<lb/>
andere, daß er also mit dem Geldnehmen keine Unehrlichkeit begangen!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_108" next="#ID_109"> DaS Publicum ist so gewöhnt daran, dem Beamten fast jede kleine Dienst¬</p><lb/>
            <note xml:id="FID_8" prev="#FID_7" place="foot"> längeren Dienstzeit bekannt. Es steht dem Verabschiedeten übrigens frei, gleich einen anderen<lb/>
Posten zu suchen.'''</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0042] so verschwimmt der eben erwähnte Bestandtheil der Mittelclasse mit dem niederen Beamtenstande, so daß gar keine Grenze zu bezeichnen ist. Kleine Gutsbesitzer und Pächter kehren von dem Pflug zum Schreibtisch und von diesem zu jenem zurück, je nachdem das Glück ihnen wohl will. Es entsteht dadurch ein ewiges Rennen und Jagen nach einem Dienst. Oft geschieht eS auch, daß nicht einmal der dreijährige Termin eingehalten wird, denn auch die Minister wechseln sehr oft, und ein jeder neue Machthaber sucht seine eigenen Ereaturen anzustellen. Ohne Zweifel wird die Reorganisations- commission diesem Unfug ein Ende machen, denn was alle Zweige der Ad¬ ministration bei diesem unaufhörlichen Wechsel leiden, bedarf wol keiner Aus¬ einandersetzung. Bei Erwähnung deS Beamtenstandes müssen wir ein Uebel näher be¬ leuchten, daS der Moldau fortwährend zum Vorwurfe und leider zum wohl¬ verdienten Vorwurf gemacht wird: die Bestechlichkeit der Angestellten. Wir haben es uns nicht zur Aufgabe gemacht, rosenrot!) zu übertünchen, waS schwarz ist, und sagen daher — ja, die Bestechlichkeit ist sehr groß. Und was noch schlimmer ist: wer im Dienst als ehrlicher Mann dasteht, muß mit großer moralischer Kraft begabt sein, denn die öffentliche Meinung kommt ihm nur sehr unvollkommen zu Hilfe, um seine Grundsätze aufrecht zu halten. Ein Charakter, der sich schon fest ausgebildet in den Strudel des Lebens wirft, bleibt unerschütterlich dastehn, und es gibt solcher viele in der Moldau, vor denen wir freudig den Hut ziehen. Ein Mann aber, dem die Principien noch nicht ganz fest ins Herz gegraben stehn, tritt in den Dienst, vielleicht mit den ehrlichsten Absichten; — siehe! da steckt einer seiner Kollegen einige Ducaten ein; die Leute wissen es, da muß es doch Geschrei geben, meint der Jüngling, mein College wird sich vor Schande nicht mehr zu bergen wissen. Bewahre der Himmel! Die Leute wissen es und drücken ihm die Hand wie früher, und sagen ihm de>r> ^our wie früher, und er erwidert bon,je>ur ohne zu erröthen. Die Ducaten hat er aber eingesteckt und sie haben ihm wohl gethan: er hat sich ein paar Pferde angeschafft. Ich gehe auch nicht gern zu Fuß, sagt der Jüngling, und nimmt nun auch Ducaten. So stumpft sich sein Sinn all- mälig ab, und er weiß am Ende nicht mehr deutlich zu unterscheiden, was Recht und was Unrecht ist! Und gehört er vielleicht zu der privilegirten Classe, die Theil hat an der Wahl der Individuen zur Besetzung der höchsten geistlichen Aemter, so läßt er sich seine Stimme theuer bezahlen, indem er sein Gewissen damit beschwichtigt, daß ihm der eine der Kandidaten so lieb war wie der andere, daß er also mit dem Geldnehmen keine Unehrlichkeit begangen! DaS Publicum ist so gewöhnt daran, dem Beamten fast jede kleine Dienst¬ längeren Dienstzeit bekannt. Es steht dem Verabschiedeten übrigens frei, gleich einen anderen Posten zu suchen.'''

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/42
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/42>, abgerufen am 21.10.2024.